Eliten-Jobs: Ostdeutsche weiterhin massiv unterrepräsentiert
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33 Jahre deutsche Einheit: In Chefetagen von Politik, Justiz, Medien und Kultur dominieren noch immer Westdeutsche. Sogar in den neuen Bundesländern. Was läuft falsch?
Dirk Oschmann, Literaturprofessor an der Universität Leipzig hat mit seinen Beiträgen zur deutschen West-Ost-Debatte, schon seit 2022 Wellen in der Öffentlichkeit geschlagen ("Die Chimäre der Ost-Identität"). Mit seinem Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung: Wie die Konstruktion des Ostens unsere Gesellschaft spaltet", die "schärfste Streitschrift zur deutsch-deutschen Hierarchie seit 1990 überhaupt" (Die Welt), trieb er die Debatte weiter.
Seither hat die Wucht der Fragestellungen zum Verhältnis zwischen den alten und den neuen Bundesländern mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung zugelegt.
Eliten-Monitor: Die Frage der Repräsentation
Ein wichtiger Punkt in Oschmanns Argumentation sind Zahlen zur Unterrepräsentation des Ostens in verschiedenen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kürzlich stellte der von der Universität Leipzig, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Hochschule Zittau/Görlitz gemeinsam durchgeführte Eliten-Monitor seine ersten Ergebnisse vor.
Dieser Eliten-Monitor untersucht öffentlich zugängliche biografische Informationen über etwa 4.000 Menschen, die im Zeitraum 2018 bis 2023 in 3.000 sogenannten "Elitenpositionen" waren. Darüber hinaus führten die Wissenschaftler auch Interviews.
Bei einem Bevölkerungsanteil von rund 20 Prozent bildet der Anteil an gebürtigen Ostdeutschen in Spitzenjobs in Bereichen wie Politik, Medien, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Militär nur 12,2 Prozent. Auch wenn dieser Anteil in den letzten fünf Jahren um 1,3 Prozent leicht gestiegen ist, hat die Unterrepräsentation dennoch massive Ausmaße (und entsprechend die Überrepräsentation der alten Bundesländer).
In der Politik auf Bundesebene finden sich lediglich 13,3 Prozent Menschen aus Ostdeutschland. Extrem ist die Unterrepräsentation in den Sektoren Justiz (2,1 Prozent) und Wirtschaft (4,3 Prozent).
Beim Militär wird sogar der Spitzenwert von 0 Prozent erreicht. Auch das Ausmaß fehlender Repräsentation des Ostens in den Medien (lediglich 8,1 Prozent) ist extrem bedenklich. Oschmanns Kritik wird durch diese aktuellen Zahlen bestätigt:
Der öffentliche Raum als ökonomischer, medialer und diskursiver Raum ist nicht nur komplett in westdeutscher Hand, sondern normalerweise auch vollständig von westdeutschen Perspektiven beherrscht; was Klaus Wolfram treffend das "Selbstgespräch des Westens über den Osten" genannt hat.
Oschmann betont zudem:
"Die Chefredaktionen aller großen Zeitungen und Medien werden von Westdeutschen geleitet."
Streit um die Gründe
Die Zeit fasst die Gründe für diese bedenklichen Fakten zusammen:
Als mögliche Ursachen für die fehlende Repräsentation nennen die Forscherinnen und Forscher unter anderem Langzeitwirkungen des DDR-Systems und den erfolgten Systemwechsel, soziale Herkunft sowie eine ungleiche Verteilung von Fremdsprachenkompetenzen in Deutschland.
Die Zeit
Die Zeit-Journalistin Jana Hensel empört sich daraufhin in einem Tweet:
Der Ostbeauftragte veröffentlicht heute also eine Studie, die zeigt, dass die Ossis natürlich selbst dran schuld sind, dass sie so selten Chefs werden. Das DDR-System, fehlende Fremdsprachenkenntnisse (WTF.) und Netzwerke sollen also fast 35 Jahre nach dem Mauerfall der Grund sein, warum unsere Elite größtenteils westdeutsch, weiß und männlich (ist, Einf. d. A.). Nach dem Motto: sind halt immer noch zu doof. Das wird die Vorurteile und Bias gegenüber Ostdeutschen sicher abbauen helfen. Merci beaucoup! Thank you very much! And muchas gracias.
In der Tat erscheint die Begründung fehlender Sprachkenntnisse geradezu befremdlich, nicht zuletzt, weil 33 Jahre nach der Wiedervereinigung das Englischniveau in den neuen Bundesländern durchaus vorhanden sein dürfte.
Nicht zuletzt waren heute Fünfzigjährige 16 Jahre alt, als die Mauer fiel, und haben je nach Biographie den Großteil ihrer Ausbildung in einem wiedervereinigten Deutschland erhalten. Auf der Homepage des Eliten-Monitors findet man übrigens interessanterweise keinen Hinweis auf angeblich fehlende Sprachkenntnisse als Ursache.
Auf Nachfrage von Telepolis schreibt Lars Vogel, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig und Mitglied der Leitung des Forschungsprojekts Elitenmonitor:
Wir gehen grundsätzlich von multiplen Ursachen aus. Allerdings können wir mit unseren Daten bisher nicht alle Fragestellungen beantworten.
So ist z. B. die soziale Herkunft der Eliten überwiegend nicht in öffentlich zugänglichen Quellen erkenntlich, worauf die Leipziger Elitendatenbank bisher allein beruht (Eine Elitenbefragung ist derzeit im Feld).
Allerdings ist der Vorteil von Angehörigen der Oberschichten und oberen Mittelschichten bzw. der sogenannten oberen Dienstklassen im Zugang zu Elitenpositionen aus anderer Forschung bekannt. Weil diese Schichten seltener in Ostdeutschland zu finden sind, gehen wir davon aus, dass darin einer der Gründe für die personelle Unterrepräsentation zu finden ist.
Ebenso ist die selbstberichtete (!) Fremdsprachenkompetenz in Englisch in Ostdeutschland etwas weniger verbreitet. In einzelnen gesellschaftlichen Sektoren, insbesondere der Wirtschaft oder Wissenschaft, sind Englischkenntnisse (und Auslandsaufenthalte) wichtige Aufstiegsfaktoren, sodass min. für diese Sektoren eine Wirkung anzunehmen ist.
Lars Vogel