Elon Musk: Wenn ein "Visionär" plötzlich Angst vor dem Atomkrieg hat
Mediensplitter (8): Der SpaceX-Boss hat vermutlich aus rein egoistischen Gründen keinen Bock auf nuklearen Fallout. Es ist aber falsch, so zu tun, als hätte sich der US-Milliardär nie Schlimmeres angemaßt als seinen aktuellen "Friedensplan".
Skandal, Elon Musk hat vor einigen Tagen einen "Friedensplan" für die Ukraine getwittert. Er bestreitet zwar, darüber bereits mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gesprochen zu haben, aber manche bisherigen Fans des US-Milliardärs sind trotzdem entsetzt.
Musk schlägt unter anderem vor, dass in den von Russland annektierten Gebieten Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja noch einmal unter Aufsicht der Vereinten Nationen über die nationale Zugehörigkeit abgestimmt werden soll. Wenn sich die Mehrheit für den Abzug der russischen Truppen ausspricht, muss sich die Putin-Administration daran halten. Die Halbinsel Krim soll dagegen in russischer Hand bleiben und die Ukraine unabhängig.
Für die Bild ist dieser Vorschlag ein "Russen-Märchen" und "wirr". Die Welt bescheinigt Musk eine "Vorliebe für Autokraten". Für den Fernsehsender n-tv ist es "Kreml-Rhetorik" – wobei der Kommentator sich in diesem Punkt selbst widerspricht, indem er einwendet, Russland werde diesem Vorschlag sowieso nicht zustimmen. Erstens würde Putin niemals zugeben, "dass die ersten Abstimmungen nur Show waren", zweitens würde er nicht riskieren wollen, "dass die Regionen in Wahrheit gar nicht russisch werden wollen".
Wie ein Vorschlag, dem der Kreml nie zustimmen würde, zugleich "Kreml-Rhetorik" sein kann, bleibt das Geheimnis des Empörten. Ob Musk eine "Vorliebe für Autokraten" hat, ist schon deshalb fraglich, weil er offensichtlich mehr von der Macht der Konzerne hält – vor allem, wenn es seine eigenen sind.
Hinzu kommt, dass Musk Putin im März spaßeshalber zum Zweikampf um das Schicksal der Ukraine herausgefordert hatte. Erst, nachdem der knapp 19 Jahre ältere Kreml-Chef erwartungsgemäß gekniffen hatte und Zehntausende Kriegstote hinzugekommen waren, twitterte Musk am 3. Oktober seinen umstrittenen Friedensplan, der nun teilweise heftig skandalisiert wird.
Bloß keine Stärkung der UNO
Die darin vorgesehene Rolle der UNO würde deren Stärkung bedeuten; und das passt natürlich weder Putin noch der Nato in den Kram, denn die Großmächte sind sich stillschweigend darüber einig, dass die Vereinten Nationen ihnen im Ernstfall überhaupt nichts zu sagen haben. Das beste Beispiel hierfür ist wohl der UN-Atomwaffenverbotsvertrag, den sie jeweils nach der Devise "Wir dürfen das, wir sind die Guten" ignorieren, indem sie ihre nuklearen Drohkulissen aufrechterhalten.
Vermutlich hat Musk aus rein egoistischen Gründen keine Lust auf eine atomare Eskalation des Ukraine-Krieges mit weltweiten Folgen. Aber diesen Egoismus dürfte er mit der übergroßen Mehrheit der Weltbevölkerung teilen.
Länder und Menschen des Globalen Südens, die Musk verdammt wenig bedeuten, wissen genau, dass sie auch der Nato, Putin und der ukrainischen Regierung verdammt wenig bedeuten, daher haben sie auch kein gesteigertes Interesse, massiv in Mitleidenschaft bezogen zu werden.
Eine Schlüsselfigur, die niemand gewählt hat
Kritikwürdig bleibt natürlich der Fakt, dass ein Multimilliardär, den in keinem Land der Welt jemand gewählt hat, überhaupt eine Schlüsselrolle in diesem Krieg spielen kann. Mit seinem Satelliten-Internetdienst Starlink hat er der Ukraine geholfen, sie aber auch von sich abhängig gemacht. Ob dort trotz Zerstörung der Infrastruktur am Boden der Zugang zum Internet erhalten bleibt, hängt von ihm und seiner Firma SpaceX ab.
Aus Angst vor einem Atomkrieg soll sich Musk jedenfalls geweigert haben, der Ukraine seinen Satelliten-Internetdienst Starlink auf der Krim zur Verfügung zu stellen. Der SpaceX-Boss befürchte, dass ein Versuch, die Halbinsel von den russischen Streitkräften zurückzuerobern, zu einem Atomkrieg führen könnte, berichtete diese Woche das Portal Business Insider.
Nach Starlink-Ausfällen, die ukrainische Truppen meldeten, wurde vergangene Woche bereits ein Deal zwischen Musk und Putin befürchtet. Das Problem ist inzwischen behoben, ukrainische Beamte schließen jedoch laut einem Bericht der Financial Times aus, dass es sich um technische Störungen oder von russischer Seite verursachte Störungen handelte. Musk und SpaceX wollten sich zu dem Verdacht nicht äußern.
Bisher hatte sich Musk schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse stark mit dem "Wertewesten" und der US-Außenpolitik identifiziert. Seinem Interesse an bolivianischem Lithium für Tesla-Batterien war es möglicherweise geschuldet, dass er im Sommer 2020 erklärte: "We will coup whoever we want! Deal with it.". ("Wir putschen weg, wen immer wir wollen! Findet euch damit ab.") Vergleichbare Empörung wie sein "Friedensplan" rief das in westlichen Ländern natürlich nicht hervor.
Exit-Strategie für Superreiche noch nicht ausgereift
Der SpaceX-Boss scheint aktuell begriffen zu haben, dass er momentan kleinere Brötchen backen muss, als den Weltraum zu erobern. Letzteres drängt sich zwar gewissermaßen auf, wenn man den Wachstumswahn ewig fortsetzen will, obwohl die Ressourcen unseres Heimatplaneten endlich sind, aber ein baldiger Atomkrieg passt nicht in den Zeitplan.
Der britische Astrophysiker Stephen Hawking hielt 2017 das Verlassen der Erde innerhalb von 100 Jahren auch ohne Atomkrieg für unvermeidlich. Als Grund nannte er unter anderem den menschengemachten Klimawandel.
Als Lösung für die Menschheit insgesamt ist das natürlich komplett unrealistisch. Als Exit-Strategie für eine kleine Elite von Großkapitalisten ist es schon eher denkbar – und Elon Musk, der schon jetzt unter anderem mit klimaschädlichem Weltraumtourismus Geld verdient, gilt als aussichtsreicher Kandidat, um das Weltall marktwirtschaftlich zu erschließen.
In weiten Teilen der Medienlandschaft wurde über diesen Größenwahn bisher erstaunlich unkritisch, zum Teil sogar fasziniert berichtet – obwohl dafür natürlich Ressourcen beansprucht würden, die auf der Erde sowohl für eine nachhaltige Energiewende als auch für Anpassungsmaßnahmen an jetzt schon unvermeidbare Folgen des Klimawandels gebraucht werden könnten.
Der Axel-Springer-Verlag feierte Musk Ende 2020 als "Visionär" – und als der Großkapitalist in diesem Jahr bekanntgab, Twitter kaufen zu wollen, frohlockte Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt: "Endlich traut sich einer, das linke Diskursdiktat aufzubrechen". Animiert hatte Musk dazu angeblich kein Geringerer als Springer-Chef Mathias Döpfner.