Emanzipation der Medienkunst?

Die Ars Electronica in Linz wurde fünfundzwanzig Jahre alt und bot mit dem diesjährigen Programm CyberArts den Anlass, den Stand der Medienkunst zu diskutieren

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Medienkunstfestivals sind im deutschsprachigen Raum rar gesät. Wer erinnert sich beispielsweise noch an die Multimediale in Karlsruhe? Im oberösterreichischen Linz findet mit bemerkenswerter Kontinuität seit 1979 ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft statt: die Ars Electronica. Jedes Jahr pilgert das medienkunstinteressierte Publikum Anfang September in die Industriestadt an der Donau, um ein reichhaltiges Programm mit Konferenzen, Events und Ausstellungen zu erleben.

Wenn der Bau bei Nacht weithin sichtbar blau erstrahlt, hat das im letzten Jahr neu eröffnete, architektonisch beeindruckende Lentos Kunstmuseum selbst etwas von einem elektronischen Bauteil. Im zweiten Jahr seiner Existenz kooperiert es mit der Ars Electronica und zeigt die Ausstellung "Digitale Avantgarde", die mit großem Erfolg schon in New York zu sehen war. Einige schon klassisch zu nennende Werke der Medienkunst, alle mit Preisen des Wettbewerbs der Ars Electronica ausgezeichnet, sind hier versammelt, so interaktive Installationen von Jeffrey Shaw ("The legible city"), Lynn Hershman ("America's finest") oder Luc Courchesne ("Landscape one").

The Legible City von Jeffrey Shaw. Sammlung des ZKM Media Museum, Karlsruhe. Quelle: rubra

Allein sieben Ausstellungen konnte der medienkunstbegeisterte Interessent in diesem Jahr bei der Ars Electronica besuchen. Zum Jubiläum hat dieses weltweit einmalige Festival für die Medienkünste seine bisher größte Veranstaltung organisiert. Während andere Medienkunstfestivals im deutschsprachigen Raum verschwunden sind oder zeitweise an mangelnder finanzieller Ausstattung gelitten haben, stellt die Ars Electronica mittlerweile eine Organisation dar, die auf verschiedenen Standbeinen beruht.

Das Festival existiert seit Ende der siebziger Jahre, 1987 kam ein offener Publikumswettbewerb für die digitalen Künste hinzu. Das 1996 eröffnete Ars Electronica Center versteht sich allerdings nicht als Kunstmuseum, sondern als aufwändig eingerichtete Vermittlungsplattform für die neuen Medien. Im angegliederten FutureLab werden eigene Medienproduktionen konzipiert und Kooperationen mit Universitäten und Unternehmen eingegangen.

Ein Spiegel der technokulturellen Umwelt

Der Untertitel des Festivals, ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu sein, deutet es an: die Ars Electronica hat sich nie als reines Kunstfestival verstanden, sondern von Anfang an technologische und soziale Fragestellungen einbezogen. Neben den Präsentationen und Aufführungen beschäftigen sich die Symposien mit den großen Themen der Zeit aus Technik und Kultur. Hier bietet sich die Gelegenheit, die Stars des internationalen Techno-Diskurses live zu erleben. In diesem Jahr beispielsweise den Publizisten Howard Rheingold, die Psychologin Sherry Turkle oder den SF-Autor Bruce Sterling.

Gulliver's World vom Ars Electronica Futurelab. Quelle: rubra

Die Ars Electronica hat früh aufkommende internationale Diskussionen der Technokultur in Europa vorgestellt: zum Beispiel die Virtuelle Realität, Nanotechnologie oder das Künstliche Leben. Anfang des neuen Jahrtausends waren die Biotechnologie, Fragen um die Manipulationen des menschlichen Körpers, das Thema. Sich mit den modernen Technologien und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen auseinander zu setzen, ist für den künstlerischen Leiter des Festivals, Gerfried Stocker, unerlässlich:

Wenn die Kunst jetzt nicht darauf eingeht, dass wir mit unseren Medizintechniken, mit unseren Pharmatechniken etwas in unsere Kontrolle übernehmen, das bisher nicht in unserer Kontrolle war, dann bleibt die Antwort, die sie geben kann, eine nur oberflächliche, eine scheinbare. Sie kann nicht mehr genügen. Wenn die Kunst sich auf diese technischen Realitäten nicht einlässt, wird sie die Fragen nicht befriedigend beantworten können.

Die spezielle Erfolgsstory der Medienkunst

Da das Festival auf eine fünfundzwanzigjährige Geschichte zurückblicken kann, wäre eine eingehende Betrachtung der festivalinternen Diskussion um die Kriterien ästhetischer Bewertung von Interesse. In den achtziger Jahren wurden noch Arbeiten in den Kategorien Computergrafik, -musik und -animation ausgezeichnet. Später kamen die interaktive Kunst und das Internet ("Net vision") als Kategorien hinzu.

Aber schon das Beispiel Computeranimation zeigt, dass von Anfang an sehr unterschiedliche Arbeiten miteinander im Wettbewerb koexistiert haben: künstlerische, in ihren technischen Möglichkeiten begrenzte Arbeiten von Kunsthochschulen neben High end-Produktionen aus Hollywood und der Werbung. Der Astronom Roger F. Malina schreibt denn auch in seinem Katalogbeitrag, dass der Kunstmarkt und die Museumswelt sowieso an Relevanz für die Medienkunst verloren hätten, wichtiger seien Special Effects-Studios, Webdesign-Büros oder die Computerspielindustrie.

Wenn man dieses Verständnis ernst nimmt, erobert die Medienkunst (ein Begriff, der eine Zeitlang vor allem für die Videokunst reserviert war, nun aber auch die digital produzierte Kunst einschließt, die ja in den Achtzigern noch als Computerkunst bezeichnet wurde) sowohl die heiligen Hallen der Kunstwelt als auch die PCs von Millionen Usern. Dazu Stocker:

Die Akzeptanz der Medienkunst auch innerhalb der Kunstwelt ist enorm gestiegen. Es gibt kaum eine zeitgenössische Ausstellung, ein Festival, eine Biennale, eine Documenta, die nicht von vielen Formen auch digitaler Kunst durchsetzt wäre. Das ist nicht notwendigerweise die Kunst, die auf der Ars Electronica präsentiert wird. Die eigentliche Erfolgsstory der Medienkunst spielt sich dort ab, wo dieses Phänomen in das Popkulturelle hineingeht, diese Massenphänomene, dass bestimmte künstlerische Experimente und Praktiken, die vor zehn Jahren aufgetaucht sind, mittlerweile sogar in kommerziellen Zusammenhängen vorkommen, ob das die Computerspielindustrie ist, ob das Reality TV ist usw.

Gerfried Stocker bei der Eröffnung der CyberArts 2004. Quelle: rubra

Stocker spielt hier auf das legendäre Hotel Pompino des Ponton Media Lab von 1990 an. Um den allgemeinen kreativen Umgang mit Computern zu fördern, wurde 1998 die Kategorie "U 19" für freestyle computing eingeführt, die nur österreichischen Jugendlichen offen steht und die im engeren Sinne nicht künstlerisch ist.

Ein Großteil der Projekte, die man bei der Ars Electronica immer wieder gesehen hat und auch in Zukunft noch sehen wird, beziehen ihre Rechtfertigung nicht aus kunstimmanenten Kriterien, nicht aus dem Ergebnis des Werks, sondern aus der Notwendigkeit, dass wir in einer Situation, in der wir auch gesellschaftlich mit neuen Dingen konfrontiert sind, diese erproben, abklopfen, austesten, überprüfen müssen.

Dem entspricht die Einführung einer neuen Wettbewerbskategorie in diesem Jahr: "Digital communities". Nicht als Kunstaktion gedacht, versucht diese Kategorie der Entwicklung Rechnung zu tragen, dass sich vermehrt soziale Netzwerke, Gemeinschaften mit Hilfe der digitalen Medien bilden und ihre Interessen vorantreiben. Die Goldene Nica ging an Wikipedia.

Künstlerisches Defizit oder ästhetische Neuorientierung?

Man kann großzügig die Erweiterung des Kunstbegriffs behaupten und die gezeigten Arbeiten als Materialexperimente und Untersuchungen der "expliziten Charakteristiken" der Medien verstehen. Doch viele der gezeigten Werke können einen Vorwurf nicht entkräften, der der Medienkunst beziehungsweise der Spielart, die bei der Ars gezeigt wird, gemacht wird. Dass die Medienkunst in seltenen Fällen als Kunst akzeptabel sei, schreibt Hans Peter Schwarz, Rektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, in einem Katalogbeitrag. Sich allzusehr auf den Reiz der technischen Neuerung verlassend, werden inhaltliche Fragen vernachlässigt, und alles bleibt ein recht oberflächliches Spiel, zugegeben, auf der Höhe der technischen Möglichkeiten.

Symptomatisch dafür sei hier eine Arbeit aus dem Wettbewerb erwähnt, die einen Preis in der Kategorie Interaktive Kunst erworben hat: die Arbeit "Ah_Q" des jungen chinesischen Künstlers Feng Mengbo. Menbo hat dazu das populäre Computerspiel "Quake" modifiziert. Er hat die Kämpferfiguren nach seinem Vorbild gestaltet, ausgestattet mit einer touristischen "Bewaffnung", einer Digitalkamera, und dem üblichen Waffenarsenal der Spielwelt. Ansonsten geht es recht blutig zu, nicht weiter überraschend.

Wer möchte, kann das als ironisches Spiel mit Versatzstücken der zeitgenössischen Popkultur bewundern, das zudem aus einem anderen Kulturkreis stammt. Gar die Massaker am Tiananmen Platz vom Juni 1989 werden herbeizitiert, um dem Werk einen Resonanzboden in der jüngeren chinesischen Geschichte zu geben. Das ist jedoch eine völlige Überschätzung dieser Arbeit, die eher einen schalen Beigeschmack hinterlässt und auf Dauer langweilt. Der User kann nur mit den Füßen seine Aktionen steuern und auf die Mengbo-Figur schießen. Auf der Wettbewerbs-DVD sieht man den Künstler selbst bei seinen recht gekonnt ausgeführten Spielaktionen bei einem Auftritt in Paris.

Ah_Q von Feng Mengbo. Quelle: Feng Mengbo

Experiment heißt das Zauberwort, das in diesem Zusammenhang gerne gebraucht wird. Doch dahinter lässt sich eben einiges verstecken. Aber die Medienkünstlern können sich langsam aus den Bedingungen kostspieliger Installationen befreien und von den geringeren Kosten der Hardware profitieren. Die technischen Fähigkeiten, die sie haben, sind nicht zu bezweifeln. Noch einmal Stocker:

Was hier eine ganz besondere Qualität, vielleicht auch das Neue an der Medienkunst sein kann, ist diese Kompetenz und diese Expertise, die hier Künstler haben, diese Technologien nämlich nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern in einer kritischen Praxis einzusetzen. Das heißt, dass der Einsatz dieser Mittel mit dieser notwendigen kritischen Distanz, aber auch aus einer gleichzeitig sehr intimen Kenntnis dieser Technologie erfolgt.

Stocker sieht also gewissermaßen eine Emanzipation der Medienkunst, indem sie sich löst von "einschließenden" Kunstdiskursen, von "ausschließenden" technischen Bedingungen und vom reinen "Technikfetischismus" innerhalb der Medienkunst selbst, als sie allzu sehr auf den Neuigkeitswert der Technik vertraut hat. Doch wie sieht es mit den klassischen Ansprüchen an die ästhetische Sinnhaftigkeit des Kunstwerks aus?

Auf die Beschreibung, dass Kunst die großen Themen behandele und dass sie sich beweisen müsse in der Bewältigung dieser, erwidert Stocker, dass die großen Themen heute aus der Wissenschaft und der Technologie kämen. Während des Symposiums tauchte sogar die Vorstellung auf, dass die Kunst erkenntnistheoretische Defizite der aktuellen Wissenschaft (Roger F. Malina) ausgleichen könne.

Eine solche Instrumentalisierung der Kunst beruht offensichtlich auf einem Missverständnis. Die Kunst stellt eine eigenständige "Erkenntnisform" dar, bei der es um eine besondere metaphorische Annäherung an die menschliche Existenz geht; sie gibt keine direkt verwertbaren Antworten auf wissenschaftliche und gesellschaftliche Problemstellungen. Zur vorhandenen technischen Kompetenz der neuen Generation von Medienkünstlern muss also die weitere Arbeit an Konzepten einer Techno-Ästhetik hinzukommen, um auf breiterer Basis eine überzeugende Medienkunst der Zukunft zu schaffen. Auf das nach weiteren fünfundzwanzig Jahren bei der Ars Electronica herausragende Werke gezeigt werden können.