Emmanuel Macron: Weniger Demokratie wagen

Seite 2: Klassenpolitische Ziele und Komplottheorien

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Das Ganze dürfte jedoch weniger philosophische Gründe aufweisen - auch wenn Emmanuel Macron dereinst einmal Philosophie, und ach auch Ökonomie, mit heißem Bemüh’n studiert hatte. In der Sache dürfte weitaus entscheidender sein, dass Macron (nachdem er sich für eine politische Laufbahn entschieden hatte) frühzeitig durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Eliten unterstützt wurde, die klar umrissene Zielsetzungen verfolgen. Marxistisch ausgedrückt, könnte man von "klassenpolitischen Zielen" sprechen, die eben nicht mit den sozialen Mehrheitsinteressen der Bevölkerung deckungsgleich sind.

Natürlich ist dies nicht im Sinne der dümmlichen und primitiven Rhetorik von Verschwörungstheoretikern zu verstehen, die die jüngste politische Entwicklung als einziges Werk von Strippenziehern darstellen. Etwa dergestalt: "Das Establishment (...) holt eine neue Wachsfigur aus der Kiste." Die zetern: "Er ist aufgebaut, um in einer alternden Gesellschaft mit vielen älteren weiblichen Wählern (...) maximal zu punkten. Und in dem Sinne hat man das Paar zusammengeführt und jetzt wie Kasper aus der Kiste gezogen."

Das ist natürlich purer Unfug, zumal Emmanuel und Brigitte Macron zusammenkamen, als der spätere Präsident noch nicht 16 Jahre alt war und wohl kaum im Auftrag der CIA, des Mossad oder anderer Verschwörer unterwegs war.

Jenseits all solcher komplotttheoretischen Hirngespinste gilt es festzustellen, dass Emmanuel Macron auf sehr zweckrationale Weise sozialen und wirtschaftlichen Interessen dient, die auch ziemlich klar benannt werden: exportorientierte und modernisierungswillige Kapitalfraktionen, Gewinner der wirtschaftlichen "Globalisierung", innovativ auftretende Unternehmer und Anleger. Lohnabhängigeninteressen zählen dagegen primär nicht dazu (es sei denn, sie können dadurch bedient werden, dass das französische und europäische Kapital zusätzliche Weltmarktanteile erobert oder die Produktivität steigert).

Im Wissen darum ist es für die Staatsspitze - die alte wie die neue - erforderlich, jedenfalls auf bestimmten Themenfeldern vom Mehrheitswillen deutlich zu abstrahieren. Dies tat die Vorgängerregierung unter François Hollande beim so genannten "Arbeitsgesetz"; doch unter der damaligen sozialdemokratischen Staatsführung blieb dies mit einem schlechten Gewissen verbunden und mit einer politischen Rhetorik, die immer stärker in Widerspruch zu den wirklichen politischen Taten geriet.

Deswegen fiel die französische Sozialdemokratie dann auch bei den nachfolgenden Wahlen haushoch durch.

Emmanuel Macron versucht es nun mit einer neuen Methode: jungdynamisch, forsch, sendungsbewusst (wenn nicht messianisch) und ohne allzu viel falschen Sozialklimbim in seinen Wahlkampfversprechen. Gleichzeitig bereitet er sich auf künftige sozialpolitische Ernstfälle und damit verbundene Kraftproben frühzeitig vor. Daraus resultieren gewisse cäsaristische Elemente in seiner Politik.

Vorhaben an der "Reform"front

Zu den zentralen Vorhaben der Regierung zählen in den kommenden Monaten die "Reform" des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherungssysteme. Beim ersten Punkt geht es laut den vorliegenden Ankündigungen darum, jene Vorhaben, die im Frühjahr 2016 als "zu radikal" aus dem umstrittenen und umkämpften Arbeitsgesetz ausgeklammert werden mussten, doch noch umzusetzen. Dazu zählt die Deckelung der Abfindungszahlungen für ungerechtfertigte und illegale Kündigungen, also die Einführung einer verbindlichen Obergrenze, die durch die Arbeitsgerichte nicht überschritten werden darf.

Dabei möchte die Regierung auf so genannte ordonnances zurückgreifen, das sind Verordnungen mit Gesetzeskraft. Voraussetzung, um dieses Rechtsinstrument zu nutzen, ist die Verabschiedung einer Loi d’habilitation, also eines Ermächtigungsgesetzes (natürlich nicht im Sinne von Adolf Hitler 1933), durch das Parlament.

Letzteres kann dann zwar über diese allgemeine Rechtsgrundlage debattieren, doch nicht über den Inhalt des Gesetzesentwurfs, welcher bei der Verabschiedung des vorgeschalteten "Ermächtigungs"gesetzes in der Regel noch gar nicht bekannt ist. Dadurch wird die Sachdebatte dazu verhindert.

Bislang wurden solche ordonnances in der Vergangenheit etwa 1967 durch die gaullistische Regierung zur "Reform" der gesetzlichen Krankenversicherung, und im August 2005 durch den damaligen Premierminister Dominique de Villepin für eine Attacke auf den Kündigungsschutz in kleineren Unternehmen genutzt. Allerdings: In beiden Fällen antworteten jeweils innerhalb wenige Monate sehr massive soziale Protestbewegungen darauf.

Die Zusammensetzung des engsten Mitarbeiterkreises von Präsident Macron sowie seiner Kabinettsliste spricht bereits hinreichend Bände. Der 64-jährige neue Präsidialamtsleiter ("directeur de cabinet"), das entspräche in Deutschland ungefähr einem Kanzleramtsminister, Patrick Strzoda etwa amtierte im vorigen Jahr als Regionalpräfekt für die Bretagne in Rennes.

Er befehligte dort die Polizeieinsätze, als während der Proteste gegen das umkämpfte "Arbeitsgesetz" im Frühjahr 2016 diese westfranzösische Stadt eines der Zentren der Repression bildete. In Absprache mit der sozialdemokratischen Bürgermeisterin von Rennes hatte der Präfekt die gesamte Innenstadt zum "Einkaufszentrum" und zur verbotenen Zone für Demonstrantinnen erklärt. In Rennes wurden die Proteste mit am härtesten niedergeknüppelt, und ein 21jähriger Student verlor ein Auge.