Empört Euch gegen die Überwachung!

Parteien und die Zukunft der Informationsgesellschaft

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Die Parteien sind sich in ihren Antworten auf die Telepolis-Umfrage zur Zukunft der Informationsgesellschaft (Bedrohen die Datenpanscher die Demokratie?) einig: Die Überwachung der Telekommunikation (TKÜ) und - noch viel mehr - die Onlinedurchsuchung stellen einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar.

Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Arbeitskreises Netzpolitik der CDU, Michael Kretschmer bringt es auf den Punkt: Es geht "um das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden [...] Es steht außer Frage, dass sich Ermittlungsbehörden an die Gesetze halten müssen."

Er betont:

Das Bundesverfassungsgericht hat beides unter sehr engen Voraussetzungen bei schwersten Straftaten für zulässig erklärt, dazu gehört auch ein richterlicher Beschluss.

Angesichts der Debatten um den "Staatstrojaner" sei deutlich geworden, dass "die Regelungen nochmals überprüft werden müssen". Wann das zu tun ist und was unter dem Superlativ "schwersten" zu verstehen ist, ließ Kretschmer allerdings offen; weiterhin ist nicht bekannt, ob diese Position mit dem Innenminister und der Kanzlerin abgestimmt ist.

Der ÖDP-Vorsitzende Sebastian Frankenberger fürchtet (ÖDP: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft), dass ein "übermäßiger Gebrauch" der TKÜ die Menschen soweit manipulieren könnte, "dass sie per (Internet-)Telefonie keine politisch relevanten oder kritischen Meinungen mehr austauschen, sondern sich selbst zensieren (Panoptismus)".

Die Ergebnisse einer Onlinedurchsuchung seien nicht beweissicher zu dokumentieren: Es sei nicht auszuschließen, dass einem Verdächtigen Beweise untergeschmuggelt würden und es könne nicht garantiert werden, dass die Strafverfolger das Zielsystem nach dem Ende der Durchsuchung wieder so verließen, wie sie es vorgefunden hatten. Somit sei es möglich, dass Dritte die Identität des Verdächtigen illegal nutzen, um in dessen Namen illegal Rechtsgeschäfte auszuführen (Identitätsdiebstahl). Deshalb lehnt die ÖDP die Onlinedurchsuchung ab.

Die Piraten und Die Linke akzeptieren keines der beiden Überwachungsinstrumente.

Der Bundespressesprecher der Piratenpartei, Christopher Lang ist der Meinung, der Staat habe derzeit nur ein begrenztes Interesse an der Sicherheit privater Systeme. Tatsächlich seien aber auf Computern, Mobiltelefonen und anderen Geräten "viele sensible Daten gespeichert, insbesondere jene aus dem Privat- und Berufsleben. Daher ist die Integrität und Sicherheit privater Systeme ein hohes Gut."

Überwachungsstaat?

Die stellvertretende Vorsitzende der Linken, Halina Wawzyniak teilt (Linkspartei: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft) die Einschätzung und "ermutigt Bürgerinnen und Bürger ihre Computer, Telefone etc. möglichst sicher zu machen und vor unbefugtem Zugriff zu schützen."

Sebastian Frankenberger meint, der von einigen Sicherheitspolitikern angestrebte Überwachungsstaat vertrage sich nicht mit sicheren IT-Systemen.

Lediglich Michael Kretschmer glaubt an das Sicherheitsinteresse des Staates und verlangt nach "höchstem Sicherheitsstandard" auf allen IT-Systemen. Seine Forderung wirkt aber wenig glaubwürdig - gleichzeitig nimmt der CDU Politiker Dutzende Daten-inkontinente Behörden in Schutz:

Ein systematisches Fehlverhalten kann ich nicht erkennen.

Der Rechtsstaat biete ausreichend Sanktionsmöglichkeiten. Dabei scheint er aber zu übersehen, dass der Betroffene eines Identitätsdiebstahls etwa zunächst allein Schwierigkeiten haben dürfte, nachzuweisen, dass sein Schaden auf behördliches Versagen zurückgeht.

Seine Wettbewerber sehen das kritischer: Die Piraten mißtrauen der staatlichen Datensammelwut und stellen den "Schutz des Bürgers und die damit verquickte Datensparsamkeit" in ihrem "liberalen Wertesystem über vermeintliche Sicherheitszuwächse durch Freiheitseinschränkungen".

Zum Selbstschutz empfiehlt die ÖDP, nur die notwendigen Daten herauszugeben und die Datenschutzbeauftragten sowie Bürgerrechtsorganisationen zu informieren. Die Linke verlangt, die Sicherheit staatlicher Dienste bereits in der Planung zu berücksichtigen.

"Zielkonflikt zwischen Kosten und Sicherheit"?

Einigkeit herrscht bei der Frage, ob der Datenschutz auch bei knappen Kassen eingehalten werden müsste: Der Hessische Städte und Gemeindebund argumentierte, wenn seine Mitglieder die Empfehlungen des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) berücksichtigen wollten, "würde das teuer. Dann müssten wir Kindergärten schließen."

Die CDU hat zwar Verständnis für diesen "Zielkonflikt zwischen Kosten und Sicherheit". Es sei allerdings klar, dass sich insbesondere die öffentliche Verwaltung an die Richtlinien des BSI zu halten habe. Es wurde allerdings bislang nicht bekannt, daß die CDU diese Haltung in konkretes politisches Handeln im Bund, Ländern oder auch Gemeinden umgesetzt hätte - um etwa den Kommunalverband in Hessen zu überzeugen.

ÖDP Chef Frankenberger vergleicht das Argument des Kommunalverbands mit der Nahrungsmittelindustrie: Jeder der dort Beschäftigten müsse ein Gesundheitszeugnis vorweisen, "also wird man doch für jeden Beschäftigten, der mit persönlichen Daten von Bürgern arbeitet, zumindest alle 2-5 Jahre eine eintägige Schulung finanzieren können!"

Frage der Verantwortung

Pirat Christopher Lang hält "das Ausspielen sozialer Verpflichtungen des Staates gegenüber nachlässig gehandhabten Schutzpflichten [...] nicht nur (für) unredlich" sondern es werfe auch "Fragen über die Auffassung einiger Politiker von ihrer politischen Verantwortung auf".

Die Linke Halina Wawzyniak empfindet es als "unerhört", andere staatliche Ausgaben (in diesem Fall Kindergärten) gegen einen sicheren IT-Betrieb auszuspielen:

Für Die Linke ist es völlig unstrittig, dass staatliche IT-Infrastruktur die der Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten von Bürgerinnen und Bürgern dient, die höchstmöglichen Sicherheitsstandards erfüllen müssen und die erforderlichen Mittel auf allen Ebenen bereit gestellt werden müssen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Risiken, die durch das elektronische Gesundheitswesen, die "intelligenten" Stromnetze, den elektronischen Personalausweis, das elektronische Regieren und Verwalten und weitere Telematik-Dienste ergeben.

Michael Kretschmer sprüht vor Optimismus: Die digitalen Veränderungen brächten weniger Risiken, sondern "viel mehr Chancen für den Einzelnen, die Gesellschaft und die Wirtschaft unseres Landes. Unsere Demokratie profitiert von der direkten Einflussmöglichkeit der Bürger auf politische Entscheidungsprozesse."

"Immer mehr Angriffstellen"

Dem stellt Halina Wawzyniak entgegen: "Politik und Verwaltung sollten akzeptieren, dass alle internetgestützten Dienste kompromittierbar sind." Daher will sie "grundsätzlich" fragen, "ob und unter welchen Einschränkungen Prozesse ins Internet übertragen werden können."

Christopher Lang sieht "immer mehr Angriffsstellen", durch die Kriminelle eindringen und Daten manipulieren könnten. Weiter fürchtet er ein "Bürgerprofil" kommen, wie es das Projekt INDECT vorsieht. Dann sei es denkbar, dass der Staatsanwalt bei einer Anzeige wegen Betrugs "sich vom Stromwerk die minutengenauen Zähler-Abrechnungen" zöge. Schließlich fürchtet er, dass die anonyme Teilhabe im Netz mit zunehmender Verbreitung des neuen Personalausweises "immer weiter eingeschränkt wird."

Sebastian Frankenberger erhofft sich "Empörung und Widerstand, um diesen Trend zu stoppen".

Keine Antworten von SPD, Grüne und FDP

SPD, Bündnis90/Die Grünen und die FDP haben den Fragebogen Jahres vorsichtigerweise erst gar nicht beantwortet - obwohl sie ein halbes Jahr Zeit dazu hatten.

Nachtrag: Wie schwer es ist, Empfehlungen selbst zu beherzigen, die man Dritten erteilt, zeigt sich allerdings auch beim Datenschutz: Vergangenen Samstag fand das traditionelle Hambacher Fest statt. Dabei wurde auch der "Kurpfälzer Datenschutzappell" verlesen. Die Unterzeichner fordern darin Bürger, Unternehmen, Behörden und die Politik auf, sich ihrer Verantwortung für sich selbst bewußt zu werden - und vor allem auch sorgsam mit den Daten ihrer Einwohner, Kunden, Mandanten, Mitarbeiter, Patienten und Versicherten umzugehen.

Dazu konnte sich aber bislang keiner der Umfrageteilnehmer durchringen. Nicht einmal der nach Empörung verlangende ÖDP Chef. - Er kann das aber auch jetzt noch - wie jeder Andere - unter info@[nospam]datenschutzappell.de nachholen.