Piratenpartei: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft
- Piratenpartei: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft
- Fragen an die Landespolitik - beantwortet von Roman Schmitt, dem Vorsitzenden des Landesverbands Rheinland Pfalz der Piratenpartei
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Christopher Lang, Bundespressesprecher der Partei, beantwortet die Fragen von Telepolis und Mehr Demokratie RLP
Die Piratenpartei antwortet auf die Fragen: Bedrohen die Datenpanscher die Demokratie? Siehe auch: Piraten wollen Grundrechte-TÜV für Sicherheitsgesetze
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum "Computergrundrecht" vom Februar 2008 der Onlinedurchsuchung und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) enge Grenzen gesetzt. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Hans-Jürgen Papier ist der Meinung, dass es derzeit keine Rechtsgrundlage für eine Quellen-TKÜ gebe. Die Innenminister Bayerns und Niedersachsens sowie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich lässt das unbeeindruckt.
Ist die Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nach Meinung Ihrer Partei mit dem Grundgesetz vereinbar?
Christopher Lang: Das Infiltrieren privater Computer mittels Spionagesoftware zur Online-Durchsuchung oder Quellen-TKÜ ist unserer Auffassung nach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Das im Grundgesetz verbriefte Persönlichkeitsrecht sowie der Schutz der Privatsphäre sind wichtige Grundlagen für die freie Entfaltung und Entwicklung der Menschen und für die Partizipation und Meinungsbildung bei demokratischen Prozessen.
Zur Privatsphäre gehören auch die auf Computern, Smartphones oder anderen Geräten hinterlegten persönlichen Daten, auf die, ohne das Einverständnis der betroffenen Person, niemand Zugriff haben sollte. Wenn von staatlichen Behörden auf diese sensiblen und intimen Daten heimlich zugegriffen wird, ist dies nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Viele Behörden halten sich bereits heute nicht an geltendes Recht und missbrauchen ihre Befugnisse entgegen jedweder rechtsstaalicher Belehrung. So wurden aktuell in Ermittlungsverfahren illegalerweise die Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung eingesetzt und damit Grundrechte schwer verletzt. Da die genannten Überwachungsbefugnisse in der Praxis nicht wirksam kontrolliert werden können, lehnen wir sie grundsätzlich ab.
Hat der Staat ein Interesse an sicheren oder weniger sicheren Systemen auf den PC, Notebooks und Telefonen seiner Bürger?
Christopher Lang: Leider hat der Staat zur Zeit nur ein begrenztes Interesse an sicheren Systemen in der Hand des Bürgers. Auf Computern, Mobiltelefonen und anderen Geräten sind viele sensible Daten gespeichert, insbesondere jene aus dem Privat- und Berufsleben. Daher ist die Integrität und Sicherheit privater Systeme ein hohes Gut.
Ähnlich wie dies im Bereich der Einbruchsprävention bereits von den Polizeibehörden angeboten wird, sollte der Staat durch Aufklärungs- und Bildungsarbeit für dieses Thema sensibilisieren und zum Beispiel die Verschlüsselung von Systemen und Netzen fördern. Durch die Forderungen nach Befugnissen für das heimliche Eindringen in private Computer-Systeme ist aktuell leider das Gegenteil der Fall und es muss befürchtet werden, dass staatliche Stellen immer mehr Interesse an unsicheren statt an sicheren Systemen bekommen. Diese Positionierung stellt sich klar gegen die politischen Verpflichtungen und das verbriefte Selbstverständniss der deutschen Demokratie.
Der Bürger ist verpflichtet, seine Daten zahlreichen Behörden anzuvertrauen. Immer wieder beweisen die Staatsdiener allerdings, daß sie nicht in der Lage sind, dieses Vertrauen zu rechtfertigen: Daten, USB-Sticks, Festplatten und sogar ganze Server mit den personenbezogenen Daten der Menschen kommen abhanden.
Wie kann sich der Bürger vor staatlicher Schlamperei schützen?
Christopher Lang: Die Datensammelwut des Staates nimmt immer mehr zu. Aus allen Lebensbereichen werden per gesetzlichem Zwang immer mehr Daten erhoben und gespeichert. Wenn wir telefonieren, zum Arzt gehen, umziehen oder uns im öffentlichen Raum bewegen, schränken immer neue Überwachungsmaßnahmen unsere Freiheit ein. Die Piratenpartei kämpft gegen die staatliche Datensammelwut und will alle Datensammlungen auf den Prüfstand stellen.
Insbesondere im Meldewesen, bei den Polizeibehörden und bei den Geheimdiensten muss die Notwendigkeit der Datenerfassung evaluiert werden. Neue Befugnisse zur Erhebung privater Daten wird es mit uns nicht geben. Die Verantwortung für die Sicherheit liegt bei den staatlichen Stellen. Diesen, wie auch der privaten Wirtschaft, empfehlen wir, nur die wirklich benötigten Informationen preiszugeben und sich generell gegen Überwachung einzusetzen.
Der Schutz des Bürgers und die damit verquickte Datensparsamkeit steht in unseren liberalen Wertesystem über vermeintlichen Sicherheitszuwächsen durch Freiheitseinschränkungen.
Der Hessische Städte und Gemeindebund argumentiert, wenn seine Mitglieder die Empfehlungen des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) berücksichtigen wollten, "würde das teuer. Dann müssten wir Kindergärten schließen."
Was halten Sie von diesem Argument?
Christopher Lang: Solche Argumente greifen nicht und sind an Populismus kaum zu überbieten. So zweckfrei wie etwa "Brandschutz ist zu teuer, dann müssten wir Kindergärten schließen". Speziell im Bereich der Kindergärten gibt es auf der anderen Seite zahlreiche unsinnige und kleinkarierte Regelungen, die privaten Anbietern das Leben schwermachen und Angebote unnötig verteuern. Derartige Ablenkungsmanöver sind in der Politik des 21. Jahrhunderts peinliche Dauerzustände und sind gegensätzlich zu unserem Politikverständnis.
Die Daten der Bürger sind von großem Interesse für Dritte und benötigen daher besonderen Schutz.Das Ausspielen sozialer Verpflichtungen des Staates gegenüber nachlässig gehandhabten Schutzpflichten ist in einem Sozialstaat nicht nur unredlich, sondern wirft auch Fragen über die Auffassung einiger Politiker von ihrer politischen Verantwortung auf.
In den nächsten Jahren sollen weite Teile der gesellschaftlichen Prozesse aus der realen Welt ins Virtuelle verlegt werden - Wie z.B. das elektronische Gesundheitswesen, die "intelligenten" Stromnetze, der elektronische Personalausweis, das elektronische Regieren und Verwalten u.v.m.
Welche Risiken entstehen dabei für die Prozesse selbst?
Christopher Lang: Die Prozesse selbst werden neuen Gefahren ausgesetzt, es entstehen immer mehr Angriffsstellen. So können z. B. über die Technik für "intelligente Stromnetze" Kriminelle in angeschlossene Computer-Systeme eindringen, Daten ausspionieren oder manipulieren.
Ausserdem besteht die Gefahr, dass immer mehr Daten zu einem gesamten "Bürgerprofil" verdichtet werden, wie dies mit dem EU-Projekt INDECT versucht wird. Ausserdem können im Zuge staatsanwaltlicher Ermittlungen und Strafanzeigen sehr viele Daten beschlagnahmt werden, über die Ermittlungsakte stehen sie dann auch Privatleuten sehr leicht zum Zugriff frei.
Beispielsweise könnte jemand Strafanzeige wegen Betrug erstatten, und der Staatsanwalt zieht sich vom Stromwerk die minutengenauen Zähler-Abrechnungen. So wird der Bürger immer mehr durchleuchtet, bedrängt und erpressbar gemacht.
Dadurch dass immer mehr Daten ausgeleitet, zusammengeführt und ausgewertet werden können und durch die heute schon bestehenden Begehrlichkeiten, entstehen große Gefahren für die Teilnehmer an den Prozessen. Durch die Verbreitung des elektronischen Personalausweises muss befürchtet werden, dass die wichtige Möglichkeit anonymer Teilhabe im Netz immer weiter eingeschränkt wird.
Welche Risiken entstehen für die dort zu verarbeitenden personenbezogenen Daten der Bürger?
Christopher Lang: Die in diesen Systemen gespeicherten und vorgehaltenen Daten der Bürger sind großen Gefahren ausgesetzt. Über "intelligente Stromnetze" können Lebensgewohnheiten abgelesen werden, mit der Gesundheitskarte entstehen riesige Datenhalden mit hochsensiblen und intimen Informationen über die Bürgerinnen und Bürger. Wir lehnen die Gesundheitskarte und den elektronischen Personalausweis daher ab. Ein Risikoprofil über jeden Einzelnen entspricht nicht unserem Verständnis des liberalen Sozialstaates.
Durch faktischen Identifizierungszwang, wie er z. B. mit dem E-Perso in Kombination mit Alterskennzeichnungen im WWW durch den JMStV (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Einf. d. A.) realisiert werden könnte, werden Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit zusätzlich eingeschränkt. Wir fordern daher eine grundlegende Revision des JMStV und ein Verbot von verpflichtenden Identifizierungsmaßnahmen im Netz zum Schutze der Demokratie und freien Willensbildung.
Welche Risiken entstehen für unseren demokratischen Rechtsstaat?
Christopher Lang: Wer nicht mehr sicher sein kann, wer was über ihn weiß, der wird sein Verhalten vorsorglich anpassen. Diese wegweisende Essenz, mit der das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung zum Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen hat, ist für uns Handlungsmaxime. Wir als Partei versuchen daher selbst so datensparsam wie möglich zu arbeiten und bekämpfen staatliche Überwachungsmaßnahmen und Datenhalden.
Konkret wird das biologische Geschlecht für Mitglieder der Piratenpartei einfach nicht erfasst, da das Datum "Geschlecht" für die Mitgliederverwaltung nicht benötigt wird. Wir wehren uns gegen eine Gesellschaft, in der der Einzelne Angst haben muss, wenn er zum Arzt geht, wenn er den Strom einschaltet oder wenn er mit Behörden Kontakt aufnimmt.
Wie kann diesen Risiken begegnet werden?
Christopher Lang: Die elektronische Gesundheitskarte und die damit verbundene IT-Infrastruktur muss gestoppt werden.
- "Intelligente Netze" darf es nur geben, wenn die informationelle Selbstbestimmung der Bürger vollständig gewahrt ist und keine Daten ohne Einwilligung ausgeleitet werden können.
- Es darf keine Vergünstigungen oder Rabatte gegen die Preisgabe von Informationen geben, beispielsweise Bonus für einen digitalen Zähler oder Auto-Versicherungsrabatt für GPS-Tracker.
- Der elektronische Personalausweis ist zurückzunehmen.
- Systeme zur verpflichtenden Identifizierung von Nutzern im Netz sind strikt abzulehnen.
- E-Government muss strikte Datensparsamkeit und sichere Systeme voraussetzen. Es dürfen nur absolut notwendige Daten erhoben und abgefragt werden.
- Die Bürgerinnen und Bürger müssen umfassend über die möglichen Gefahren der Technik informiert werden.
- Sichere Systeme müssen entworfen und gefördert werden.
- Der Staat muss davon abkommen, immer mehr Daten erfassen und speichern zu wollen. Außerdem muss er seine Bevölkerung aktiv im bewussten Umgang mit den eigenen Daten schulen und auf die Risiken und Vorteile aufmerksam machen.
Europäische Innenminister haben sich 2007 auf Einladung des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble in der "Future Group" zusammengeschlossen. In einem "Konzeptpapier zur öffentlichen Sicherheit in einer vernetzten Welt" schreiben sie: "Die Bürger hinterlassen bereits viele digitale Spuren mit ihren Bewegungen. Eins jedoch ist klar: Die Anzahl dieser Spuren (und die detaillierten Informationen, die sie enthalten) wird sich höchstwahrscheinlich innerhalb der nächsten zehn Jahre um ein Zigfaches steigern. Von jedem Objekt, das eine Person benutzt, jede Transaktion, die sie unternimmt, und nahezu überall, wo sie hingeht, wird es digitale Aufzeichnungen geben. Das bedeutet für die Sicherheitsorgane reichlich Information und liefert riesige Möglichkeiten für effektive und produktive Sicherheitsanstrengungen."
Teilen Sie die Einschätzung? Steigt die öffentliche Sicherheit umso mehr, je mehr personenbezogene Daten der Bürger verfügbar sind?
Christopher Lang: Diese Einschätzung teilen wir selbstverständlich nicht. Um derartiges umzusetzen müssten riesige Datenmengen zusammengeführt werden und zentral ausgewertet werden. Die entstehenden Datenberge würden eine massive Gefahr für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger darstellen. Wir wehren uns dagegen, dass der Staat immer mehr Daten über uns erfasst.
Auf EU-Ebene wird im dem Forschungsprojekt INDECT genau dies versucht, die PIRATEN kritisieren INDECT als Bedrohung für die individuelle Freiheit. INDECT-Überwachung soll zuerst bei der Fussball-Europameisterschaft in Polen in großen Stil getestet werden.
Die Autoren dieses Dokuments schreiben außerdem: "Weiterhin wird der Tsunami der Daten durch das Online-Verhalten beschleunigt. Soziale Netze wie MySpace, Facebook, Second Life - und tatsächlich alle anderen Online-Aktivitäten - verursachen riesige Mengen von Informationen, die den Sicherheitsbehörden dienlich sein können."
Ist daraus zu schließen, dass alle Bundesbürger kollektiv verdächtig sind und für sie deshalb ein "Terrorscore" berechnet werden muss?
Christopher Lang: Wir sehen die Gefahr, dass durch ausufernde Überwachung und Datensammlungen alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Deshalb wehren wir uns gegen solche Entwicklungen und setzen uns mit unserem Programm für einen besseren Datenschutz ein. Die Unschuldsvermutung ist ein essentieler Bestandteil des Rechtsstaates. Mit dem Projekt "INDECT" gibt es bereits ein Forschungsprojekt auf EU-Ebene, das aktiv Webseiten, aber auch z. B. Bilder von Überwachungskameras oder Bewegungsdaten von Handys auswertet. Hiermit sollen "auffällige Verhaltensweisen" frühzeitig erkannt werden. Die PIRATEN setzen sich bereits seit dem Bekanntwerden gegen das Projekt ein.
Grundsätzlich ist gegen Scoring nichts einzuwenden, nur wenn für jeden Mensch in Deutschland eine Zahl ausgerechnet wird, die ihn als potentiellen Gefährder ausweist, wird der Mensch zum Objekt und Sicherheitsrisiko degradiert. So kann er automatisiert von staatlichen und halbstaatlichen Stellen bedrängt und im täglichen Leben "sanft" schikaniert werden, etwa bei etwas mehr Fragerei beim Fahrkartenkauf, etwas mehr Warten in der Kontrolle oder überhaupt etwas häufigeren Kontrollen - ohne auf den ersten Blick durchschaubaren Anlaß. In den Niederlanden gibt es so etwas schon. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die Menschen mit etwas höherer Risikoeinstufung ausgrenzt, ohne dass sie sich wehren können.
Dies steht soziologisch betrachtet diametral zu dem Ziel vermeintliche Sicherheitsrisiken zu begrenzen. Ein Mensch wird sich durch derartige Schikane eher weiter aufbringen, statt sich in eine Gemeinschaft reintegrieren zu wollen.
Die technischen Möglichkeiten sind aber noch nicht ausgereizt: So bejubelte vor Jahren ein kanadisches Unternehmen sein "fortgeschrittenes integriertes RFID Auto-Identifizierungs- und -Registrierungs-, Strecken- und Mautabrechnungsprogramm für ganz China". Das FBI will künftig Hirnströme messen.. Und Angela Merkel kündigte vor Jahren an: "Wir werden nicht zulassen, dass technisch Manches möglich ist, aber der Staat es nicht nutzt."
Teilen Sie die Ansicht der Kanzlerin?
Christopher Lang: Nein. Nicht alles, was technisch möglich ist, muss auch gemacht werden. Die PIRATEN stehen für eine neue, freiheitsfreundliche Sicherheitspolitik, die Menschenrechte achtet. Wenn der Staat alles kontrolliert, "weil er es kann", handelt er verantworungslos gegenüber seinen Bürgern. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit müssen gewahrt bleiben. Alle geführten Telefongespräche aufzuzeichnen und jeden Schritt eines Bürgers zu verfolgen ist jetzt schon möglich. Es kann aber nicht im Sinne einer Politik sein, die für die Freiheit und Gleichheit des Bürgers steht.
Nochmal zu Facebook: Bundesinnenminister Friedrich bevorzugt Selbstverpflichtungen und lehnt gesetzliche Regelungen ab.
Was glauben Sie, woher Friedrichs Sympathie für Selbstverpflichtungen kommt? Ist der Minister ein Kämpfer für den Bürokratieabbau? Oder fürchtet er, dass die Datenquelle Facebook auch für die Strafverfolger "tot" sein könnte, wenn der Konzern tatsächlich datenschutzkonformes Verhalten an den Tag legen würde?
Christopher Lang: Dass Selbstverpflichtungen kaum Wirksamkeit zeigen, ist bekannt. Es ist daher unverständlich, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung nichts unternimmt, um den Datenschutz in sozialen Netzwerken durchzusetzen. Es ist zu befürchten, dass staatliche Stellen immer mehr auf privatwirtschaftliche Datensammlungen zugreifen werden. Bürgerinnen und Bürger müssen daher aufgeklärt werden, welche digitalen Spuren sie durch ihre Aktivitäten in Social Networks hinterlassen.
Außerdem müssen datenschutzkonforme Alternativen entwickelt werden, z. B. dezentrale soziale Netzwerke, bei denen die Nutzer ihre Daten selbst kontrollieren können.
Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner ermahnt die Bürger stattdessen zur Datensparsamkeit.
Was raten Sie? Datentechnische Enthaltsamkeit oder das eigene Leben den Strafverfolgern komplett zur Verfügung stellen?
Christopher Lang: Wir raten den Bürgerinnen und Bürgern sich genauestens zu informieren, wie mit ihren Daten umgegangen wird, wie lange diese von wem gespeichert werden, wer darauf Zugriff bekommt und wohin diese weitergeleitet werden. Die Entscheidung, ob man bspw. an sozialen Netzwerken teilnimmt, muss informiert und selbstbestimmt getroffen werden.
2007 wollte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt eine Meldepflicht für "selbstverschuldete Krankheiten" einführen. Als Referenz wurden Tätowierte und Gepiercte genannt, die ihre Behandlungskosten selbst tragen sollten.
Halten Sie das für eine gute Idee?
Wenn ja: Sollten dann auch die Raucher, Alkoholiker, Dicke, Magersüchtige, Sportler und Nichtsportler selbst zahlen?
Christopher Lang: Nein. Wir halten das für keine gute Idee. Wir leben in einer Solidargemeinschaft. Ausgrenzung, Mobbing und Vorveruteilung durch derartige Projekte würden sich durch eine solche Regelung potenzieren. Zu Ende gedacht würde dabei jeder Bürger einer Risikogruppierung zugeordnet. Jeder hat irgendein Laster oder tut sonst etwas, das potentiell seine Gesundheit schädigen könnte.
Sollten dann auch die EC-Karten-Belege aus dem Supermarkt herangezogen werden, die Aufschluss über Fett- und Alkoholgehalt des Einkaufs geben?
Christopher Lang: Nein!
Die Kinderreporter des ARD Morgenmagazins deckten bereits vor Jahren Wissenslücken bei Spitzenpolitikern auf: Für Außenminister Westerwelle ist ein Computer "so etwas wie ein Hammer oder ein Nagel". Die frühere Justizministerin Brigitte Zypries wusste nicht, was ein "Browser" ist.
Was bedeutet es, wenn Politiker nicht nur keine Ahnung von technischen Entwicklungen haben, die unser Leben entscheidende prägen werden, sondern damit auch noch kokettieren?
Christopher Lang: Dass Minister und Abgeordnete Gesetzesinitiativen entwickeln, für deren Folgenabschätzung ihnen die Kompetenz fehlt, bereitet uns große Sorge. Wir halten es für unsere Politik daher für wichtig, dass wir uns nur einmischen, wenn wir ausreichend Informationen und Erfahrungen in einem bestimmten Bereich haben.
Es muss nicht jeder Politiker zu jedem Problem eine vermeintliche Lösung parat haben. In vielen Bereichen sollten sich heutige Politiker jedoch entsprechend weiterbilden. Ansonsten ist keine informierte, lebensnahe und damit fundierte Entscheidung möglich.
Wer entscheidet, wenn die Politiker nicht einmal begreifen, worum’s geht?
Christopher Lang: Über Gesetze entscheidet das Parlament. Insofern sind alle Abgeordneten in der Verantwortung, sich entsprechend über die Folgen ihrer Beschlüsse vorab zu informieren. Für den Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik fordern wir, dass künftig jeder Vorschlag für neue Sicherheitsmaßnahmen noch im Entwurfsstadium von der Europäischen Grundrechteagentur oder einer entsprechenden deutschen Einrichtung auf diese Kriterien hin begutachtet wird.
Nur durch einen solchen "Gesetzes-TÜV" kann weiteren verfassungswidrigen Angriffen auf unsere Grundrechte frühzeitig entgegengewirkt werden. Der Grundrechteagentur müssen dafür alle nötigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Der BGH ist jedenfalls nicht das geeignete Organ, um derartige Aufgaben im Nachhinein immer wiederkehrend klären zu müssen.
Und die vielen tausend Einflüsterer aus Großkonzernen und Lobbyverbänden?
Christopher Lang: Der intransparente Lobbyismus ist ein tatsächliches Problem. Für uns ist es unbegreiflich, wie es sein kann, dass z. B. so genannte "Leihbeamte", also Angestelle von Privatfirmen, in Ministerien mitarbeiten. Auch dass ganze Gesetzesentwürfe von Firmen oder Lobbyverbänden diktiert werden, ist ein unhaltbarer Zustand.
Über welche Qualifikation muss ein Politiker im 21. Jahrhundert verfügen, bevor er über die Projekte der Informationsgesellschaft entscheiden kann/darf?
Christopher Lang: Politiker müssen heute die Kompetenz besitzen, sich schnell in neue Themenfelder einzuarbeiten und im Zweifel von ihrem Recht der Stimmenthaltung Gebrauch zu machen.
Die Stadt Köln beschäftigt 220 Politessen, um den "ruhenden Verkehr" zu beobachten. Die Datenschützer in Bund und Ländern beschäftigen Mitarbeiter in gleicher Größenordnung. Mit wenigen hundert Personen sollen Behörden, Krankenkassen, Großkonzerne, Mittelständler und Ärzte überwacht und Millionen Menschen datenschutzrechtlich beraten werden.
Halten Sie die Personalausstattung der Datenschützer für angemessen?
Christopher Lang: Nein. Wir fordern eine massive Aufstockung der personellen und finanziellen Ausstattung der Datenschutzbeauftragten. Außerdem müssen die Datenschutzbehörden in allen Ländern endlich in unabhängige Datenschutzzentren umgewandelt werden.