Endlager gefunden?
Frankreich hat sich für die Tiefenlagerung von radioaktivem Atommüll entschlossen und dabei eigene Gesetze umschifft
Dass die Atomkraft unsicher ist, hat sich erst vergangene Woche wieder im schwedischen Forsmark gezeigt, als es im dortigen Reaktor wohl beinahe zur Kernschmelze gekommen wäre (Fast-GAU in Schweden). Fast zeitgleich versammelten sich im kleinen lothringischen Dorf Bure Atomkraftgegner, um gegen die französischen Endlagerpläne zu protestieren. Denn hier glaubt die Nationale Agentur für Radioaktive Abfälle (Andra) eine Lösung für den Atommüll gefunden zu haben, den das Atomstromland in Jahrzehnten angehäuft hat. Über den Euratom-Vertrag ist auch Deutschland an der Finanzierung der Pläne beteiligt. Was sich in der französischen Endlagersuche in 15 Jahren ereignet hat, schafft allerdings kaum Vertrauen in die Pläne. Ohne effektive Forschungen betrieben zu haben, will Frankreich in Lothringen ein Endlager bauen, um in eine neue Reaktorgeneration einsteigen zu können.
Man schrieb das Jahr 1991, als der Gesetzgeber in Frankreich die rechtliche Grundlage für die Suche nach einem Endlager für den französischen Atommüll festgelegt hat. Nach dem „Loi Bataille“ sollte nach 15 Jahren Forschung, also 2006, eine Lösung für das drängende Problem des hochradioaktiven Atommülls gefunden werden. Die 59 AKWs in Frankreich, mit denen fast 80% des Stroms erzeugt werden, haben in den vergangenen Jahrzehnten enorme Mengen Atommüll erzeugt. Nach Angaben von 1995 waren es damals 120.000 Tonnen, die auf eine sichere Lagerung für mehrere 100.000 Jahre warten. Genaue aktuelle Zahlen gibt es nicht, da in Frankreich auch diese Frage unter das Militärgeheimnis fällt (Atomfragen als Staatsgeheimnis).
Nach dem Gesetz hätte die Andra bis 2006 drei verschiedene Lagermöglichkeiten für den hochradioaktiven Müll prüfen sollen: Einlagerung in Granit, in Ton-Lehm und eine oberirdische Lagerung. Doch sofort entwickelte sich Widerstand an den Orten, welche die Andra für die Forschung in Betracht zog, vor allem an den geplanten Granitstandorten hat sie sprichwörtlich auf Granit gebissen. Der massive Widerstand der Bevölkerung in diesen Regionen hat es verhindert, dass dort so genannte Endlagerlabors eingerichtet werden konnten.
Das gelang nur in Bure im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg, obwohl sich auch hier seit 1994 langsam Widerstand entwickelte. 1999 wurde hier mit dem Bau des Labors begonnen, um die Lehm-Ton-Schicht zu untersuchen, die sich in etwa 500 Meter Tiefe unter der winzigen Gemeinde mit 80 Einwohnern befindet. Sie hat eine Dicke von 40-50 Metern und soll geologisch sehr stabil und deshalb für die Einlagerung von Atommüll über sehr lange Zeit geeignet sein.
Seither wurden hier zwei Löcher gebohrt. Kürzlich erreichte man die erwartete Tiefe von 500 Metern und führte die Stollen zusammen. Sichtbar wurde dies durch den Abbau eines Bohrturms. Immer wieder gab es Probleme, die Arbeiten ruhten monatelang, weil ein Arbeiter ums Leben kam und eine Untersuchung stattfand. Arbeiter berichteten auch von weiteren Problemen. So sei das Gestein sehr brüchig gewesen, weshalb man mit den Bohrungen nur langsam voran gekommen sei. Nach den ursprünglichen Planungen sollte eigentlich erst jetzt das Labor eingerichtet werden, um das Verhalten des Gesteins auf das Einbringen von radioaktiven Materialien zu untersuchen. Da die Andra schon 2006 Ergebnisse liefern musste, wurde im letzten Jahr ein Labor eingerichtet, als man am Rande der Schicht in 450 Meter angelangt war.
Trotz der Verzögerungen war man bei Andra stets optimistisch. Schon bevor dieses Labor errichtet worden war, seien in Versuchen an gezogenen Bohrkernen „kohärente Resultate zu den Voruntersuchungen und Hypothesen, die wir über das Gebiet angestellt hatten“, erzielt worden, sagte der Laborleiter Jacques Pierre Piguet schon vor drei Jahren. Michele Chouchan, Direktionsmitglied der Andra, wich der Frage des Autors nach den gesetzlich vorgeschriebenen Vergleichsstandorten aus. „Es ist sehr schwer für uns, darauf zu antworten.“ Sie wisse nicht, ob nach der Abgabe des Bure-Berichts „noch ein zweiter Standort gesucht wird“.
Noch im letzten Jahr erklärten Regierungsvertreter, für die Suche nach einer Lösung für den Atommüll sei „ein weiteres Jahrzehnt“ erforderlich. Das sagte der Industrieminister François Loos, und auch der Forschungsminister François Goulard meinte, für eine Entscheidung über ein Endlager sei es noch zu früh. Doch noch kurz vor der Parlamentspause haben die Konservativen im Parlament doch eine Entscheidung gefällt. Auf Basis der wissenschaftlich zweifelhaften bisherigen Forschung wurde kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das sich für die Vergrabung ausspricht. Nur darüber, ob der Müll rückholbar vergraben wird oder nicht, soll später noch einmal entschieden werden. Von Bure wird zwar nicht gesprochen, aber in Ermangelung anderer Standorte läuft es definitiv auf die wenig besiedelte Region hinaus. Peinlich war, dass bei dem Beschluss gerade 18 Abgeordnete anwesend waren. Es wäre damit für die Opposition leicht gewesen, wie zunächst beim Urheberrecht, das Vorhaben zu stoppen. Dafür hätten nur alle die mit Nein stimmen müssen, die sich sonst gegen die Atomkraft und das Endlager aussprechen.
Dass nun doch eilig entschieden wurde, dürfte damit zusammen hängen, dass die Regierung unter Jacques Chirac ein neues Atomzeitalter eingeläutet hat und befürchtet, im nächsten Jahr die Wahlen zu verlieren. So wurde der Iter nach Frankreich geholt (Frankreich strahlt) und in Penly (Normandie) wurde derweil schon mit dem Bau des European Pressurized Reaktor (EPR) begonnen. Nach Umfragen sprechen sich immer mehr Franzosen gegen die Atomenergie aus, weil die Atommüllfrage nicht gelöst ist. Im Frühjahr demonstrierten am Bauplatz in Penly Zehntausende gegen den Bau des EPR. Um eine Lösung des Müllproblems vorzutäuschen, müssten deshalb bei Bure nun Tatsachen geschaffen werden, sagen die Atomkraftgegner. Die Andra hat derweil die Lage der etwa 200 Quadratkilometer großen Schicht bestimmt und damit insgesamt 16 Dörfer aufgeschreckt, die als mögliche Standorte in Betracht kommen. Mit Probebohrungen soll bald begonnen werden.
Inzwischen wird der Widerstand vor Ort stärker. Deutlicher Ausdruck dafür, dass die Atomkraftgegner, die sonst aus Nancy, Bar le Duc oder aus noch entfernteren Regionen anreisen, sich in den letzten Jahren in der Gegend verankern konnten. Bei der Demonstration am vergangenen Sonntag im Rahmen des Widerstandsfestivals waren mehr als 1000 Menschen gekommen. Für das Fest hatte ein örtlicher Bauer den Kernkraftgegnern einen steinigen Acker zur Verfügung gestellt, damit die gegenüber des Bohrturms feiern konnten.
Schon das ist ein Erfolg in der konservativen und fast menschenleeren Region, in der sich die staatliche Agentur für Radioaktive Abfälle seit Jahren mit viel Geld versucht hat, beliebt zu machen. Jährlich flossen bisher fast acht Millionen Euro für kommunale Aufgagen in die Region. In die Departements Meusse und Haut Marne flossen kamen jährlich jeweils neun Millionen Euro, um die Lokalpolitiker gefügig zu machen. Diese Summen wurden nun erhöht. In den Bau des Endlagerlabors wurde weit über eine Milliarde Euro investiert.
Angesichts des Verlaufs des Projekts ist für die Gegner klar, dass hier auf Teufel komm raus ein Endlager entstehen soll. Das habe nichts mit der Beschaffenheit des Untergrunds zu tun, sondern mit der Tatsache, dass hier nur wenige Menschen leben. Die Region ist arm und mit Versprechen von Arbeitsplätzen und Investitionen ködere man die Leute. Bisher hätten viele den Gegnern nicht geglaubt, dass hier ein Endlager entstehen soll. Nur zu gerne habe man geglaubt, dass hier wie an anderen Orten nur geforscht werdee. „Geforscht wurde hier bisher praktisch nichts“, sagte der Koordinator des Widerstandshauses Peter Desoi. Mit dem Haus haben sich die Gegner vor zwei Jahren dauerhaft in der Region festgesetzt, es dient als Anlaufpunkt und zur Planung von Aktivitäten.
Mit dem Widerstand und den neuen Entscheidungen in Paris ändert sich auch die Stimmung in der Region langsam. Dass aus der Gegend leicht ein europäisches „Atomklo“ werden könnte, befürchten immer mehr Menschen in Frankreich. Nirgends sonst sei man derart weit vorangekommen. Eine Studie von Ursula Schönberger, die im Auftrag des Europaparlamentariers Tobias Pflüger durchgeführt wurde, zeigt auch auf, dass über den Euratom-Vertrag die gesamte EU an Bure beteiligt ist. Die noch unveröffentlichte Studie, die Telepolis bereits vorliegt, spricht davon, dass sieben Millionen an Euratom Gelder nach Bure geflossen sind. So wurde kürzlich auch das 7. Rahmenforschungsprogramm beschlossen, mit dem erneut die Gelder für die Atomforschung erhöht wurden. Schon im 6. Rahmenforschungsprogramm kam der Forschung für regenerative Energien mit 480 Millionen Euro nur ein Drittel der Gelder zu, die weiter in die Atomenergieforschung gesteckt wird.
Interessant findet Schönberger auch, dass diese Forschung der demokratischen Kontrolle entzogen ist. Das Atomforschungsprogramm sei keiner parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Die Atomforschung laufe neben der allgemeinen Forschung und das Europaparlament könne darüber nicht entscheiden. Sie weist in der Studie überdies darauf hin, dass auch der „Euratom-Vertrag als einziger nicht mit der EU-Verfassung verschmolzen wurde, sondern als eigenständiger Vertrag erhalten“ bleibe. Er sei durch ein Protokoll im Anhang der Verfassung an die neuen Verfassungsbestimmungen angepasst worden. Dieser Vertrag verfolge ohnehin nur den einzigen Zweck, die Atomkraft in der EU zu fördern.