Endlich Brexit!

Union Jack, leicht zerknittert. Bild: Ivan Bandura, CC BY 2.0

Nach zähen Verhandlungen tritt heute der neue Handels- und Sicherheitspakt zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Kraft. Der Deal wird für weiteren Streit sorgen

Der mit dem weihnachtlichen Deal besiegelte Brexit ist eine beachtliche "Glanzleistung". Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gelingt es zwei Wirtschaftsblöcken einen Vertrag zu schließen, der für beide Seiten eine klare Verschlechterung darstellt. Der großen Europäischen Union bricht nun mit der "kleinen europäischen Union" Großbritannien ein bedeutender Teil weg.

Hier muss zunächst einmal die propagandistische Leistung der Brexiteers gewürdigt werden, denen es gelang der Öffentlichkeit weis zu machen, die eine Union (die EU) sei schlecht, die andere Union (das United Kingdom, UK) hingegen sei gut. Die große Europäische Union stehe für Unfreiheit und sei ein Fehler, die kleine europäische Union jener vier Reiche England, Wales, Schottland und Nordirland sei hingegen heilig und würde die Freiheit aller befördern.

Nur Nicola Sturgeon, die Schottlands Regierungschefin, meldet ernste Zweifel an. Sie ist äußerst unzufrieden mit dem Verhandlungsergebnis und hat wiederholt bekräftigt, es sei den Schotten (so wie der gesamte Brexit) von London aufgezwungen worden. Bestrebungen, das UK zu verlassen, nehmen wieder in Schottland zu, ebenso historisch erstmals auch in Wales. Und sogar in Nordirland gibt es Wiedervereinigungsgelüste mit der irischen Republik, was vermutlich den Bürgerkrieg neu aufflammen lassen würde.

Dass das Zerbrechen der EU medial nicht als die große Katastrophe gehandelt wird, die sie ist, liegt einerseits an der Corona-Epidemie, andererseits daran, dass das Ergebnis seit langem absehbar war. Das zähe Ringen war schließlich weitgehend eine Inszenierung, die von beiden Seiten betrieben wurde. Die Zähigkeit schien hier und da des Ärmelkanals zu belegen, dass für die eigene Seite alles rausgeholt wurde. Tatsächlich hätten man den sich jetzt abzeichnenden Vertrag schon vor einem halben Jahr unterschreiben können, gleicht er doch in den entscheidenden Details dem, was Theresa May vor vier (!) Jahren in ihrer Rede im Lancaster House angekündigt hatte.

Dabei sorgt der Handelspakt sowohl bei oberflächlicher Lektüre als auch bei eingehenderem Studium für Verwunderung. Oberflächlich gesehen darf sich das Publikum fragen, wozu der jahrelange Humbug überhaupt notwendig war, wenn doch jetzt angeblich alles so bleiben soll, wie es war. Schließlich ist es beiden Seiten wichtig genau, dies zu betonen.

Die Briten haben weiterhin Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt, auch wenn sie jetzt nicht mehr dessen Mitglied sind. Das klingt nach einem scholastischen Unterschied. EU und UK wollen weiterhin gemeinsam an einer besseren - zum Beispiel ökologischeren - Zukunft arbeiten, nur eben nicht mehr innerhalb der Institutionen der EU. Weiterhin würden Briten und EU-Europäer viele Freiheiten genießen können, ihre Waren und Dienstleistungen wechselseitig anbieten können und vieles mehr.

Bei so viel bekundeter Einigkeit könnte man sich fragen, warum die Briten nicht gleich wieder um Aufnahme in die EU ansuchen. Die Verhandlungen dazu würden sicherlich unterhaltsam werden.

Der Schrecken liegt im Detail

Der Blick in die Tiefe offenbart den Schrecken der Details. Die britischen Studenten fliegen aus dem Erasmus-Austauschprogramm, britische Architekten müssen sich zunächst EU-Zertifikate besorgen, dauerhafter Aufenthalt wird Visa-Anträge bedeuten und vieles mehr. Der bürokratische Aufwand wird enorm steigen. Franzosen und Niederländer hatten schon im Herbst hunderte neue Beamten eingestellt, um die neuen Aufgaben bewältigen zu können. Selbiges wird auch für das Vereinigte Königreich nötig werden.

Vieles wird jetzt viel schwieriger und wird wirtschaftliche Nachteile erzeugen. Das Schrumpfen der britischen Wirtschaft gilt Experten bereits als Gewissheit.War aber nicht gerade einer der Gründe für den Austritt der Briten die überbordende EU-Bürokratie gewesen? Sicherlich, nur wurde nie viel über das Kleingedruckte geredet. Die britische Verwaltung hatte immer energisch vor den bürokratischen Folgen des Austritts gewarnt, aber wer hört schon auf Beamte? Lieber liest man die kurzweiligen Kolumnen der beiden Politkolumnisten Nigel Farage und Boris Johnson in den jeweiligen Revolverblättern. Beim Brexit ging der Sieg eindeutig an die Knallchargen und Knattermimen, die jedes rationale Argument im Bühnennebel verschwinden ließen.

Nigel Farage durfte deshalb jetzt zufrieden im Radio konkludieren: "War is over". Er sei zwar von vielen Details enttäuscht und witterte manchen nationalen Verrat, im Grunde sehe er sich aber als Sieger, der viel für die Insel erreicht habe. Ausbuchstabieren was die neugewonnene Freiheit nun konkret bedeuten würde, versucht Farage schon lange nicht mehr. Ihm reicht das Abstraktum. "Freiheit", was immer diese bedeuten mag und "Sieg", über wen oder was auch immer. Die Niederlage und Unfreiheit baden schließlich andere aus.

Geht man jenen Artikel durch, den Boris Johnsons im Jahr 2016 nach gewonnenem Referendum im Telegraph schrieb, dann hat er jedes einzelne Versprechen, das er dort gab, gebrochen. Tatsächlich war es ein wichtiges Argument der "Vote Leave"-Campaign, dass der Austritt zu keinerlei Verschlechterungen für die Bevölkerungen führen würde. Nun zeigt sich, dass dies nicht der Fall sein wird.

Das Hauptargument der angeblich neugewonnenen nationalen Stärke wirkt besonders kurios. Johnson hatte kündigte 2016 angekündigt, die vereinigten Königreiche würden zukünftig mit "leadership" und "top-table opinions" auftrumpfen. Gut, nur an welchem Tisch? Nachdem Großbritannien sich aus vielen bedeutenden Gremien zurückgezogen hat, kann Johnson jetzt seine Tischreden allein schwingen. Vielleicht hört ihm ja zumindest Farage zu.

Der britische Premier hatte seit langem eingewilligt, dass es keine Rückschritte geben wird und Großbritannien alle bestehenden EU-Bestimmungen übernehmen muss. Strittig bis zum Schluss war die Frage, wie mit zukünftigen Entwicklungen umzugehen sei. Beide Seiten wollten verhindern, dass die je andere Seite sie unterbietet in Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards. Hier könnte es nämlich zu einem "Überbietungswettbewerb nach unten" kommen, bei dem jede Seite versucht Investitionen ins Land zu ziehen durch den "günstigeren", weil weniger reglementierten Standort.