Endlich keine Verwandten mehr - oder neue Einsamkeit?

Kaum haben wir begonnen, unsere nächsten Verwandten allmählich zu erkennen und anzuerkennen, so steht das Aussterben der Menschenaffen möglicherweise auch schon kurz bevor

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Vor kurzem wurde erst das Aussterben des Roten Stummelaffen berichtet, der in Ghana und der Elfenbeinküste lebte. Damit sei seit 100 Jahren die erste Affenart endgültig verschwunden. Solche Nachrichten könnten wir bald öfter hören, denn viele Affenarten und besonders auch die Menschenaffen, unsere nächsten Verwandten, könnte es bald nicht mehr geben. Zunehmend scheint es auch in Europa chic zu werden, Affenfleisch zu essen. Ein von der Ape Alliance organisierte Kampagne "2001 An Ape Odyssey", unter anderem von Jane Goodall und BBC unterstützt, will jetzt Druck auf Regierungen ausüben, um noch etwas gegen das Aussterben bewirken zu können.

Orangutan, Foto: Ian Redmond

Nicht gut sieht es im neuen Jahrtausend für unsere nächsten Verwandten, die Menschen in Afrika, Borneo und Sumatra, aus, warnt die Kampagne: "Ohne schnelle und wirksame Eingriffe wird ihre Evolutionsodyssee bald zu Ende." Bald meint auch wirklich sehr schnell, also in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Und das eigentlich auch nicht nur wegen der fortschreitenden Vernichtung des Lebensraums, sondern weil die Menschen vermehrt Jungtiere zum Verkauf fangen oder Affen jagen, weil das "bushmeat" immer begehrter wird.

Während die einen dafür eintreten, den Menschenaffen auch Menschenrechte einzuräumen, weil sie zumindest ähnlich wie Kinder Selbstbewusstsein, eine Persönlichkeit, Möglichkeiten der symbolischen Kommunikation und natürlich eine ziemlich hohe Intelligenz (Menschenrechte für Menschenaffen?), betätigen sich die anderen gewissermaßen als kannibalische Feinschmecker, die just das gut und begehrenswert finden, was selten ist - und eigentlich oft auch verpönt. Von Kanibalismus könnte man schon auch deswegen sprechen, weil Genanalysen gezeigt haben, wie nahe Menschen mit den Menschenaffen verwandt sind. Mit Schimpansen und Bonobos haben Menschen 98,4 Prozent, mit Gorillas 97,7 Prozent und mit Orang-Utans 96,4 Prozent der DNA gemeinsam.

Zwar sind, wie Ape Alliance betont, die Affen in ihren jeweiligen Heimatländern gesetzlich geschützt, doch werden diese Gesetze kaum beachtet. Selbst in geschützten Gebieten werden sie gejagt, wird Wald abgeholzt oder nach Bodenschätzen gegraben. Und auch das internationale Recht, das den Handel mit allen Affen zu primär kommerziellen Zwecken verbietet, habe nicht verhindern können, dass wegen des großen Gewinns Jäger und Händler lebendige Affen und Affenfleisch auf den Markt kommen. Dazu kommen noch Bürgerkriege, Kriege oder überhaupt gesetzlose Zustände, die in afrikanischen Staaten und auf den Philippinen die Probleme für das Überleben der Affen noch verschärft haben.

So fürchtet Jo Thompson, ein Primatologe, dass die Bonobos, die nur im Kongo leben, als nächstes aussterben könnten: "Das ist die Art, die wir wahrscheinlich als nächstes verlieren werden. Sie lebt nur in einem Land, in der Demokratischen Republik Kongo, in die in den letzten Jahren sieben Staaten einmarschiert sind und sie besetzt haben. Wir können dorthin keine Wissenschaftler bringen, während der Krieg weiter geht. Forscher wären der beste Schutz."

Bushmeat - Kopf eines Gorillas, Foto: Ape Alliance

Jane Goodall warnt, dass der Handel mit dem Fleisch von wilden und bedrohten Tieren, besonders im Kongo, das größte Problem des Artenschutzes in diesem Jahrhundert in Afrika sei: "Das ist keine regelmäßige Jagd mehr wie bei den Pygmäen, sondern Jäger von der Stadt kommen auf Lastwagen und schießen alles, von Elefanten und Schimpansen bis zu Vögeln und Ratten, nieder." Und zumeist kommt das Fleisch nicht den Armen zugute, sondern es wird teuer an Reiche verkauft.

Die Jäger allerdings machen das - aus unserer Sicht - meist für wenig Geld, weswegen der Schutz der Affen möglicherweise gar nicht so viel kosten würde. Hoffnung sieht man denn auch vor allem darin, die Gebiete, in denen Menschenaffen noch leben, in Reservate zu verwandeln, die durch Tourismus erhalten werden und den Einheimischen so einen wirtschaftlichen Vorteil oder überhaupt erst eine sichere Lebensgrundlage bieten. Die Initiative zielt darauf, die Staaten, aber auch die Unternehmen, die Holz schlagen und dazu Straßen in die Wälder schlagen, dazu zu bringen, die Affen wirksam zu schützen, während den Menschen bewusst gemacht werden soll, dass dann, so Jane Goodall, wenn der illegale Handel mit bushmeat weiter geht, bald nichts mehr in den verbliebenen Wäldern leben wird.

Ob der Appell allerdings fruchten wird, mit den Menschenaffen unsere nächsten biologischen Verwandten zu retten, darf bezweifelt werden. "Jedes Aussterben in einer Region ist ein Verlust für die Menschen, ein Vrelust für die Menschen in der Region und ein unwiederherstellbares Loch, das in die Ökologie des Planten gerissen wurde. ... Das ist ein Aufruf an die Regierungen und die Einzelnen zu handeln. Wie können wir in die Augen unserer Verwandten schauen und Nein sagen?", fragt Ian Redmond, der Vorsitzende der Ape Alliance.

Sicher, wir werden noch ein Stück einsamer sein, wenn die biologischen Verwandten, die uns am nächsten und ähnlichsten, verschwunden sind - oder höchstens noch einige Exemplare einige Zeit in den modernen Arche Noahs der Zoos überleben. Eigentlich haben wir dies gerade erst entdeckt, denn lange Zeit hatten sich die Menschen nicht nur als eine Art Einzelkind unter den Lebewesen verstanden, sondern auch darauf bestanden, der mit großem Abstand zu allem anderem sich erhebende Gipfel der Schöpfung und die Stellvertreter Gottes zu sein. Und selbst wenn gelegentlich eine Verklärung der Neandertaler, unserer anderen, schon lange ausgestorbenen Verwandten, festzustellen ist, die möglicherweise auch durch unsere Beihilfe verschwunden sind, so sind solche nostalgischen Anwandlungen etwas anderes, als schnelle Aktionen in einer komplizierten Welt.

Vielleicht aber setzen wir auch darauf, dass dank fortschreitender Gentechnik nichts verloren gehen wird, sondern prinzipiell irgendwann einmal wieder zum Leben erweckt werden kann, wenn man nur möglichst alles in Gendatenbanken sammelt. Oder vielleicht stehen wir auch unter dem Eindruck, dass demnächst möglicherweise das Leben auf andere Weise weitergehen könnte, dass unsere Mind Children oder unsere künstlichen Klons entweder das verschwundene Leben ersetzten oder ein solches herstellen können, das unseren Wünschen besser entspricht als dasjenige, das bei der Lotterie der Evolution als Sieger hervorgegangen ist. Ansonsten bleibt, was für vieles andere auch gilt: Wir erkennen den Wert von etwas erst wirklich, wenn es selten geworden oder auch schon verloren ist. Aber dann ist es auch schon zu spät - wenn auch nicht in der digitalen Welt unbedingt, so doch in der materiellen und biologischen.