Energiesparen: Habecks Nebelkerze
Seite 2: Erdbeben durch Gasförderung
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Unterdessen meint die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg sozusagen vor der Haustür der EU eine Alternative zum russischen Gas ausgemacht zu haben. Unter der ostniederländischen Provinz Groningen lagere genug Gas, um die EU für ein Jahr zu versorgen. Angesichts der veränderten außenpolitischen Lage müsse der 2018 endgültig beschlossene Ausstieg überdacht werden.
Noch wird in Groningen allerdings Gas gefördert und ein offensichtlich größerer Teil der Bevölkerung hofft auf das baldige Ende. Seit Beginn der Förderung wird die Region von kleinen Erdbeben erschüttert, die nicht ohne Folgen bleiben.
„Zehntausende“, so Sandra Beckerman aus Westgroningen, die für die Sozialistische Partei in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments sitzt gegenüber Telepolis, müssten in beschädigten und unsicheren Häusern leben.
Die Regierung würde die Betroffenen allein lassen. Über 10.000 Menschen hätten Gesundheitsprobleme, weil die Regierung nichts tue. Auch die staatliche Aufsichtsbehörde habe wieder und wieder festgestellt, dass die Förderung nicht sicher sei.
Auf der Internetseite der Bürgerinitiative „Groninger Bodem Beweging“ sind eindrucksvolle Bilder von den Erdbebenschäden an Häusern zu sehen. Einem dortigen Bericht zur Folge hatte erst Mitte Mai ein Berufungsgericht entschieden, dass die Ermittlungen gegen die Fördergesellschaft NAM fortgesetzt werden müssen. Es bestehe der Verdacht einer schweren Straftat, da nicht nachgewiesen wurde, dass die Gesellschaft Anstrengungen unternommen habe, Gebäudeschäden und Verletzungen von Menschen zu verhindern.
In diesem Zusammenhang nach der geplanten deutsch-niederländischen Offshore-Förderung befragt, meint Beckerman, dass die Förderung unter nicht bewohntem Gelände sicherlich weniger problematisch sei. Dennoch sollte aus dem Groninger Desaster gelernt werden. Besser sei es, die Nutzung von Gas herunterzufahren, als die Probleme in eine andere Region zu verlagern.
Energiesparkampagne
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verlegt sich derweil auf Energiesparapelle an die Bürgerinnen und Bürger. Gemeinsam mit Gewerkschaften sowie Wirtschafts- und Verbraucherverbänden hat er am Freitag eine entsprechende Kampagne vorgestellt.
Die Frage ist allerdings, ob er die richtigen Adressaten gewählt hat. Nach einer kürzlich im Auftrag des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft durchgeführten Umfrage hat eine große Mehrheit im Land – 77 Prozent – bereits ihr Verhalten beim Heizen und Warmwasserverbrauch geändert.
Nur rund 20 Prozent der Befragten gaben an, ihr Verhalten in den letzten Monaten nicht geändert zu haben. Interessant, aber offensichtlich nicht erfragt, wäre wie hoch unter diesen der Anteil jener ist, die ohnehin bereits sehr sparsam mit Energie umgehen und daher unter den jüngsten Preissteigerungen wenig zu leiden haben.
Jedenfalls gaben jeweils rund die Hälfte der neuen Energiesparer an, die Raumtemperatur in der Wohnung gesenkt zu haben, weniger Räume zu beheizen, verstärkt auf das Herunterdrehen der Heizungen zu achten oder sparsamer zu Duschen. Immerhin 13 Prozent haben sich bereits programmierbare Thermostate für ihre Heizkörper besorgt.
Interessant auch die Motivation. Zwei Drittel jener, die in letzter Zeit bewusst Energie gespart haben, taten dies aufgrund der hohen Kosten. 19 Prozent von ihnen spart hingegen vor allem der Umwelt zur Liebe. Den Ukraine-Krieg nannten hingegen nur fünf Prozent der Energiebewussten als wichtigstes Motiv. Dennoch finden viele Journalisten es in der Berichterstattung offenbar wichtig, dieses Motiv in den Vordergrund zu stellen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen also Habecks Werbekampagne gar nicht, und einigen Umweltschützern greift sie daher viel zu kurz. Die deutsche Sektion des World Wide Funds for Nature WWF fordert zum Beispiel, alle Sektoren einzubeziehen. Der Anteil der Haushalte am Endenergieverbrauch habe 2020 nur bei knapp 29 Prozent gelegen.
Notwendig sind insbesondere verbindliche Einsparungen im Industriesektor. Effizienzmaßnahmen müssen dabei an wirtschaftliche Hilfen geknüpft werden. Im Verkehrssektor wäre unter anderem ein Tempolimit sinnvoll.
Viviane Raddatz, Fachbereichsleiterin für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland
Handeln statt apellieren
Auch die Deutsche Umwelthilfe ist bei der Kampagne eher skeptisch und fragt, ob Duschkopf-Tipps politisches Handeln ersetzen sollen. Das Problem der mangelhaften Wärmedämmung und des hohen Energieverbrauchs vieler Gebäude werde nicht angegangen.
Der kann zum Beispiel auch – wie bei vielen Büros – durch Glasfassaden entstehen, die bei Sonnenschein zu starkem Aufheizen der Räume führen und Kühlung notwendig machen. Aber das größere Problem ist die fehlende Wärmesanierung.
Die Energiespar-Kampagne von Robert Habeck ist eine Nebelkerze: Anstatt dass er selbst tätig wird, verschiebt er die Verantwortung vor allem auf die Verbraucherinnen und Verbraucher und gibt Duschkopf-Tipps. Dabei ist auch ihm bekannt: Die Einsparpotentiale durch optimiertes Nutzerverhalten liegen bei wenigen Prozent. Was hingegen wirklich viel Energie spart, ist die Sanierung von Gebäuden, ist die Wärmewende. Dazu braucht es aber keine Appelle, sondern starke staatliche Vorgaben und mehr Förderung.
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH
Statt entsprechende Maßnahmen dazu einzuleiten, lasse der Minister „weiterhin Wochen und Monate verstreichen". Die DUH fordert unter anderem ein sofortiges Einbauverbot für Gasheizungen im Neubau und ab 2024 im Bestand und eine schnellstmögliche Anhebung der Effizienzstandards im Gebäudeenergiegesetz.
Mehr Sonne, Wind und Kohle
Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: China will bis 2025 seine Kapazitäten in der Solar- und Windenergie – schon jetzt die weltweit größten – verdoppeln. Das geht aus einem Bericht der malaysischen Zeitung The Star hervor. Anfang Juni seien entsprechende Pläne vorgelegt worden. Ursprünglich sei dieses Ziel für 2030 angestrebt worden.
Das Vorhaben ist Teil einer Initiative, die Energieversorgung des Riesenlandes abzusichern. Deren wichtigstes Standbein wird aber weiter die Verstromung von Kohle sein, deren Gewicht durch die hohen Öl- und vor allem Gaspreise eher zunimmt. China hatte in den letzten Jahren vermehrt auf Erdgas gesetzt, allerdings stellen die hohen Gaspreise inzwischen die Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken in Frage.
Daher ist nun auch die Ausweitung der Kohleförderung und der Bau neuer Kraftwerke geplant, und das ist natürlich ein Wermutstropfen. Die Zentralbank habe für diesen Sektor im Rahmen der neuen Initiative eine Kreditlinie von 15 Milliarden US-Dollar (14,4 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. (Ein Betrag, für den man in Westeuropa nicht einmal ein neues AKW bauen kann.)
Auf der anderen Seite hätten sich aber die Investitionen in Solarenergie in der ersten vier Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 29 Milliarden Yuan (4,12 Milliarden Euro) verdreifacht. Außerdem ist zu bedenken, dass chinesische Kohlekraftwerke in den letzten Jahren meist ungewöhnlich schlecht ausgelastet waren.