Energieumbau mit Bürgerdialog

Die Bundesregierung will Fehler vermeiden, wie sie bei Stuttgart 21 und anderen Projekten gemacht wurden

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Derzeit veranstaltet das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Zusammenarbeit mit dem Kanzleramt, dem Umweltministerium, dem Wirtschaftsministerium, dem Verbraucherschutzministerium, dem Verkehrsministerium sowie Unternehmen, Forschungsinstituten, Verbänden und Vereinen einen "Bürgerdialog Energietechnologien für die Zukunft". In diesem Rahmen finden seit Juli in acht Städten "Bürgerkonferenzen" statt, in denen geladene Teilnehmer aus der Bevölkerung mit Fachleuten sprechen. Darüber hinaus gibt es offene "Bürgerwerkstätten" und "Online-Konsultationen", an denen jeder teilnehmen kann.

Anlass für den Bürgerdialog waren nach Ministeriumsangaben die Kernschmelzen in Fukushima und der daraus folgende Plan, den Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland bis 2050 auf 60 Prozent zu steigern. Mit dem Dialog will das Forschungsministerium nicht nur herausfinden, woran dem Bürgerwillen nach geforscht werden soll und woran nicht, sondern auch Fehler vermeiden, wie sie bei Stuttgart 21 und anderen Projekten gemacht wurden.

Bürgerkonferenz in München. Von links nach rechts: Frank Behrendt (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften), Kathrin Falk (Verband der Chemischen Industrie), Caterine Schwierz (Büro Bürgerdialog), Hanno Lang-Berens (Verbraucherzentrale Bayern), Hans-Peter Böhm (Siemens).

Interessierte konnten sich für die jeweils eintägigen Konferenzen auf der Bürgerdialog-Website bewerben. Um eine möglichst repräsentative Auswahl zu bekommen, lud man zusätzlich Personen ein, die via Telefonbuch ermittelt wurden. Trotzdem hatten auch die von Telepolis befragten Experten den Eindruck, dass gebildete, ältere und gut situierte Menschen überdurchschnittlich stark vertreten waren - also genau jene Schicht, aus der einer Analyse des Politologen Franz Walter zufolge die "Wutbürger" kommen, die gegen Bauprojekte demonstrieren und klagen - nicht nur gegen die teure Tieferlegung des Stuttgarter Bahnhofs, sondern auch gegen Pumpspeicherkraftwerke, Stromleitungen, Windräder, Geothermieanlagen und sogar gegen Sonnenkollektoren, die ihrer Ansicht nach "die Landschaft verschandeln".

Der Bürgerdialog Energietechnologie scheint beim Forschungsministerium in doppelter Hinsicht passend aufgehoben: Weil er nämlich nicht nur natur- und ingenieurswissenschaftliche Forschungsergebnisse behandelt, sondern auch forscht, was Bürger bewegt. Dazu sollen die Teilnehmer freiwillig einen zehnseitigen Fragebogen anonym (aber mit Angaben zum Geburtsjahr und zum Bildungsstand) ausfüllen. Durch ihn weiß das Ministerium anschließend mehr darüber, was der 60-jährige Akademiker aus Baden Württemberg oder die 40-Jährige Hausfrau aus Hessen unter "Fairness", "Gerechtigkeit" und "Bürgerbeteiligung" versteht und wie sich welche Gruppen zur Forschung an Windrädern, Nanotechnologie, Gentherapien und Fusionskraftwerken stellen.

Experten müssen übertriebene Erwartungen dämpfen

Ein gewichtiger Teil, so hat man bei der Münchener Bürgerkonferenz den Eindruck, verbringen die Experten damit, übertriebene Erwartungen an Technologien wie der Brennstoffzelle zu korrigieren. Geweckt wurden diese übertriebenen Erwartungen von der Industrie, die im Fernsehen mit Brennstoffzellen Imagewerbung betrieb, von der Wissenschaft, die sich mit Übertreibungen Mittel sicherte und von der Presse, die mit Sensationsmeldungen um Aufmerksamkeit buhlte. All dies führte zu einem unrealistischen Glauben an die Marktreife alternativer Energien. Ein Glaube, der mit dazu beitrug, dass der politische Abschied von der Kernenergie so diskussionslos vonstattenging. Ob er auch technisch so reibungslos vonstattengeht, wird erst die Zukunft zeigen:

Frank Behrendt von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, einer der zur Bürgerkonferenz in München geladenen Experten, meint nämlich, dass von 40 Jahren geplanter Energiewende nur etwa 12 Jahre von der Forschung abgedeckt sind. Und Hans-Peter Böhm von der Siemens AG zeigt sich der Auffassung, dass die Brennstoffzelle für Ingenieure das ist, was die Kernfusion für den Physiker ist: Die Kernfusion ist ihm zufolge "immer in 50 Jahren marktreif, die Brennstoffzelle immer in 15".

Nach einführenden Vorträgen der Fachleute können die Bürger auf den Konferenzen an Tischen mit jeweils etwa acht Teilnehmern Vorschläge machen und abstimmen, was aber durch vorgefertigte Karten und Arbeitsblätter zum Ausfüllen ähnlich moderiert wird wie ein Schulunterricht. Moderatoren sammeln die an den Tischen entstandenen Zwischenergebnisse und geben sie an die Experten weiter, die Stellungnahmen dazu abgeben. Danach diskutiert man erneut an den Tischen und entwickelt "Lösungsansätze". Die Lösungsansätze aller acht Bürgerkonferenzen sollen zu einem "Bürgerreport" mit Handlungsempfehlungen zusammengefasst werden, der auf einem "Bürgergipfel" Ende Oktober in Berlin Bundesforschungsministerin Annette Schavan überreicht wird.

Ideen, die noch kein Wissenschaftler hatte und die sowohl praxistauglich als auch ökonomisch sinnvoll wären, kamen auf den Bürgerkonferenzen nach Angaben der Veranstalter bisher noch nicht zur Sprache. Dafür aber Themen, über die man aufseiten der Politik bisher wenig oder gar nicht spricht, die aber eine entscheidende Rolle beim Gelingen des ambitionierten 40-Jahres-Plans spielen dürften. Zum Beispiel der Denkmalschutz, der nicht nur Solardächer, sondern häufig auch den Einbau dichter Fenster und anderer Maßnahmen zur Wärmedämmung verhindert.

Bislang außen vor blieben dagegen EU-Richtlinien wie die FFH-Direktive und der Schutz vor Kostenfallen bei "intelligenten Stromzählern", den jedoch der als Experte geladene Hanno Lang-Berens von der Verbraucherzentrale Bayern für ein wichtiges Thema hält. Seiner Ansicht nach sollten Verbraucherschutz- und Justizministerium schon jetzt entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen dafür schaffen, damit sich keine Abzocker-Geschäftsmodelle etablieren. Allerdings sind die Einsparmöglichkeiten, die es mit solchen "intelligenten Stromzählern" gibt, in der Praxis ohnehin begrenzt: Dass die Waschmaschine, die sich nachts einschaltet, oder der Gefriertruhe, die nur dann kühlt, wenn der Strom gerade billig ist, nicht praxistauglich sind, leuchtet fast jedem ein - außer den Energiekonzernen, die diese Idee propagieren.

Eine praxistauglichere Lösung für das Problem, dass Sonne und Wind nicht immer gleich viel Strom liefern, dürfte im Ausbau von Speicherkapazitäten liegen. Die marktreifste Lösung dafür ist derzeit der Bau von Pumpspeicherkraftwerken, was in Deutschland in der Vergangenheit jedoch auf so eifrigen Widerstand von Naturschützern stieß, dass derzeit ein Drittel des hierzulande produzierten Windstroms für einen eher symbolischen oder sogar "negativen" Preis nach Österreich fließt, wo man weniger Vorbehalte gegen diese Technologie hat. Ein Problem, das in besonderem Ausmaß die Grünen betrifft, die zwar die Energiewende wollen, aber bei der Blockade des geplanten Pumpspeicherkraftwerks Atdorf mit an vorderster Front stehen.

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