Grüne Nebenwirkungen

Über Fragen, die derzeit nicht gestellt werden

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Angesicht der jüngsten Vorfälle in Japan stellen sich viele Fragen zum Umgang mit Atomkraft - einer Technologie aus den 1950er Jahren, die Kernspaltung und Dampfmaschine kombiniert. Dabei kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass man ganz auf sie verzichten will - müsste dann aber der Realität ins Auge blicken, dass Deutschland und Österreich damit (abgesehen vom Ölkönigreich Norwegen) alleine auf weiter Flur stehen und der Wind auch aus Frankreich, Holland, Böhmen oder Schweden herüberweht. Selbst in Polen, wo es bisher noch keine Atomkraftwerke gibt, plant man gerade zwei.

Was auffällt, ist, wie emotional Kernkraft in Deutschland und Österreich häufig abgelehnt wird. Woran das liegen könnte, ist eine spannende und von der Soziologie bisher weitgehend vernachlässigte Frage. Denkbar wäre beispielsweise ein Zusammenhang mit dem Trauma der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem die Bilder verseuchter und verlassener Gebiete rühren.

Diese Emotionalität der Debatte, so scheint es, blendet jedoch nicht nur die Kernkraftaktivitäten der Nachbarländer aus, sondern auch vieles andere: Als erstes fällt da die Frage auf, ob es möglich ist, sichere Atomkraftwerke zu bauen. Wären die Notstromaggregate in Fukushima beispielsweise ebenso wie andere Komponenten mit einem wasserdichten Betonmantel geschützt gewesen, hätten sie dann ebenfalls in diesem Ausmaß versagt? Hätten feste Standards für Frequenzen und Kabel gegolten, wäre dann das für die Notkühlung fehlende Teilstück vielleicht so rechtzeitig zum Einsatz gekommen, dass Schlimmeres verhindert hätte werden können? Und lassen sich Mauern und Ummantelungen so dick bauen, dass Kernkraftwerken weder durch Flugzeuge noch durch panzerbrechende Waffen gefährdet wären?

Gerade bei der letzten dieser Fragen stellt sich freilich gleich eine im Anschluss - die nach der Wirtschaftlichkeit der Errichtung solcher Kernkraftwerke. Das wiederum verweist auf einem weiteren Problembereich, über den bisher in auffälliger Weise geschwiegen wird: Die Privatisierung der Energiewirtschaft. Sicherlich: Tschernobyl bewies, dass auch Kernkraftwerke in öffentlicher Hand nicht vor Versagen geschützt sind, aber in Japan deutet einiges darauf hin, dass wirtschaftliche Interessen der Firma Tepco möglicherweise zur Schwere der Katastrophe beigetragen haben. Strukturell besonders problematisch wird es in jedem Fall, wenn der Kostenfaktor Sicherheit von Behörden kontrolliert wird, die über ihre politischen Leiter mit der Energiewirtschaft verbandelt sind. Hier wären möglicherweise gesetzlich vorgeschriebene Karenzzeiten und eine Säuberung der Aufsichtsräte wirksamer als übereilte Abschaltungen.

Obwohl Attentäter aus den Reihen der Beschäftigten von Energiekonzernen leicht denkbar sind, gibt es bisher wenig Informationen zu Sicherheitsüberprüfungen, die möglicherweise auch Gretchenfragen zu ethnischer beziehungsweise religiöser Diskriminierung und anderen Tabus aufwerfen könnten. Eine ebenfalls weitgehend tabuisierte (aber nichtsdestotrotz wichtige) Frage wäre die, ob bei der Entscheidung für einen möglichst schnellen Atomausstieg die CO2-Einsparungspolitik, deren weltweiter Erfolg ohnehin höchst fraglich ist, nicht zugunsten baulicher Maßnahmen, mit denen man den Folgen des Klimanwandels begegnet, hintangestellt werden müsste.

Will man die Kernenergie durch Stromeinsparungen und erneuerbare Energieformen ersetzen, müsste man sich außerdem fragen, welche Gesetzesänderungen notwendig wären, um Wind- und Wasserkraftwerke nicht an Feldhamstern, Seidelbast und Landschaftsästheten oder dichte Fenster nicht am Denkmalschutz scheitern zu lassen. Hier weisen jedoch vor allem die Grünen kognitive Dissonanzen auf.

Bei den als Wundermittel zur Energieeinsparung angepriesenen "intelligenten Stromzählern" ist der Verbraucherschutz so unterentwickelt, dass sie die via Telefon und Internet betriebenen "Abzock"-Modelle der letzten 15 Jahre locker in den Schatten stellen könnten. In keinem der Wahlprogramme der großen Parteien - auch nicht bei den Grünen, die diese Geräte besonders anpreisen - findet sich derzeit ein Hinweis darauf, dass man vor der Einführung solcher Stromzähler erst den Verbraucher vor den (sich nach geltender Rechtslage geradezu anbietenden) Kostenfallen schützen müsste - etwa, indem man Kappungsgrenzen einführt, bis zu denen Stromanbieter höchstens Gebühren geltend machen und abbuchen dürfen.

Einer Wählerschaft, die zum Teil glaubt, dass es kein sicheres Radioaktivitätslevel gebe, die aber trotzdem Flugzeuge besteigt oder in die Berge fährt, fallen solche Lücken in den grünen Wahlprogrammen bisher anscheinend nicht auf. Und für andere Vorhaben interessiert sich aktuell offenbar kaum jemand. Führte die Bombardierung Serbiens 1999 noch zu einem Sonderparteitag und der (zumindest zeitweisen) Abwendung vieler Wähler, so kann sich heute der Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit zur besten Fernsehsendezeit bizarrer gebärden als Rudolf Scharping, wenn er eine Beteiligung am Krieg in Libyen fordert, ohne dass dies auf größere Aufmerksamkeit stößt. Vielleicht ist mancher Grünen-Wähler aber auch grade klammheimlich froh, dass derzeit die FDP den Außenminister stellt, von dem in den letzten Wochen überraschend besonnene Äußerungen zu vernehmen waren.

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