Energiewende, Diesel und die Macht der Ölkonzerne

Ein Kommentar zur Frage: Wohin mit den politisch unerwünschten Mineralölprodukten Diesel und Heizöl?

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Kürzlich erschien auf Telepolis der Beitrag "Wohin mit den politisch unerwünschten Mineralölprodukten Diesel und Heizöl?" In dem Artikel wird die Problematik der Koppelproduktion der Erdölprodukte in der Raffinerie gut beschrieben und auch die Schlussfolgerung ist total richtig: "An einer grundsätzlichen Änderung der im Transportsektor und der Gebäudeheizung eingesetzten Techniken und der Abwendung von Mineralölprodukten in diesen Sektoren wird letztlich kein Weg vorbeiführen, wenn man eine konsequente Dekarbonisierung erreichen will."

Dem Beitrag von Christoph Jehle kann man noch zwei Aspekte hinzufügen: Zu nennen wären einmal die Interessen und die Macht der Erdölförderer und zweitens der Zeithorizont und die Randbedingungen für die Umrüstung.

Decarbonisierung: Was ist möglich?

Beginnen wir mit dem zweiten Punkt. Decarbonisierung heißt Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energie, dem "Ökostrom". Derzeit werden 38% der Stromproduktion in Deutschland auf erneuerbarer Basis realisiert. Bezogen auf den gesamten Energieverbrauch liegen wir aber nur bei 13-14%. Wenn wir unseren gesamten Energieverbrauch auf erneuerbare umstellen wollen, steigt der Ökostromverbrauch stark an.

Der jährliche Mindestbedarf für einen 90%igen Umstieg auf erneuerbare Energie würde nach eigenen Recherchen bei 850 TWh liegen (Die Energiewende wieder in Schwung bringen). Die Linken in Thüringen kommen in der Broschüre "Energierevolution statt grüner Kapitalismus" von 2012 auf einen Bedarf von 1.100 TWh jährlich und eine "Arbeitsgruppe Energieszenarien" der Grünen beziffert den Bedarf auf 1.200 TWh/a. Obwohl die Arbeiten völlig unabhängig voneinander entstanden sind, liegen die Ergebnisse sehr dicht beieinander, so dass man davon ausgehen kann, dass sie sich gegenseitig bestätigen.

Allerdings betrug die gesamte Stromproduktion in der Bundesrepublik 2018 nur 542,5 TWh. Davon stammen 219 TWh aus erneuerbaren Quellen und wiederum davon nur 157 TWh aus Sonne und Wind. Bei einem angenommenen Gesamtbedarf von etwa 1.100 TWh, wovon 219 TWh erneuerbarer Strom, den wir gegenwärtig erzeugen, abgezogen werden, landen wir bei einem Bedarf von 880 TWh, die an Solar- und Windstrom zugebaut werden müssten (die Potentiale der anderen regenerativen Quellen sind weitgehend ausgeschöpft). Wir müssten also unsere Solar- und Windstromproduktion etwa auf das 6,6-Fache steigern.

Das ist in kurzer Zeit unmöglich. Zumal wir nicht nur die Stromerzeugungsanlagen aufbauen müssen, sondern dazu auch noch die gesamte Netzinfrastruktur, da weder unser Hochspannungsfernübertragungsnetz noch die Niederspannungsnetze vor Ort für derartige Strommengen ausgelegt sind - weshalb der Ersatz von 90% der fossilen Brennstoffe bis 2040 als realisierbar erscheint. Dazu würden 850 TWh Ökostrom pro Jahr benötigt.

Um das zu erreichen, wären nötig: der Zubau von 10 GW Photovoltaik, 2,7 GW Windkraft an Land und 5 GW Windkraft offshore jährlich. Dazu Ausbau der Netze, Umstellung der Heizungen auf Wärmepumpen und der PKW auf Elektrofahrzeuge (Plug-In-Hybriden). Ich halte dies Programm für sehr ambitioniert, aber machbar, wenn wir endlich mit voller Kraft ans Werk gehen und nicht weiterhin die Zeit mit sinnlosen Aktionen und Streitereien vertrödeln. Eine schnellere Decarbonisierung wäre zwar wünschenswert, aber wir sollten realistisch bleiben. Wenn wir dieses Programm in Angriff nehmen, haben wir die nächsten Jahre genug zu tun.

"Wer das Öl kontrolliert, der beherrscht die Staaten"

Politik ist nun mal die Kunst des Möglichen und es bringt gar nichts, irgendwelche Ziele vorzugeben, die nach Lage der Dinge von vorneherein unerreichbar sind. Lieber realistische Ziele, die dann aber auch erreicht werden müssen. Ohne Wenn und Aber. Aus dem Gesagten geht aber auch klar hervor, dass wir noch sehr lange fossile Brennstoffe zur Energieerzeugung benötigen werden, wenn auch hoffentlich in stark sinkendem Ausmaß.

Dass das nicht im Interesse der Erdölförderer liegt, ist klar. Die sind nach der Kohle die Zweiten, die überflüssig werden. Es ist anzunehmen, dass sie genauso verbissenen Widerstand leisten werden, wie die Kohlekonzerne und die Energielobby.

Und wir sollten uns darüber klar werden, mit welchem Gegner wir es hier zu tun haben. Die Kohlelobby ist schon schlimm genug, aber das sind nur nationale Konzerne und ihre Lobbyisten. Beim Erdöl legen wir uns dagegen mit den mächtigsten internationalen Konzernen und mit den hinter ihnen stehenden Staaten an. Henry Kissinger, der ehemalige US-Außenminister, hat einmal gesagt: "Wer das Öl kontrolliert, der beherrscht die Staaten."

Das gilt heute noch genauso wie damals. Wenn wir allerdings kein Öl mehr brauchen, kann man uns damit auch nicht mehr unter Druck setzen. Und außerdem sind Ölexporte die Haupteinnahmequelle einiger Staaten. Das betrifft nicht nur die Ölscheichs, auch Putins Staatsfinanzen hängen zum großen Teil vom Ölgeschäft ab.

Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen und wirklich CO2 einsparen wollen, müssen wir den Erdölverbrauch weltweit reduzieren. Aus Sicht der Erdölproduzenten eine Katastrophe. Die sind an einem wachsenden Erdölverbrauch interessiert und für sie ist jede Maßnahme, die zur Reduktion des Erdölverbrauchs führt, eine Gefahr. Sie werden deshalb weiterhin alles tun, um den Erdölverbrauch anzukurbeln.

Und paradoxerweise könnte dazu auch die Verdrängung des Diesel-PKW vom Markt einen Beitrag leisten.

Die Vorteile des Diesels

Erdöl ist ein Stoffgemisch, das verschiedene Komponenten in einem, je nach Herkunft des Öls, unterschiedlichen Verhältnis, enthält. In der Raffinerie werden die Komponenten destillativ in Fraktionen getrennt, aber das Verhältnis der Fraktionen zueinander wird nicht verändert. Die wichtigsten Fraktionen sind Benzin und Diesel. Der weltweit größte Bedarf besteht an Benzin, weil dies als Vergaserkraftstoff für Autos mit Ottomotor dient. Der Bedarf an Diesel für Fahrzeuge ist wesentlich geringer, weshalb ein Teil des Diesels als leichtes Heizöl verkauft und zu Heizzwecken verbrannt wird.

Da Deutschland über keine eigenen Erdölquellen verfügt und alles Öl importieren muss, bestand hier ein großes Interesse, mit möglichst wenig importiertem Öl möglichst viele Fahrzeuge anzutreiben. Heizen konnte man schließlich auch mit Kohle, dazu war importiertes Erdöl zu knapp. Deshalb wurden in Deutschland schon vor dem 2. Weltkrieg Diesel-PKW entwickelt, obwohl die damaligen Dieselmotoren für den Einsatz in PKW einige Nachteile gegenüber Ottomotoren hatten.

Aber der Vorteil war, dass man kein Benzin benötigte, sondern auf das in der Raffinerie ohnehin anfallende Dieselöl ausweichen könnte (das dann allerdings auch nicht ausreichte). Und im Laufe der weiteren Entwicklung wurden immer bessere Dieselmotoren konstruiert, so dass sie heute für PKW genauso gut geeignet sind wie Ottomotoren. In der Bundesrepublik fährt gegenwärtig ungefähr ein Drittel der PKW mit Diesel.

Wenn man diese durch Benziner ersetzen würde, würde sich der Benzinverbrauch um mindestens die Hälfte erhöhen, vermutlich noch mehr, da es sich bei den Dieselfahrzeugen meist um schwere Langstreckenlimousinen und SUVs handelt, die erstens überdurchschnittlich stark motorisiert sind, mit entsprechend hohem Kraftstoffverbrauch, und zweitens kommen diese Fahrzeuge meist auf überdurchschnittliche jährliche Laufleistungen.

Eine Erhöhung des Benzinverbrauchs um die Hälfte würde aber wahrscheinlich auch eine Erhöhung der Erdölimporte um die Hälfte bedeuten. Zwar würde der Dieselbedarf stark fallen, aber das interessiert die Erdölproduzenten nicht so sehr. Natürlich könnte man auch aus dem überschüssigen Diesel durch Cracken Benzin herstellen, aber das ist ein weiterer Verfahrensschritt, man benötigt dazu entsprechende Anlagen und außerdem bedeutet Cracken große stoffliche und energetische Verluste. Es lohnt sich also meist nicht, denn irgendwie wird man den Diesel schon als Heizöl ohne Verlust verkaufen können, Hauptsache der Rohölabsatz ist gesichert.

Deshalb ist eine Verschiebung des Verhältnis von Diesel-PKW zu Benzinern klimapolitisch kontraproduktiv. Wir müssen stattdessen zu E-Autos kommen, die mit Ökostrom betrieben werden. Und da wir derzeit weder genügend Li-Ionen-Akkus noch genügend Ökostrom produzieren können, sollten wir Diesel-Plug-In-Hybriden bauen, die wir konsequent nur mit Ökostrom laden und sonst mit Diesel fahren.

Das bringt sofort die größtmögliche CO2-Einsparung. Nebenbei können wir solche Fahrzeuge auch noch als Netzreserve in Form von Notstromaggregaten nutzen, da sie sowohl einen Verbrennungsmotor als auch einen Generator haben. Wir müssen nur sowohl die Fahrzeuge wie auch die Ladeinfrastruktur und die Netzsteuerung von vorneherein dafür auslegen, dann ist der zusätzliche Aufwand sehr gering.

Verkehrswende

Und außerdem müssen wir uns langsam mal ernsthaft Gedanken um eine Verkehrswende machen. 47 Millionen in Deutschland zugelassene PKW sind mindestens 20-30 Millionen zu viel. Und wir müssen nicht nur die Zahl der Fahrzeuge um mindestens die Hälfte reduzieren, sondern auch die gefahrenen Kilometer. Und das gilt nicht nur für den PKW-Verkehr, sondern für alle Transporte.

Wir werden um eine drastische Reduktion unseres Verkehrs nicht herum kommen, denn unser gesamtes Verkehrssystem ist chronisch überlastet. Und es ist unmöglich, es so auszubauen, dass es dem wachsenden Verkehr gewachsen ist. Das wurde über 50 Jahre erfolglos versucht, weil immer, wenn man die Verkehrswege durchlässiger gemacht hat, der Verkehr weiter angestiegen ist und sich der alte Überlastungszustand (z.B. Dauerstau) wieder eingestellt hat, nur eben auf einem neuen, höheren Niveau mit mehr Teilnehmern. Deshalb bleibt nur, das Verkehrsaufkommen drastisch zu reduzieren.

Das bedeutet aber, dass wir nicht nur unsere Verkehrssysteme umbauen müssen, sondern unsere gesamte Gesellschaft.

Beispielsweise wird ein großer Teil des Verkehrs in den Ballungszentren durch Pendler verursacht, die früh aus dem Umland in die Stadt fahren und abends zurück. Dabei sind Strecken von 50 km und mehr keine Seltenheit. Das kostet den Pendler täglich 1-2 Stunden Fahrzeit und ist völlig unproduktiv und überflüssig. Aber da der Pendler in der Regel in der Nähe seiner Arbeitsstätte keine adäquate, bezahlbare Wohnung findet, ist er gezwungen, täglich aus dem Umland zur Arbeit zu fahren.

Oder nehmen wir die "just in time"-Produktion, z. B. im Automobilbau. Die Autofabriken haben heute eine sehr geringe Fertigungstiefe und montieren die Fahrzeuge meist nur noch aus Teilen, die von Zulieferfirmen geliefert werden. Die Anlieferung erfolgt per LKW. Eine eigentlich notwendige Lagerhaltung existiert nicht, statt dessen kreisen die anliefernden LKWs solange um das Werk bzw. stehen auf irgendwelchen nahegelegenen Parkplätzen, bis die Teile, die sie geladen haben, benötigt werden. Dann werden sie per Funk ins Werk gerufen. Das Autowerk spart sich so die Kosten für die Lagerhaltung. Diese werden stattdessen über den Verkehr auf die Gesellschaft abgewälzt.

Wenn wir diesen, eigentlich überflüssigen Verkehr abschaffen wollen, müssen wir allerdings die gesamte Produktion ändern. Aber sowohl die Produktion wie auch die Gesellschaft sind ja nicht unveränderlich, sondern entwickeln sich laufend weiter. Und vielleicht gelingt es uns ja, die künftige Weiterentwicklung zu nutzen, um die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren.