Entspannungswettlauf zwischen Indien und Pakistan

Trotz Atomwaffentest und Anschlägen moslemischer Extremisten soll der Dialog zwischen beiden Nuklearmächten wieder aufgenommen werden

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In der schwelenden Krise zwischen Indien und Pakistan zeichnet sich eine vorsichtige Entspannung ab. Die Entwicklung kommt durchaus überraschend, denn seit beide Staaten vor fünf Jahren, im Mai 1998, kurz nacheinander erfolgreich nukleare Waffen getestet haben, waren die diplomatischen Kontakte auf ein Minimum reduziert worden. Hauptstreitpunkt ist die von beiden Seiten beanspruchte Kaschmir-Region, von der aus bewaffnete moslemische Gruppen gegen Indien operieren. Ihre ideologische und logistische Basis haben sie in Pakistan. Indiens Regierung wirft dem Nachbarstaat deswegen aktive Unterstützung des Terrorismus vor.

Am 18. April nun lud der pakistanische Premierminister Zafarullah Jamali seinen indischen Amtskollegen überraschend zu Gesprächen ein. Die Antwort aus Neu Delhi kam prompt: Auch Indiens Premier Atal Behari Vajpayee begrüße einen "Prozess des Dialoges". Seither folgte eine Welle von gegenseitigen Bekundungen des guten Willens. Auch die diplomatischen Beziehungen sollen wieder normalisiert werden.

Die neue Freundschaft geht soweit, dass selbst der jüngste Raketentest Indiens Ende April keine Folgen hatte. Ganz im Gegenteil: Als auf einem Testgelände im ostindischen Unionsstaat Orissa eine Prithvi-Mittelstreckenrakete abgeschossen wurde, hieß es in Islamabad lediglich, man sei über den Test vorab informiert worden. Ein Abrüstung wurde indes von beiden Seiten begrüßt. Indien wiederum regierte ungewohnt gelassen auf eine Reihe von Anschlägen moslemischer Extremistengruppen. Zuletzt wurden bei Anschlägen zu Beginn dieser Woche in der Unruheregion Kaschmir ein Mensch getötet und 21 weitere verletzt. Am Dienstag Abend dann ermordeten moslemische Extremisten 19 bengalische Siedler im indischen Unionsstaat Tripura.

Der Prozess plötzlicher Annäherung hat aber nicht nur die Extremisten zu einer Terroroffensive motiviert, auch auf politischer Ebene geraten beide Seiten unter Druck. Während ein Sprecher der in Pakistan operierenden Rebellengruppe Lashkar-e-Tayyaba ankündigte, den "Kampf um Kaschmir" weiter fortzuführen, veröffentlichte die indische Tageszeitung "The Hindu" die Kritik eines ungenannten Abgeordneten. Er bemängelte, dass Pakistan sich zu sehr zurückhalte. So stünden zahlreiche indische Produkte nach wie vor auf einer schwarzen Liste und könnten nicht in das Nachbarland exportiert werden. Zu erwarten ist, dass die Gegner der Entspannungspolitik - fühlen sie sich übergangen - von Kompromissen Abstand nehmen. Besonders für den pakistanischen Militärmachthaber, General Pevrez Musharraf, könnte sich dieses politische Konfliktpotential in Anbetracht von Hardlinern in der Armeeführung zu einer ernsthaften Bedrohung auswachsen.

Massiver Druck seitens der USA

Es bleibt die Frage nach der Ursache des plötzlichen Sinneswandels bei den Staatschefs, zumal der Annäherung in keinem der beiden Staaten eine parlamentarische Diskussion vorausging. Ein Indiz für die hier wirkenden Interessen ist die Ankündigung des US-Vizeaußenministers Richard Armitage, beide Staaten zu besuchen. Mit ihm soll die für Südasien zuständige Beamtin im US-Außenministerium, Christina Rocca, reisen. Im Vorfeld hatte Washington merklich den Druck auf Pakistan erhöht, der Gewalt moslemischer Gruppen Einhalt zu gebieten. So zeigte sich Richard Haass, der Leiter des Planungsstabes im US-Außenministerium "enttäuscht und frustriert" von der Politik Islamabads, im diplomatischen Ton eine durchaus starke Aussage. Just einen Tag später, am 18. April kam das Gesprächsangebot aus Islamabad.

Offensichtlich üben die USA auf beide Staaten massiven Druck aus, um die Krisenherde in der Peripherie des Brennpunktes Afghanistan in den Griff zu bekommen. Der Politikprofessor am U.S. Naval War College in Newport, Thomas P.M. Barnett immerhin zählt Pakistan zu "den möglichen nächsten Zielen einer direkten US-Militäraktion". Pakistan war auf dem besten Weg, von den USA zum Schurkenstaat erklärt zu werden, schreibt Barnett, und bekennt offen: "Aus Sorge, Pakistan könnte in die Hände radikaler Moslems fallen, entschlossen wir uns dann aber, Hardliner-Militärs zu stützen."