Entsprang der NSU einem Thüringen-Sumpf?
Seite 2: Die "wilden 90er Jahre": Immobiliengeschäfte im ganz großen Stil
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- Die "wilden 90er Jahre": Immobiliengeschäfte im ganz großen Stil
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M. soll damals ins Innenministerium zitiert worden sein, wo ihm die "Marschrichtung" gezeigt wurde, so G., der sich selber zu jenem Zeitpunkt im Urlaub befand. Die Marschrichtung hieß: "Wir haben Dienels Angaben im Protokoll zu vergessen. Es war nicht erwünscht, dass wir weitermachen." Sprich: nicht ermitteln, vor allem zu Politikern, zum Verfassungsschutz und zur rechten Szene.
Nach einer Einschätzung gefragt, kommt der Experte für Organisierte Kriminalität auf die "wilden 90er Jahre" zu sprechen, jenem Nachwendejahrzehnt mit strukturellen Umbrüchen nach dem Ende der DDR. Er spricht von Immobiliengeschäfte jener Jahre "im ganz großen Stil", bei denen die Politik im Hintergrund "die Fäden gezogen" habe und von Projekten, die "vom Land gesponsert" wurden.
In Weimar führten sie Ermittlungen, bei denen es um Immobilien im Wert von über 30 Millionen gegangen sei. Es habe "illegale Treffen von Politikern mit Politikern anderer Länder gegeben". Es sei um Exportgeschäfte nach Russland gegangen. Einmal hätten sie Hinweise bekommen, dass sich ein Landespolitiker in Thüringen mit dem russischen Nationalisten und Duma-Abgeordneten Wladimir Schirinowski getroffen habe. Sie hätten dazu nicht ermittelt, stattdessen aber der BND.
Ein politischer und wirtschaftlicher Sumpf, in dem auch gewalttätige, kriminelle Neonazis gediehen und zu tun bekamen. In Jena trieb in den 1990er Jahren eine Bande ihr Unwesen, zu der aus dem späteren NSU-Kerntrio mindestens Uwe Böhnhardt gehörte. Die Anführer, zwei Brüder namens Ehrhardt, waren zugleich Informanten des LKA.
Dienel, der Zuträger, soll unter anderem von rechten Aktivisten aus Jena bedroht worden sein. Darunter mindestens ein V-Mann. Den Namen wollte er den Ermittlern nicht nennen, aus Angst.
Verräter
Kurz zuvor, im Mai 2001, war der V-Mann Tino Brandt, zugleich Anführer des rechtsradikalen Thüringer Heimatschutzes, enttarnt worden. Und zwar durch "einen Verräter aus den eigenen Reihen", wie der damalige Leiter der LfV-Abteilung für V-Mann-Werbung und -Führung, Eckhard Stelzer, jetzt gegenüber dem Ausschuss sagte. "Beschaffung" nennt der Nachrichtendienst das Anwerben von Spitzeln.
Ein ehemaliger Verfassungsschützer bestätigt damit den Verdacht, dass Brandt aus dem Amt heraus verraten worden war. Aber wozu? War das nur Ausdruck von Machtkämpfen in dem Dienst? Oder war der V-Mann vielleicht den Gesuchten, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, zu nahe gekommen, und es drohte ihr Auffliegen? Sollten sie also durch Brandts Enttarnung geschützt werden?
Neu auch das: Nach der Affäre Brandt habe das LfV, so der damalige Beschaffungschef, sämtliche Quellen abgeschaltet. Alle hätten Angst gehabt selber aufzufliegen. Die Folge sei gewesen, dass der Landesverfassungsschutz fast "ein dreiviertel Jahr lang keine Zugänge" zur rechten Szene mehr gehabt habe, ehe neue Quellen angeschafft werden konnten. Das sei durch zwei große Anwerbeaktionen namens "Saphira 1" und "Saphira 2" unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) geschehen. So wie Jahre zuvor durch die Operation "Rennsteig".
Kuriositäten
Das Trio wurde damals noch mit Haftbefehlen gesucht. Allerdings, und auch das muss stutzig machen, habe seine V-Mann-Abteilung von der Abteilung "Auswertung" in jenen Jahren "keinen einzigen Auftrag erhalten, nach den Untergetauchten zu forschen", so Stelzer weiter. Die Auswerter sind die, die im Nachrichtendienst das Sagen haben. Sie erteilen den Beschaffern die konkreten Aufträge - oder eben nicht. Im Dienst gilt der Grundsatz: "Die Auswertung steuert die Beschaffung."
Und noch eine Kuriosität ergab die Vernehmung des Geheimdienstpensionärs. Nach dem Untertauchen der drei verhandelte das Amt mit den Eltern von Böhnhardt und Mundlos über die Möglichkeit, dass sich die Gesuchten stellen. Der Deal scheiterte. Die Rechnung für die Anwälte der Familien Böhnhardt und Mundlos aber bezahlte der Verfassungsschutz. Er habe diese Rechnung selber in den Unterlagen im Amt gefunden, so Stelzer.
Abgeschaltete V-Leute in einer Zeit, als die Terrorgruppe des NSU mit dem Morden und Rauben begonnen hatte? Oder vielleicht Umwidmungen von Mitarbeitern für einen anderen Dienstherren? Denn nach wie vor sind zahlreiche Quellen nicht enttarnt, die für das BfV gearbeitet haben.
Anlass zu einer solchen Überlegung gibt ausgerechnet die Figur Thomas Dienel. Auch er soll abgeschaltet worden sein, hinterließ allerdings Spuren, die dem Kriminalisten Andreas G. seltsam vorkamen. Plötzlich sei Dienel im Bereich Suhl aufgetaucht, dann in Sachsen. Wie könne es sein, dass ein V-Mann "quer durch Deutschland reist und nirgends auf einer Liste steht"?
Denn auf den einschlägigen Verzeichnissen von Rechtsextremisten in Thüringen sei der Name Thomas Dienel nicht zu finden gewesen. Der seines Bruders Torsten dagegen schon. Welche Listen?, will der Ausschuss wissen, die mit möglichen Unterstützern des NSU? "Genau!", so Andreas G.
Dass die Jahre alte Aussage dieses Neonazis und V-Mannes heute wieder Aktualität hat, ist auf die ungelösten NSU-Ermittlungen und die ungeklärten Hintergründe der Mordserie zurückzuführen. Das Dienel-Protokoll müsse neu bewertet werden, meinte der Zeuge G. Der Fall müsse verfolgt werden.
Von dem ganzem Vorgang erfahren hat der Ausschuss übrigens durch einen unbekannten Hinweisgeber.