"Er war so mutig, in die Welt hinauszuschreien, dass er Titten liebt"

Interview mit Schauspielerin und Pornostar Kitten Natividad über den amerikanischen Filmemacher Russ Meyer

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Die bald 66-jährige Kitten Natividad trat in den 1970er Jahren in verschiedenen Nachtclubs als Stripperin auf und erlangte damit burlesken Ruhm, als sie der Sexploitation-Filmregisseur Russ Meyer entdeckte. Er setzte sie in seinem Film "Up!" als Erzählerin ein, in Beneath the Valley of the Ultra-Vixens, deutscher Titel: "Im tiefen Tal der Superhexen" spielte sie gleich zwei Hauptrollen, Lola Langusta und Lavonia. Die Filme wurden wegen ihres Sexismus kritisiert, für Fans ist Russ Meyer "einer der am meisten unverstandenen Figuren der Filmgeschichte".

Diese Einschätzung taucht selbst in Relexionen darüber auf, warum ihn manche Feministinnen schätzen, was allerdings auf heftige Gegenmeiningen trifft. Zugute gehalten wird Meyer, dass er mit seinen ungewöhnlich überzeichneten Frauenbildern "traditionelle sexuelle Machtdynamiken unterminiert und ein desorientierendes sexuelles Chaos feiert".

Beim Interview mit Kitten Natividad stellt sich mit Gewissheit heraus, dass die Direktheit der Russ- Meyer-Schauspielerin, die auch zeitweilig seine Lebensgefährtin war, die übliche, korrekte Vorsicht in der öffentlichen Rede über sexuelle Rollen von Männern und Frauen provoziert.

Wie haben Sie Russ Meyer kennengelernt?

Kitten Natividad: Meine beste Freundin Haji (Faster, Pussycat! Kill! Kill!) hat ihn zu meiner Show mitgebracht. Als er gesehen hat, wie ich strippe, war er hin und weg. Später bin ich von hinten auf ihn zugegangen und habe mit meinen Brüsten über seinen Rücken geschubbert. Das hat ihm den Rest gegeben.

Er hat Sie vom Fleck weg engagiert?

Kitten Natividad: Russ liebte es, mit Stripperinnen zu arbeiten, weil wir es gewöhnt sind, uns ausziehen. Die Schauspielerinnen haben sich damals noch ziemlich geziert.

Up! war Ihr erster Film überhaupt

Kitten Natividad: Ja und ich hatte eine Todesangst, vor allem vor der Kamera. Aber Russ hat mir alles beigebracht. Er war ein großartiger Regisseur, wahnsinnig streng. Fast wie ein Faschist (lacht). Ich durfte mit keinem der Männer am Set auch nur ein Wort reden, weil er nicht wollte, dass meine Energie flöten geht.

Sie sitzen nackt in einem Baum und deklamieren absurde Gedichte.

Kitten Natividad: Ich kann Ihnen sagen: Ich saß lange auf diesem Baum und die Ameisen in meinem Po haben mich wahnsinnig gemacht. Nach "Up" war Russ so begeistert von mir, dass ich gleich eine Rolle in seinem nächsten Film bekommen habe: "Im tiefen Tal der Superhexen". Die Filme mit ihm sind das Beste, was mir je passiert ist. Und wir waren damals so verliebt.

Er hat sie sicher sehr verehrt?

Kitten Natividad: Oh Gott, er war so verrückt nach meinem Körper. Er sagte immer "Ich liebe deine lockigen Haare, deine großen Brüste und deinen kleinen Arsch!"

"Er war ein sehr kluger Mann"

Was fanden Sie an ihm?

Kitten Natividad: Ich habe mich in ihn verliebt, weil er stark, klug, großzügig und liebevoll war. Und weil er mich glücklich machen wollte.

Wie war Russ Meyer?

Kitten Natividad: Er war ein sehr kluger Mann. Er war belesen und ist viel gereist. Während des Zweiten Weltkriegs war er in der Normandie. Beinahe wäre er Hitler begegnet. Er konnte tolle Geschichten aus der Kriegszeit erzählen. Er war charmant und unterhaltsam, wenn er gut gelaunt war - aber wehe, Russ war schlecht drauf. Dann konnte er brüllen, schreien und fluchen wie ein Verrückter. Vor allem am Set.

War er eifersüchtig?

Kitten Natividad: Er war wahnsinnig eifersüchtig, wir hatten so viele Kämpfe deshalb. Er ist ausgeflippt, wenn er nachts nicht wusste, wo ich bin. Da war er sehr unsicher.

Bild: www.kittenklub.com. Verwendung mit Genehmigung von Kitten Natividad

Was war so besonders an ihm?

Kitten Natividad: Er war so mutig, in die Welt hinauszuschreien, dass er Titten liebt. Aber Pussy-Power war ihm auch wichtig. Er war einfach ein Loverboy.

Wollte er Ihre Brüste noch größer haben?

Kitten Natividad: Ja, er wollte, dass ich einen Boob Job mache und er hat die OP bezahlt.

Er war ein echter Selfmademan.

Kitten Natividad: Er war ein Genie, ich wusste, dass ich nie wieder so jemanden wie ihn treffen würde. Christoph Schlingensief, den ich unendlich verehre und mit dem ich 'United Trash' gedreht habe, war auch so eine Ausnahmeerscheinung, aber mit ihm hatte ich ja keine Liebesbeziehung.

Drogensucht -und Pornokarriere

Wie lange waren Sie und Russ zusammen?

Kitten Natividad: Mindestens 12 Jahre, das ging on und off. Nach der Trennung sind wir Freunde geblieben. Ich habe als seine Sekretärin gearbeitet, ihn gepflegt und ihn zum Arzt gefahren, wenn es ihm schlecht ging.

Warum haben Sie sich getrennt?

Kitten Natividad: Ich habe mich in einen jüngeren Mann verliebt. Als wir uns trafen, war er 65 und ich 28. Irgendwann ging er auf die 80 zu und es war für mich vorbei mit der romantischen Liebe. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe ihn immer noch und vermisse ihn, aber ich musste irgendwann weiterziehen. Aber ich habe ihn begleitet, als er starb.

Nach Ihrer Zeit mit Russ Meyer haben Sie auch Hardcore-Pornos gedreht

Kitten Natividad: Als ich alleine lebte und Drogen nahm, habe ich Pornos gedreht. Es war eine beschissene Zeit, aber ich bereue es nicht. Ich wünschte nur, ich hätte diese Pornofilme gemacht, als ich noch jung und richtig scharf war. Aber da hatte ich immer einen Mann, der es mir verboten hat.

Haben Sie viele Drogen genommen?

Kitten Natividad: Ich war lange abhängig von Drogen und Alkohol. Es fing an mit Russ: Wir haben uns jede Nacht betrunken. Er mochte keine Menschen, die nicht trinken. Aber er ist mit dem Alkohol besser klargekommen als ich. Während der Arbeit war er nüchtern.

Heute geht es Ihnen gut?

Kitten Natividad: Ich bin jetzt 65 und tanze nicht mehr sechs Tage die Woche, aber ich strippe immer noch. Es ist eine Leidenschaft, für die ich bezahlt werde. Aber ich habe auch einige Wohnungen, die ich vermiete und ein Haus. Mir geht’s wirklich gut, auch finanziell. Ich habe mir selten teure Klamotten gekauft und bin nie Mercedes gefahren, das zahlt sich jetzt aus.

Zu Russ Meyers Zeiten hatten Sie viele Fans, die richtig verrückt nach Ihnen waren.

Kitten Natividad: Oh ja. Auf einer Vorführung von "Im tiefen Tal der Superhexen" zu der Fans und Fotografen eingeladen waren, ist mal was Schräges passiert: Ich saß für ein Foto auf dem Schoss eines Fans - in engen Leggins und einer tief ausgeschnittenen Bluse. Als ich etwas länger sitzen blieb, während der Fotograf den Film wechselte, wurde es zu viel für den armen Kerl und es ging ihm einer ab. Er hat eine ganze Ladung abgeschossen. In seine Hose. Mitten im Foyer des Kinos.

War Russ da eifersüchtig?

Kitten Natividad: Gar nicht, er liebte diese Geschichte! Er wusste, dass es Geld bringt, wenn man nett zu seinen Fans ist.

Der Fernsehsender Tele 5 strahlt in der Nacht vom 18. auf 19. Januar um 00.15 Uhr den Film "Im tiefen Tal der Superhexen" aus.