Erdgas: Existenzielle Sorgen bei Unternehmen
Bundesnetzagentur-Chef Müller hält wochenlangen Totalausfall von Nord Stream 1 für denkbar und staatliche Rettungsmaßnahmen für Uniper für eine "schwierige Abwägung".
Mittelständische Unternehmen machen sich existentielle Sorgen über die Gasversorgung; alarmierende Worte dazu gab es von Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft, vor zehn Tagen: Man stelle sich auf das Schlimmste ein.
Laut einem Überblicksbericht, den die Wirtschaftswoche am vergangenen Freitag veröffentlichte, sehen sich auch Konzerne gewaltigen Problemen ausgesetzt. Zur BASF wird das Szenario aufgestellt: "Würde die Gaszufuhr unter einen Wert von 50 Prozent sinken, müssten die Anlagen abgestellt werden. Das größte Chemieareal der Welt stünde zum ersten Mal in seiner 157-jährigen Geschichte still."
Die durch einen Lieferstopp aus Russland erforderliche Umstellung sei aufwendig und auf keinen Fall schnell zu bewältigen, so die Aussagen von Vertretern des Mittelstands. Die Produktion müsste sich auf erhebliche Einbußen gefasst machen. Einen anschaulichen Ausschnitt für Folgen, die in ihrer Reichweite noch nicht richtig im Blick sind, geben die Aussagen der Geschäftsführung der Eisengießerei Siempelkamp im Industriegebiet von Krefeld.
"Wir finden Wege, das Gas zu ersetzen"?
Zwar ist man dort der Überzeugung – "Wir finden Wege, das Gas zu ersetzen" – und für die Produktion ist Gas nur für 20 Prozent zuständig. Allerdings sind die Kosten dafür sehr hoch, man werde "langsamer, ineffizienter und unproduktiver" arbeiten müssen, so Dirk Howe aus der Geschäftsführung, um hinzuzufügen:
Und noch ein Problem gibt es: Selbst wenn Howe bei sich umstellen kann, bekommt er möglicherweise keine Vorprodukte mehr, feuerfeste Schamottsteine etwa, mit denen er Öfen auskleidet: Die werden mit Gasbrennern gebrannt. Ob die Zulieferer auf einen Gasstopp vorbereitet sind? Howe ist skeptisch. "Für bestimmte Materialien gibt es einfach keine Substitute, dann reißen Lieferketten und Produktionsketten ab."
Wirtschaftswoche, Plötzlich ist der Ofen aus
Müßig hinzuzufügen, dass es um sehr viele Arbeitsplätze geht. Die Zulieferer für die Automobilherstellung sind mit dabei in diesen düsteren Szenarien.
Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, hat aktuell der Wirtschaftswoche ein Interview gegeben, das die Überlegungen darüber "Wie es kommen kann" mit Szenarien anreichert, die ein paar Schwierigkeitsgrade mehr hinzufügen.
So hält es Müller für denkbar, dass die Gaslieferung aus Russland via Nordstream 1 für eine längere Zeit bei null bleiben könnte. An dem 11. Juli beginnen Wartearbeiten, der Gasfluss würde von derzeit 40 Prozent auf null fallen. Und, so Müllers Spekulation, es sei möglich "dass die Lieferung der Wartung auch bei Null bleiben könnte".
Zehn Tage bei null habe man eingepreist, erklärt der Präsident der Bundesnetzagentur. "Aber wenn danach durch Nord Stream 1 kein Gas mehr fließt, kann es im Herbst, im Winter, Anfang des Frühlings in Deutschland eine Gasmangellage geben." Als Überschrift für dieses Szenario wählte Müller gegenüber anderen Medien den Begriff einer länger andauernden "politische Wartung".
Folge sei eine ungleiche Gasversorgung in Deutschland, die "Hunderttausende Gasthermen lahmlegen" würde, weil bei Abfallen des Drucks im Gasnetz Sicherungen angesprochen werden.
In dem Moment, in dem der Druck im Gasnetz in einer Region unter ein gewisses Mindestmaß fallen würde, würde auf einen Schlag in Hunderttausenden Gasthermen die Sicherung einspringen.
Die Gasthermen müsste dann "händisch von geschulten Fachkräften wieder freigeschaltet werden, wenn wieder Gas in der Region verfügbar wäre". Die Wiederherstellung der Gasversorgung würde sehr lange dauern, warnt Müller.
Deswegen appelliert er an alle Handwerker, sich auf Heizung und Warmwasserversorgung zu konzentrieren - um mögliche Engpässe bei den Handwerkerterminen zu überwinden.
ZDF, Netzagentur warnt vor Ausfall
Die Botschaft des Chefs der Bundesnetzagentur ist der Klassiker dieser Tage: Sparen und zwar jetzt schon und die Gasspeicher so gut und so schnell, wie es geht, zu füllen, "sowohl durch zusätzliche Einkäufe wie durch industrieseitige Einsparungen als auch durch Sparen im privaten Bereich".
Staatliche Rettungsmaßnahmen für Uniper
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach staatlichen Rettungsmaßnahmen für Uniper, das wegen der Drosselung der Zulieferung über Nord Stream 1 kurzfristig teures Gas am Spot-Markt zukaufen muss, um Verträge einzuhalten, die um ein Vielfaches unter diesem Preis liegen. Sollte Uniper diese Verträge mit den Lieferzusagen nicht mehr bedienen können, so wären Industriekunden wie auch Stadtwerke und damit Privathaushalte betroffen. "Es droht eine Kettenreaktion, die den gesamten Gasmarkt erschüttern würde" (Stern).
Die Gewinnwarnung von Uniper sei "nicht überraschend gekommen", erklärt Klaus Müller dazu. Er vermutet eine Kluft zwischen Altverträge mit Preisen von 20 bis 30 Euro für die Megawattstunde gegenüber aktuellen Preise von zum Teil bei über 130 Euro.
Die Abwägung, ob hier Steuergelder und in welcher Höhe zur Rettung von Gasimporteure zu Beginn der Gaslieferkette eingesetzt werden sei schwierig, so Müller. Er verweist auf "Preissignale".
Technisch gesehen ist das vergleichsweise einfach: Ich rette einzelne Unternehmen. Aber es bedeutet eben auch, dass Preissignale und damit Knappheitssignale weder an die Industrie noch an die privaten Haushalte weitergegeben werden, wo natürlich dann auch Rettungsmaßnahmen zur Diskussion stünden. Und damit ist auch die Alternative schon aufgezeigt.
In dem Moment, in dem diese Preise weitergegeben werden können, würde das stärkste denkbare Signal zur Gaseinsparung wirken: heftigste Preissprünge nach oben. Die Folge wären Verwerfungen in Industrie und im privaten Bereich.
Dann müsste man zielgenau da unterstützen und erforderlichenfalls retten, wo Unternehmen oder Menschen es nötig haben. Aber das ist eine schwierige Abwägung.
Klaus Müller
Im Fall Uniper geben kritische Stimmen zu Bedenken, dass das Unternehmen "Preissignale" gut marktwirtschaftlich lange Zeit nach seinen eigenen wirtschaftlichen Zielen und Interessen verstanden habe und viel Gas aus den Speichern verkauft habe, als mit den steigenden Preisen gute Gewinne zu machen und an die Anleger zu verteilen waren.
Jetzt wünscht sich auch der Betriebsratschef des Unternehmens eine Beteiligung des Bundes, Grund: Systemrelevanz. Die Beteiligung sollte sich nach Meinung von Harald Seegatz, auch stellvertretender Chef des Aufsichtsrats, finanziell für eine längere Zeit Sicherheit geben. "Die Lage ist dramatisch", sagte Seegatz.