Erdöl-Boykott der Ukraine: Ungarn sieht sich von der EU im Stich gelassen
Orbáns Außenminister bezichtigt Kiew der Erpressung. EU trage für Belange von Mitgliedsstaaten nicht genug Sorge. Worum es bei dem Streit geht.
Ungarns Außenminister Péter Szijjártó hat die Ukraine beschuldigt, sein Land und die Europäische Union mit einem im Juni verhängten Transitstopp für Erdöl aus Russland zu erpressen. Über Szijjártó Anschuldigungen berichteten auch russische Medien wie Prime am 29. Juli. Zur Quellenangabe Facebook hieß es:
Die Aktivitäten von Meta (soziale Netzwerke Facebook, Instagram und Threads) sind in Russland als extremistisch verboten.
Offensichtlich ist es russischen Medien nicht verboten, auf extremistisch eingestufte Informationsquellen zurückzugreifen, sofern sie die These einer schwachen und zerstrittenen EU zu untermauern helfen.
Auf Facebook wetterte Szijjártó demnach jüngst im Juli über "das historische Verbrechen der Brüsseler Bürokraten". Dank Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem EU-Vertreter für auswärtige Angelegenheiten Josep Borrell sei die EU nun nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Mitgliedstaaten, namentlich die Slowakei und Ungarn, vor der Erpressung eines Mitgliedskandidaten – in diesem Fall die Ukraine – zu schützen.
Energieversorgung ist langfristig in Gefahr
Die Blockierung der Öllieferungen von Lukoil durch die Ukraine gefährde ein Drittel der ungarischen und 45 Prozent der slowakischen Rohölimporte. Das gefährde die Sicherheit der Energieversorgung sowohl in Ungarn als auch in der Slowakei.
Mit dem slowakischen Kollegen Juraj Blanár hat Szijjártó im Telefonat vereinbart, die gemeinsame, koordinierte Aktion fortzusetzen. Beide halten das Vorgehen der Ukraine und der Europäischen Kommission für inakzeptabel und wollen die Erpressung, ob aus Kiew oder Brüssel, nicht hinnehmen.
Lukoil liefere die Hälfte des per Pipeline aus dem Osten importierten Öls, hatte zuvor Szijjártó offiziell zum Beschluss der Ukraine, in dessen Anhang die russische Ölgesellschaft auf der aktuellen Sanktionsliste steht, erklärt.
Ungarn und die Slowakei kauften jährlich zwei Millionen Tonnen Rohöl von Lukoil. "Die ukrainische Entscheidung wird die Sicherheit der Öllieferungen nach Ungarn und in die Slowakei langfristig ernsthaft beeinträchtigen", warnte Szijjártó.
Bulgarien will helfen
Am 25. Juli sprach Szijjártó davon, dass Bulgarien Ungarn Hilfe angeboten habe, um die Schwierigkeiten zu bewältigen, die durch das Verbot des Transits von Öl von Lukoil durch die Ukraine entstanden seien.
Bulgarien zählt er zu den zuverlässigsten Ländern in der Region. Es habe einen erheblichen Teil der Erdgasversorgung Ungarns sichergestellt. Im vergangenen Jahr habe Ungarn 5,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas über Bulgarien erhalten und in diesem Jahr 3,9 Milliarden.
"Bulgarien respektiert alle seine Verpflichtungen als Transitland", so Szijjártó. Sein bulgarischer Partner, Wladimir Malinov, Bulgariens Energieminister habe im Kontext der Situation, die nach dem ukrainischen Verbot entstanden sei, Hilfe angeboten.
Obwohl es keine direkte Rohöllieferverbindung, also keine Pipeline zwischen den beiden Ländern gibt, sagte er, dass sie in der Lage seien, weitere Ölmengen nach Ungarn zu liefern, wenn wir sie bräuchten.
Péter Szijjártó
Alternativen sind vorhanden
Zugleich ist Ungarn über die Adria-Pipeline ans kroatische Terminal Omisalj angeschlossen. Über diese Pipeline ließen sich Raffinerien in Kroatien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei mit einer Kapazität von 400.000 Barrel am Tag versorgen, was bei 80 Prozent Auslastung für deren Bedarf ausreicht.
Das machte Martin Wladimirow, Direktor des Energie- und Klimaprogramms am Zentrum für Demokratiestudien in einem Beitrag bei Euractiv am 26. Juli deutlich.
Die Kapazität ließe sich weiter erhöhen. Der ungarische Mineralölkonzern MOL, der Raffinerien in Ungarn und der Slowakei betreibt, importiere seit April 2024 etwa 120.000 Barrel am Tag aus Kroatien und deckt damit 75 Prozent des ungarischen Ölbedarfs. Weitere Versorgungsoptionen biete die transalpine Pipeline von Italien nach Österreich, Süddeutschland und Tschechien.
Panik soll EU spalten
Seit Beginn des Ölverbots am 5. Dezember 2022 exportiert Russland laut Wladimirow 300.000 Barrel pro Tag über die Druschba-Pipeline, wovon Lukoil die Hälfte liefert und erwirtschaftet damit jährlich drei Milliarden Dollar für seinen Staatshaushalt.
Etwa 80 Prozent dieser Lieferungen gingen nach Ungarn, in die Slowakei und der Rest nach Tschechien. Szijjártó selbst bekräftigte kürzlich, an den Lukoil-Lieferverträgen festhalten zu wollen.
Obwohl für die Länder, die von "Druschba" abhängen, Ausnahmeregelungen gewährt wurden, hätten diese wenig unternommen, sich auf einen vollständigen Ausstieg aus dem russischen Ölgeschäft vorzubereiten, konzertierte Wladimirow.
Stattdessen sei Ungarns Abhängigkeit von russischem Öl seit der Invasion von 50 auf über 60 Prozent und die von Tschechien von 36 auf 45 Prozent gestiegen. Die Slowakei bleibe vollständig abhängig und exportiere sogar überschüssige raffinierte Produkte in die Ukraine, was die russischen Gewinne steigert.
Für Wladimirow sind Hilferufe aus Ungarn und der Slowakei letztlich Panikmache im Auftrag des Kremls, die die EU spalten soll. Vielleicht schweigt Brüssel deswegen so lange, während Szijjártó nachlegt und von einem glasklaren Verstoß gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine spricht, wenn zwei Mitgliedstaaten darunter litten.
Möglicherweise sei das Ganze letztlich eine Idee der Europäischen Kommission, um zwei Länder, die für Frieden eintreten, zu erpressen, weil diese gegen Waffenlieferungen an die Ukraine votiert hatten.