Erdogan: Der Kaiser ohne Kleider
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Für den türkischen Präsidenten war der Staatsbesuch in Deutschland ein Desaster. Ein Kommentar
Am Ende seines dreitägigen Staatsbesuchs in Deutschland zeigte sich Recep Tayyip Erdogan zufrieden. Er sprach von Erfolg und guten Gesprächen. Was sollte er auch anderes sagen? Dass die vergangenen Tage ein Desaster waren?
Dass auf den Straßen gegen ihn demonstriert wurde, dass große Teile der deutschen Presse sich mit den in der Türkei inhaftierten Kollegen solidarisierten und manche einen Tag lang die Fonts von verbotenen türkischen Tageszeitungen wie Taraf (Die Welt) und Özgür Gündem (taz) übernahmen? Dass sowohl Angela Merkel als auch Frank Walter Steinmeier und Armin Laschet bei ihren Begegnungen betonten, dass es große Differenzen gebe und dass eine Normalisierung der Beziehungen die Rückkehr der Türkei zur Rechtsstaatlichkeit voraussetze?
Zurückhaltung der deutschen Wirtschaftselite
Hätte er erwähnen sollen, dass zahlreiche Unternehmen "aus terminlichen Gründen" nicht an dem für ihn so elementar wichtigen Treffen mit hiesigen Wirtschaftsvertretern teilnahmen und dass sogar traditionell in der Türkei gut aufgestellte Firmen wie Bosch und Siemens wohl nur Vertreter aus der zweiten Reihe hinschickten, während die Topmanager besseres zu tun hatten?
Dass er in erster Linie mit Mittelständlern sprach, und dass auch vom BDI die Mahnung kam, Erdogan müsse etwas an den Verhältnissen ändern und dass man vor allem abwarte, ob er die Wirtschaftskrise in den Griff kriegt?
Sicher - das Treffen in Berlin fand hinter verschlossenen Türen statt. Wer weiß schon genau, welche Deals dort geschlossen wurden. Manche Unternehmen waren sich ja noch nie zu schade, mit Despoten zu kooperieren, solange die Kasse stimmt - wie zuletzt der Skandal um von Siemens gelieferte Überwachungstechnik für das iranische Regime zeigte.
Man darf annehmen, dass die Zurückhaltung der deutschen Wirtschaftselite weniger mit der katastrophalen Menschenrechtslage zu tun hat als mit drohendem Imageverlust sowie Problemen durch die verheerende Wirtschaftslage am Bosporus.
Die türkische Justiz
Hätte er erwähnen sollen, dass nur einen Tag vor seiner Landung in der Hauptstadt das Buch "Ich werde die Welt nie wiedersehen" erschienen ist und bereits die Bestsellerlisten hinaufklettert? Geschrieben hat es Ahmet Altan, einer der wichtigsten türkischen Intellektuellen, im Gefängnis, wo er seit Sommer 2016 sitzt.
Im Februar 2018, unmittelbar nach der Freilassung Deniz Yücels, wurde Altan in einem haarsträubenden Schauprozess zu lebenslanger Haft unter verschärften Bedingungen verurteilt. Hätte er erwähnen sollen, dass Altan in seinem Buch über die türkische Willkürjustiz schreibt, deren Unabhängigkeit Erdogan auch diesmal wieder nicht müde wurde zu betonen?
Die Unabhängigkeit von rechtsstaatlichen Prinzipien meint er wohl...
Was auch der Grund dafür sein dürfte, dass er am Freitag drohte, die gemeinsame Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel platzen zu lassen, sollte der ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar dort aufkreuzen. Es wirkte wie die Trotzreaktion von einem, der panische Angst davor hat, öffentlich demontiert zu werden - was Dündar zweifellos gelungen wäre, hätte er seine Teilnahme nicht unmittelbar zuvor zurückgezogen.
Seine Kollegen von der erdogankritischen türkischen Zeitung Evrensel hingegen erhielten erst gar keine Akkreditierung, und ein Journalist, auf dessen T-Shirt der Schriftzug "Freiheit für Journalisten" stand, wurde vom Sicherheitsdienst aus dem Saal gezerrt. Erdogan lächelte. Ganz wie zu Hause, muss er in dem Moment gedacht haben. Es war der wohl peinlichste Fauxpas, den die Bundesregierung sich nur leisten konnte im Rahmen dieses Staatsbesuchs.