Erdogan: Der Kaiser ohne Kleider

Seite 2: Dann reißt der Geduldsfaden

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Als Merkel und später Steinmeier auf die aktuell 175 in der Türkei inhaftierten Journalisten zu sprechen kamen, verlor Erdogan die Geduld, seine Fassade brach auf. Das seien alles Terroristen, wütete er, in Deutschland könnten sie einfach frei rumlaufen.

Er erneuerte das Auslieferungsersuchen gegen Dündar, zudem hatte er deutschen Behörden wenige Tage zuvor einmal mehr eine lange Liste mit solchen vermeintlichen Terroristen zugespielt, die er gern in die Finger kriegen würde. Aus anderen Ländern lässt er seine Kritiker einfach entführen.

Hätte er erwähnen sollen, dass kein Vertreter der Stadt Köln oder des Landes NRW an seiner Seite stand, als er die Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld eröffnete und dabei seine Tiraden einmal mehr wiederholte?

Bilder zum Ausschlachten

Nein, wahrscheinlich wird er, zurück in Ankara, darauf hinweisen, dass die Straßen um die Moschee von seinen Anhängern bevölkert waren, dass sie seinen Namen skandierten, dass manche schon sehr früh am Morgen kamen und ausharrten in der Hoffnung, einen Blick auf ihr vergöttertes Idol zu erhaschen.

Und vielleicht wird er erwähnen, dass zur Gegendemo auf der anderen Rheinseite gerade mal rund 2.000 Menschen kamen. Die Bilder von 2013 und 2014, als hier noch Zehntausende gegen ihn auf die Straße gingen, sind vergessen. Das kann er ausschlachten - und er wird es ausschlachten müssen, denn inhaltlich hat er nichts im Gepäck, das ihm weiterhilft.

Erdogan ist seit den vorgezogenen Wahlen im Juni an der Spitze der Macht, dort, wo er immer hinwollte. Aber erfolgreich ist er nicht mehr. Er sucht mit zunehmender Verzweiflung Verbündete, die ihn aus der selbst fabrizierten wirtschaftlichen Misere ziehen.

Sein Flughafen-Megaprojekt, das in einem Monat eröffnet werden soll, wird nicht rechtzeitig fertig werden; sein Prestigebau, der Kanal Istanbul, kommt nicht mehr vom Fleck, weil kein Geld mehr da ist, und seine Stammwähler ächzen unter der Inflation. Erdogan ist jetzt Kaiser, aber er hat keine Kleider mehr. Und bis zum Republikjubiläum im Jahr 2023 ist es noch lange hin.