Erdoğan droht USA mit Boeing-Boykott
10-Milliarden-US-Dollar-Bestellungen könnten storniert werden
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den USA seinen eigenen Angaben nach wegen des Ausschlusses der Türkei aus dem Programm zur Produktion und Nutzung des amerikanischen Kampfflugzeugs F-35 mit einem türkischen Boykott des amerikanischen Flugzeugbauers Boeing gedroht. "Ich", so Erdoğan auf einer Versammlung seiner Regierungspartei AKP, "habe Herrn Trump [auf dem G20-Gipfel] in Osaka gesagt: 'Auch wenn die Türkei [das amerikanische] Patriot[-Luftabwehrsystem] nicht kauft, so kauft sie doch Boeing[-Flugzeuge]'": "Wir sind gute Kunden - aber wenn es so weitergeht, müssen wir diese Sache noch einmal überdenken".
Würde dieses Überdenken in einer Stornierung bereits getätigter Bestellungen durch das zu 49 Prozent staatliche Unternehmen Turkish Airlines münden, wären davon Geschäfte im Wert von 10 Milliarden-US-Dollar betroffen. Außer 25 Boeing 787-9, die für 2023 bestellt sind, auch 70 noch nicht gelieferte Boeing 737 Max. Die türkische Staatsführung könnte damit insofern einen wunden Punkt der US-Wirtschaft treffen, als der Flugzeughersteller nach zwei wahrscheinlich aus technischen Gründen erfolgten 737-Max-Abstürzen ohnehin gerade strauchelt (vgl. "Kampf zwischen Pilot und Computer" und Absturz ET 302: Minuten des Schreckens).
Volkswirtschaftlich nachteilige Folgen
Sein aus dem deshalb erfolgten Auslieferstopp resultierender Milliardenverlust im letzten Quartal kostete die amerikanische Wirtschaft der Rechnungen von Capital Economics nach 0,25 ihres potenziellen Wachstums.
Allerdings könnten sich aus einer Stornierung durch Vertragsverletzungsverfahren und eventuelle Gegenmaßnahmen der US-Administration auch negative Auswirkungen für die türkische Wirtschaft ergeben, der es sehr viel schlechter geht als der amerikanischen (vgl. Erdoğan setzt Notenbankchef ab). Ob Erdoğan seine Drohung ernst meint, oder damit eher das Selbstbewusstsein seiner Parteifreunde stärken will, ist deshalb offen.
Chinesen preisen Tarnkappenjet Chengdu J-20 als "höher entwickelt" als die F-35 an
Eine andere Möglichkeit, auf den amerikanischen F-35-Lieferstopp zu reagieren, wäre, sich nach anderen Anbietern für Kampfflugzeuge umzusehen. Die Russen, die bereits ihre Bereitschaft dazu erklärt haben (vgl. Nach F-35-Lieferstopp-Strafe: Russen bieten Türkei Kampfflugzeuge an), verkündeten gestern den Beginn der Serienfertigung ihres Tarnkappenjets Suchoi Su-57, dessen Triebwerk dem Konstrukteur Jewgeni Martschukow zufolge "allen weltweit bekannten Analoga überlegen" ist.
Am Tag davor warb der chinesische Militärexperte Fu Qianshao in der englischsprachigen Parteizeitung Global Times für den chinesischen Tarnkappenjet Chengdu J-20, dessen Serienfertigung letzte Woche bekannt gemacht wurde. Er ist Fu zufolge schon jetzt "höher entwickelt" als die F-35 und soll nach Beginn der "Massenproduktion" ständig weiter verbessert werden.
Langfristig möchte die Türkei aber ohnehin einen eigenen Kampfjet einsetzen: Turkish Aerospace stellte im Juni auf der internationalen Luftfahrtschau in Le Bourget ein Kunststoffmodell eines neuen Kampfflugzeuges vor, das TF-X heißen, 2028 serienreif sein und dem CEO des Unternehmens nach "das beste Jagdflugzeug in Europa" werden soll (vgl. Deutsch-französisch-spanisches "Luftkampfsystem der Zukunft").
Hintergrund: Russisches Luftabwehrsystem S-400
Hintergrund des türkisch-amerikanischen Streits ist der Kauf des russischen Flugabwehrsystems S-400 durch Ankara (vgl. S-400: Erdogan trotzt den USA und der Nato). Als Grund für ihre Unzufriedenheit damit gab die US-Administration an, dass ein mit viel IT ausgestattetes System wie S-400 Informationen über Kampfflugzeuge sammelt, von denen man nicht möchte, dass sie in die Hände des S-400-Herstellers gelangen.
Um Washington zu beruhigen, hatte Ankara angeboten, S-400 nur dort einzusetzen, wo keine F-35 fliegen. Den Amerikanern reichte das jedoch nicht. Sie argumentierten, das russische Raketenabwehrsystem mit dem NATO-Codenamen "SA-21 Growler" könne die Verteidigungsfähigkeit des Militärbündnisses aus dem Kalten Krieg schon alleine dadurch beeinträchtigen, dass es mit der IT eines NATO-Landes verbunden wird. Das US-Kompromissangebot, von Sanktionen abzusehen, wenn sich die Türkei verpflichtet, S-400 nach der Lieferung gar nicht zu verwenden, war wiederum dem türkischen Staatspräsidenten zu schlecht.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.