Erdogan will Flüchtlingsgipfel mit Merkel, Macron und Putin

Seite 3: Erdogan verliert die Kontrolle

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Das Scheitern seiner Außenpolitik und seines Wunsches, einer der Big Player im Nahen Osten sein zu wollen, schwächt Erdogan auch innenpolitisch. Er verliert zunehmend die Kontrolle, wird aggressiver - und macht Fehler.

Seine neo-osmanischen Ambitionen und die Hinwendung zu den Muslimbrüdern verschaffte ihm lediglich in konservativ ländlichen Kreisen Anhänger. Zunehmend wird er wegen seiner Unterstützung der Islamisten und des IS in Syrien als einer der Verursacher des Krieges in Syrien gesehen. Statt seinen einstigen Freund Assad zu stürzen, verhalf er ihm auch durch seine Politik, fester im Sattel zu sitzen denn je.

Innerhalb der AKP wollte Erdogan durch die Entmachtung zu ehrgeiziger Weggefährten seine Macht für sich und seinen Clan sichern. Er duldete keine Konkurrenz in seiner Partei neben sich. Das rächt sich jetzt. Das Tempo, in dem sich seine Partei AKP zerlegt, ist enorm. Nicht nur Mandatsträger wie zum Beispiel der ehemalige Abgeordnete Cuma Içten aus Diyarbakir oder die Abgeordneten Feramuz Üstün, İbrahim Turhan, Cemalettin Kani Torun, Ömer Ünal und Cesim Gökçe verlassen reihenweise die Partei, in den letzten Monaten haben angeblich auch Hunderttausende Mitglieder die AKP verlassen.

Erdogans Wirtschaftspolitik auf Pump hat dem Land einen riesigen Schuldenberg beschert. Niedrige Leitzinsen sollten Unternehmen mit Kapital versorgen, führten aber zu einer weiter ansteigenden Inflation. Die Inflationsrate liegt mittlerweile bei 20% und die Armut steigt. Seine Einflussnahme auf die Notenbank verschreckte ausländische Investoren. Kritik an Erdogans Wirtschaftspolitik zieht auch Repressionen für Wirtschaftsjournalisten nach sich.

Seit Freitag stehen die Journalisten des Finanznachrichtendienstes Bloomberg, Kerim Karakaya und Fercan Yalinkilic wegen eines Berichts zur Währungskrise vor Gericht. In einem Artikel vom 18. August 2018 hätten sie versucht, die wirtschaftliche Stabilität der Türkei zu untergraben und damit Turbulenzen an den Finanzmärkten ausgelöst, meint die Staatsanwaltschaft und fordert Gefängnisstrafen zwischen zwei und fünf Jahren.

In dem Artikel berichteten die Journalisten, dass die türkischen Banken zunehmend Schwierigkeiten hätten, ihren Kunden ausländische Währungen auszuzahlen. Mitangeklagt sind 36 weitere Bürger, die sich kritisch in Kommentaren unter dem Artikel zur Wirtschaftslage äußerten.

Kritik an Erdogans Innenpolitik kommt nun auch aus dem Europaparlament (EP). Letzten Donnerstag, einen Tag nach der Anhörung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMGR) zu der fortdauernden Inhaftierung des ehemaligen HDP-Chefs Selahattin Demirtas seit 2016, verabschiedete das EP eine Erklärung, in der es die Amtsenthebung von kurdischen Bürgermeistern durch die Türkei und ihr "hartes Vorgehen" gegen Oppositionsparteien verurteilt.

Die Entscheidung der türkischen Behörden, demokratisch gewählte Bürgermeister auf der Grundlage fragwürdiger Beweise aus dem Amt zu entlassen, würden die Fähigkeit der politischen Opposition, ihre Rechte auszuüben und ihre demokratischen Rollen zu erfüllen, untergraben, heißt es in der Entschließung. Die türkischen Behörden wurden aufgefordert, "alle Bürgermeister und andere gewählte Amtsträger, die am 31. März 2019 die Kommunalwahlen gewonnen haben und an der Amtsübernahme gehindert wurden, oder aufgrund unbegründeter Anschuldigungen entlassen oder durch nicht gewählte Amtsträger ersetzt wurden, wieder einzustellen".

Am 19. August wurden 418 HDP-Mitglieder in 29 türkischen Provinzen festgenommen. Die EU-Kommissarin Marianne Thyssen fand abschließend deutliche Worte: "Von der türkischen Regierung erwarten wir Respekt vor der Meinungsfreiheit, der politischen Pluralität, rechtsstaatlichen Prinzipien und der Arbeit der Opposition." Ob dies von der türkischen Regierung gehört wird, bleibt abzuwarten. Aber es rumort heftig und bringt so manchen AKP-Anhänger ins Nachdenken.

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