Erdogans neuer Krieg

Seite 2: Berliner Bremsmanöver

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Der Sicherheitsrat der Vereinigen Nationen, die USA, Russland und Frankreich haben in der vergangenen Woche einen Waffenstillstand in Nagorny Karabach gefordert. Macron und Putin riefen die Kriegsparteien zu "maximaler Zurückhaltung und einer baldigen Feuereinstellung" auf, wobei sie betonten, dass der Konflikt nur auf diplomatischem Wege gelöst werden könne. Russland forderte überdies den umgehenden Abzug der türkisch-islamistischen Söldnertruppen aus Aserbaidschan.

Derweil scheint man in Berlin immer noch nicht gewillt, den Druck auf das islamisch-nationalistische Regime in Ankara signifikant zu erhöhen. Am 2. Oktober gab Zypern seinen wochenlangen Widerstand gegen die Sanktionen auf, die Brüssel gegen die Republik Belarus verhängen will. Zypern wollte die gegen das Lukaschenko-Regime gerichteten Strafmaßnahmen mit Sanktionen gegen das Erdogan-Regime koppeln als Warnschuss gegen dessen Expansionspläne im östlichen Mittelmeer, die sich vornehmlich gegen Griechenland und Zypern richten.

Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete auf ihrer Internetpräsenz, dass stattdessen nur die "Sanktionsdrohung" Brüssels gegen Ankara aufrechterhalten werde, da "andere Staaten" der Ansicht seien, diese würden die laufenden "Vermittlungsbemühungen erschweren". Wer diese "anderen Staaten" sind? Die Zeit, deren Leser offensichtlich weniger wissen sollen, bemüht hier gewissermaßen den Pluralis Majestatis, denn es handelt sich faktisch um die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel, die ein schärferes Vorgehen gegen den auf Kriegskurs befindlichen Erdogan blockierte.

Ein Blick in griechische Medien macht klar, dass es vor allem Mitglieder der Bundesregierung waren, die Zypern erklärten, dass es keine neuen Sanktionen gegen Erdogan wegen seiner Provokationen im östlichen Mittelmeer geben werde. Sanktionen stellten eine Sackgasse dar, sie würden keinen substanziellen Effekt auf Ankara haben, da sie nur zur Ausbildung "extremerer Positionen" in der Türkei führten, so die Haltung der Bundesregierung, die Sanktionen gegen Belarus befürwortet.

Die Gefahr einer Internationalisierung des Konflikts im Südkaukasus wächst somit täglich. Das Nato-Mitglied Türkei geht auf Expansionskurs in einer traditionellen Einflusssphäre Russlands, das sich in einem schwierigen Spagat zwischen Wirtschaftsinteressen in Aserbaidschan und seinen geopolitischen Verpflichtungen gegenüber Armenien wiederfindet - während Brüssel und Berlin durch Sanktionen den Druck an der unruhigen Westflanke Russlands erhöhen.

Armenien ist aber auch Mitglied der "östlichen" Nato, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) unter russischer Führung. Bei einer weiteren Eskalation der Lage durch Ankara ist somit eine Konfrontation zwischen beiden Militärblöcken nicht gänzlich auszuschließen. Bislang verzichtete Jerewan auf ein direktes Hilfsgesuch an die OVKS gegen den amoklaufenden Nato-Partner Türkei, das auch den Kreml in Zugzwang brächte. Bislang.