Erhöhte neuronale Aktivität beim Lügen

Auch für Lügen oder Schwindeleien sollen bestimmte Gehirnareale zuständig sein

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Lügendetektoren, die Hautwiderstand, Blutdruck, Puls oder andere physiologische Reaktionen messen, sind relativ ungenau und lassen sich auch von kaltschnäuzigen Schwindlern austricksen, während gelegentlich Menschen, die die Wahrheit sagen, so aufgeregt sind, dass sie des Lügens verdächtigt werden können. Hirnwissenschaftler haben jetzt mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie den Ansatz zu einem allerdings weitaus aufwendigeren Test gemacht, bei dem die Aktivität in bestimmten Hirnarealen erfasst wird.

Man könne sehen, wann ein Mensch schwindelt, sagen Hirnwissenschaftler der University of Pennsylvania. Die neurobiologische Methode, mit der sich bei einem wahre Äußerungen von falschen unterscheiden lassen, stützt sich darauf, dass dabei unterschiedliche Gehirnaktivitäten festgestellt werden können. Allerdings gehen die Wissenschaftler offenbar davon aus, dass das Gehirn gewissermaßen die Wahrheit sagen möchte, während Lügen einen größeren Aufwand mit sich bringt. Die Wahrheit müsse nämlich unterdrückt werden, weswegen Lügen ein komplexerer Vorgang ist und beispielsweise eine höhere Aufmerksamkeit verlangt.

Anderen nicht die Wahrheit mitzuteilen, kann allerdings ganz unterschiedlich sein. So ist es sicherlich ein großer Unterschied, in Unkenntnis über den tatsächlichen Sachverhalt eine Aussage als wahr auszugeben, als etwas zu behaupten, was wissentlich falsch ist. Schwieriger freilich wird es in vielen Alltagssituationen, bei denen es um graduelle Wahrheiten oder Schwindeleien geht. Und manchmal machen sich die Menschen selbst etwas vor und glauben daran. Ein Unterschied ist sicherlich auch, wie anstrengend das Schwindeln ist, also ob man nur eine Frage fälschlicherweise bejaht bzw. verneint oder ob man noch eine erklärende Geschichte dazu erfindet. Gleichwohl hoffen die Wissenschaftler, dass es zumindest hinter allen sprachlichen Täuschungsmanövern einen allgemeinen kognitiven Prozess gibt, der dann jedes Mal bei einer Lüge beobachtet werden kann.

Um diesen zu finden, richteten sie ihre Versuchsanordnung auf Grundlage der Hypothese ein, dass Lügen eine wissentlich und absichtlich geschehende Negation der Wahrheit ist, und setzten den von David Lykken entwickelten "Guilty Knowledge Test" (GKT) oder "Tatwissenstest" ein, der ausschließen soll, dass man jemanden fälschlicherweise nicht glaubt. Dazu werden Fragen zu Sachverhalten gestellt, die nur der Befragte kennt. Die 18 Versuchspersonen erhielten in einem Umschlag eine Spielkarte und sollten niemanden zeigen, um welche es sich handelt. Überdies erhielten sie 20 Dollar. Im Kernspintomographen wurden ihnen auf einem Bildschirm verschiedene Karten gezeigt. Der Computer fragte jedes Mal, ob sie diese Karte hätten. Wenn dieselbe Karte auftauchte, die sie auch hatten, sollten sie lügen. Überdies wurde ihnen versichert, dass sie den Computer austricksen könnten, wenn sie sich sehr anstrengen. Bei Gelingen wurde ihnen mehr Geld als Belohnung versprochen.

Wenn die Versuchspersonen schwindelten, ließ sich in einigen Gehirnarealen erhöhte Aktivität feststellen. Allerdings ist eine bekannte Schwäche des GKT beim herkömmlichen Lügentest, dass einer unehrlichen Person eher geglaubt wird, dass viele Sachverhalte nicht so eindeutig klassifiziert werden können und dass jemand auch dann etwas beispielsweise als Zeuge wissen kann, wenn er an einem Schauplatz präsent, aber kein Täter war.

Vornehmlich ließ sich im anterioren Gyrus cinguli eine vermehrte Aktivität beim Lügen feststellen, der für die Aufmerksamkeit und bei Entscheidungen, aber auch bei der Unterdrückung einer Reaktion beteiligt ist. Erhöhte Aktivität war auch im präfrontalen Cortex zu beobachten, der an hemmenden Entscheidungen beteiligt sein soll, sowie am prämotorischen Cortex, da die Versuchspersonen für ihre Antwort eine Taste drücken mussten.

"Die Ergebnisse", so Daniel Langleben, der Leiter des Experiments, "haben darauf hingewiesen, dass diese Methode, da fMRI unmittelbarer die Gehirnaktivität misst als die gegenwärtig eingesetzte Technik des Lügendetektor, dieser überlegen sein könnte." Man müsse allerdings noch mehr Versuchspersonen unterschiedlicher Art in unterschiedlichen Situationen testen. Für eine Anwendung auf breiter Basis ist die Technik allerdings bislang wohl einfach zu kompliziert und zu teuer.

Ob es freilich tatsächlich eine allgemeine "Voreinstellung" des Gehirns für Wahrheit gibt, ist wahrscheinlich schon deswegen fraglich, weil es bekanntlich auch ungeheuer mühsam sein kann, die Wahrheit zu sagen, wenn sie denn bekannt ist, und weil das soziale Leben vielfach auf Schwindeleien beruht, ohne die ein Zusammenleben vielleicht gar nicht möglich wäre. Zu schwindeln oder zu lügen ist schließlich nur eine Rolle unter vielen, die man spielt. Und was wäre die menschliche Kultur, wenn man nichts anderes spielen könnte und immer nur auf Authentizität festgelegt wäre?

Und fraglich ist auch der Glaube, ob man tatsächlich beim Rückgang auf immer elementarere Vorgänge, also etwa von der Sprache auf physiologische Reaktionen und jetzt auf neuronale Aktivitätsmuster, den Schein durchbrechen und zur Wahrheit vorstoßen kann? Wird man also mit der fMRI auch das Paradox des lügenden Kreters aus der Welt bringen können? Der hatte bekanntlich gesagt: "Alle Kreter lügen."