Erinnern, ja! Aber online?
Ein missglückter Versuch bei einem heiklen Thema
Die Anzeige fällt auf. Dunkler Hintergrund, über die Seite läuft in weißer Schrift ein Text, in dem jemand erzählt, wie sein jüdischer Vater von Hitlerjungen zusammengeschlagen wird. In der Mitte ein Streifen mit Bildern, daneben ein Hinweis auf die Verfasserin, Dora Bell, die mit ihren Eltern ins Exil nach Palästina ging. Unten auf der Seite eine Internet-Adresse, die prägnanter nicht sein könnte: www.erinnern-online.de. Dazu der Text: "Überlebende des Holocaust erzählen ihre Geschichte. Eine Aktion der Survivors of the Shoah Visual History gGmbH unter der Schirmherrschaft von Dr. Michael Friedmann."
Namen, die in die Irre führen. Denn hinter erinnern-online verbirgt sich nicht, wie man meinen könnte, ein neues Forum zum Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen, gar der Versuch, sich mit den Fragen von Erinnerung und gesellschaftlichem Gedenken im Internet auseinanderzusetzen. Es verbirgt sich auch nicht dahinter ein Portal der Shoah Foundation, wo man sich in die biographischen Interviews vertiefen kann, die von dieser Initiative seit Jahren geführt werden. Die Website ist nur eine schlecht verhohlene Werbeaktion des Cornelsen Verlages, der auf diese Weise seine CD-ROM "Erinnern für Gegenwart und Zukunft - Überlebende des Holocaust berichten" promoten will, die im Auftrag der von Steven Spielberg gegründeten Survivors of the Shoah Visual History GmbH speziell für den Unterricht an deutschen Schulen entwickelt wurde.
Dazu präsentiert der Verlag ein paar Bildchen und Kurztexte, nicht mehr als eine Handvoll Sätze, die man sich auch von den Überlebenden selbst per wackeligem RealAudioMovie vortragen lassen kann. In einem Forum dürfen Lehrer und Schüler ihre Meinung zum Thema "Hakenkreuze im Klassenzimmer?" äußern. Die Teilnahme ist gering, trotz der Tatsache, dass die Seite schon geraume Zeit online ist, die Qualität des Forums ist entsprechend. In den meisten aller Fälle benutzen die Schüler es, um ihre Antihaltung gegen Rechts, "Rechts ist echt scheisse!!" oder "Nieder mit den NEO Nazis!!" kundzutun. Gelegentlich verirrt sich jemand mit einer anderen Haltung, was aber kaum zu einer wirklichen Auseinandersetzung führt. Und wichtige Fragen oder Probleme, die manchmal angerissen werden, verlieren sich im Raum.
Zudem gibt es ab und an einen moderierten Chat. So fand am 21.2 einer mit Jasmin Tabatabai statt, die Patin des ebenfalls von Cornelsen Verlag und der Shoah Foundation veranstalteten Schülerwettbewerbes mit dem Titel "Im Dialog für Toleranz" ist. Aber auch der Chat kam über ein paar wenige sehr allgemeine Fragen nicht hinaus.
All das mag nett sein. Auch das Projekt von Steven Spielberg, möglichst viele Überlebende des nationalsozialistischen Völkermordes zu interviewen und das Material für die Schule aufzuarbeiten, ist, bei allen Einwänden, die es auch zu recht gibt, ein ehrenwertes Unterfangen. Aber eine derartige Website schadet wegen ihrer mangelnden Qualität dem ganzen Unterfangen der Auseinandersetzung über die Zeit des Nationalsozialismus und ihrer Konsequenzen für unser Heute, schließlich ist es äußerst fragwürdig, die Erlebnisse und Aussagen der Überlebenden auf einige wenige, völlig aus ihrem Kontext herausgerissenen Sätze zu reduzieren.
Es gibt im Netz profunde Seiten zu diesem Thema, genannt seien hier nur www.nizkor.org oder www.shoah.de und es gibt auch das Problem, dass Rechtsextreme das Netz gezielt als Propagandamedium benutzen . Erinnern-online.de bietet aber keinerlei wirkliche Aufklärung, sondern führt allein über die Linkliste zu einschlägigen Seiten. Das alles ist schlicht Bauernfängerei bei brisantem Kontext.