Erkennen Sie die Melodie?

Die "Mission to Mars" mündet in religiösen und entwicklungsgeschichtlichen Phantastereien

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Grüne Männchen oder Steinwüste - auf alles waren wir gefasst, wenn's um den Mars geht. Aber dass der Planet eine intergalaktischen Quiz-Show birgt, musste erst die Mission to Mars von Brain De Palma für uns entdecken.

"Nach der Ironie kommt das Pathos", sagt Harald Schmidt. Vielleicht müssen deshalb bald die Maschinen den Humor übernehmen. Da explodiert zum Beispiel beim Anfahren im All das Heck des Raumschiffs, Tod und Verderben droht allen Insassen und der Bordcomputer sagt teilnahmslos "Fluglage inkorrekt". Hübsch formuliert. Die Wissenschaftler-Crew selbst ist, wenn nicht grade am Flennen, eher hemdsärmelig unterwegs. Auch in der schönsten Krise geht die Ferienlager-Stimmung nicht verloren: "Hey, Leute, wie wär's denn, wenn wir..." sagt dann einer - und so wird's dann auch gemacht. Mit Handwerkertricks kann man existenzielle Nöte schon mal überbrücken.

Die erste "Mission to Mars" mit Luke (Don Cheadle) scheint gründlich gescheitert zu sein, irgendein mächtiges windhosenartiges Wesen hat seine Kollegen getötet und das Equipment demoliert. So macht sich eine zweite Expertengarde, geleitet von Woody (Tim Robbins) und Jim (Gary Sinise), auf zur Rettungsaktion. Deren Raumschiff allerdings gerät in einen dieser lästigen Meteoritenschauer und es dauert eine Weile, bis die Retter den völlig verstörten Luke auf seinem Planeten besuchen können. Der Schlüssel zum seltsamen Windhosen-Phänomen liegt in einer fiependen und klopfenden Geräuschabfolge, das in der graphischen Umsetzung ein kleines Rätsel für alle Humanoiden aufgibt, eine Art "Erkennen Sie die Melodie" für musikalische Genetiker. Mit gelöstem Quiz ist es nicht mehr weit in den Evolutionsunterricht am marsianischen Monitor. So führt die Mission immerhin dazu, dass die Frage nach der Entstehung der Menschheit vorerst abgehakt werden kann.

Brian De Palma ist einer, der Film auch als olympische Disziplin betreibt. Eine Weile war er damit beschäftigt, Hitchcockeffekte zu toppen, zuletzt hat er in "Snake Eyes" eine derart furiose Auftaktsequenz inszeniert, dass er damit, zumindest was den Aufwand betraf, Robert Altmanns zwanzigminütiges Intro aus "The Player" ausstach. In "Mission to Mars" ist er hinter Kubrick und dessen "2001 - Odyssee im Weltraum" her. Schon die Grillparty der Astronauten am Anfang lässt er uns neugierig umkreiselnd beäugen wie mit einer Mars-Forschungskamera. Mit den Passagen in der Schwerelosigkeit schließlich haben er und sein Kameramann Stephen H. Burum neue tricktechnische Maßstäbe gesetzt. Es gibt kein oben und unten mehr, der Kinosaal selbst scheint Loopings zu schlagen und die Schauspieler spazieren am Rande des Kaleidoskops entlang.

Diese Bilder jedoch müssen über vieles hinwegtrösten, z.B. über die hinfälligsten Dialoge seit weiland "Flash Gordon". Einerseits wird "Oh, Gott, großer Gott!" gerufen, wenn wir was besonders spannend finden sollen, andrerseits quatscht die Crew ohne Unterlass, wenn sie wirklich mal sprachlos sein dürfte. Mitten auf dem Mars treten sie in ein großes, steinernes Gesicht, hinein in eine riesige weiße Halle und hören und hören dabei nicht auf zu plappern und zu organisieren. Zuvor wird die Geschichte überwiegend von Behauptungen getragen. In kurzer Zeit häufen sich so viele übersprudelnde Sekundärinformationen an, dass "Mission to Mars" schon nach fünf Minuten so wirkt, als würde er bereits eine Stunde laufen. Die Frage erhebt sich, ob man zu spät ins Kino gekommen ist oder der Vorführer vielleicht ein, zwei Akte vergessen hat. Dafür bleibt De Palma später reichlich Raum, Unwesentliches auszudehnen.

Was diese humorfreie, superpathetische "Mission to Mars" geringfügig sympathischer macht als tumbe Hauruck-Produktionen wie "Armaggedon", ist das wunderbare Missverhältnis von kunstvoller Bildsprache und erzählerischer Inkompetenz, die bei diesem Regisseur allerdings überrascht. Sei es drum, eskaliertes Deppentum, wie in "Mission to Mars" ersichtlich, beweist glorreich die Schwächen einer perfekt scheinenden Filmindustrie. Weil De Palma nichts mehr peinlich zu sein scheint, findet sein Film traumwandlerisch sicher ins Obskuritätenkabinett.

Als einigermaßen normales Weltraumabenteuer angelegt, mündet diese Marsmission in religiösen und entwicklungsgeschichtlichen Phantastereien. Und nach dem Abenteuer gibt es eine Lösung des Weltenrätsels gratis. Zugleich jedoch ist der Film auch eine Frontier-Geschichte. Wenn die drei Nachzügler auf einem Hügel ins marsianische Tal blicken, schwingt sich die Musik zum Western-Bläser-Chor auf. Gleich im nächsten Bild wird die amerikanische Flagge aufgestellt. Die Kavallerie ist angekommen, die Eroberung geht in die zweite Phase. Am Ende bleibt Gary Sinise bei den Indianern und wird Kiemenatmer.