Erklärung des Ausnahmezustands als Antwort auf die Unruhen
Die Regierung schließt auch den Einsatz von Militär nicht aus, den die Rechten fordern. Die Linken sind in ihrer Reaktion zerrissen, der Innenminister Sarkozy verbündet sich mit konservativen muslimischen Organisationen
Mehrere neue Eskalationsstufen wurden in den letzten Tagen bei den Unruhen in den französischen Trabantenstädten und beim staatlichen Umgang mit ihnen überschritten. Am Montag Abend kündigte der französische Premierminister Dominique de Villepin die Verhängung einer Ausgangssperre über von den Unruhen betroffene Zonen aus. Eine vom wöchentlichen Sitzungstermin am Mittwoch Vormittag auf den heutigen Dienstag vorgezogene Kabinettssitzung soll beschließen, dazu ein altes Gesetz vom 3. April 1955 zu "reaktivieren ". Dieses Gesetz erteilt den Präfekten, den juristischen Vertretern des französischen Zentralstaats in den Départements und Regionen, die Vollmacht, ein allgemeines Ausgangsverbot zu bestimmten Zeiten zu verhängen. Es wurde damals im Zusammenhang mit dem 1954 begonnenen Kolonialkrieg in Algerien und seinen Auswirkungen auch im französischen Kernland verabschiedet. Seit dem Ende des Algerienkriegs wurde es in Frankreich nicht mehr angewandt.
Im Namen der Polizeigewerkschaft Alliance verkündete ihr Generalsekretär Jean-Luc Garnier im öffentlichen Radiosender France Info, er sei "skeptisch" hinsichtlich einer solchen Entscheidung. Ihre Umsetzung erfordere eine hohe Anzahl und Konzentration von Einsatzkräften in den betroffenen Gebieten: "Wir kommen dann", so warnte er, "notwendigerweise mit ganzen Bevölkerungsgruppen in Konflikt, die überhaupt nichts mit den Unruhen zu tun haben". Für besonders stark betroffene Örtlichkeiten wolle er den Sinn einer solchen Maßnahme jedoch nicht ausschließen. Seitens der französischen Sozialdemokraten erklärte ihr Parteivorsitzende François Hollande lediglich, seine Partei werde "über den guten Gebrauch dieses Gesetzes wachen". Die Grünen kritisierten in einer ersten Stellungnahme den "völlig überzogenen Charakter der Maßnahme".
Ansonsten hatte Premierminister de Villepin noch angekündigt, zusätzliche 1.500 Mann von Polizei und Gendamerie " erstere untersteht in Frankreich dem Innen-, letztere dem Verteidigungsministerium " zu den 8.000 in den hauptsächlich betroffenen Gebieten eingesetzten Beamten zu mobilisieren. Dagegen will der seit Juni amtierende Regierungschef bisher dem Ruf nach einem Einsatz der Armee nicht folgen, der vor allem seit längerem aus dem Rechtsaußenspektrum erhoben wird (Jean-Marie Le Pen forderte ihn bereits vor zehn Jahren permanent), aber in den allerletzten Tagen vereinzelt auch von Bürgermeistern bestimmter Trabantenstädte wie Noisy-le-Grand erwogen wurde.
In der vorausgehenden Nacht vom Sonntag zum Montag hatten die Unruhen in einigen Brennpunkten ihrerseits eine neue Eskalationsschwelle überschritten. Zum ersten Mal wurden Polizisten durch Schüsse mit scharfer Munition verletzt. In der Nähe der riesigen Hochhaussiedlung La Grande-Borne in der südöstlichen Pariser Trabantenstadt Grigny waren 60 Beamte der kasernierten Bereitschaftspolizei CRS am frühen Abend in einen Hinterhalt geraten, in dem sie von rund 200 jugendlichen Angreifern mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen wurden. Dabei fielen Schüsse aus einem Jagdgewehr sowie einer Schrotpistole. Zwei Beamte wurden durch Gewehrmunition schwer verletz und ins Krankenhaus eingeliefert, während etwa 30 Bereitschaftspolizisten durch Schrotmunition leichte Verletzungen erlitten . Bisher war der Einsatz von Feuerwaffen in den französischen Banlieues noch die Ausnahme, weshalb der oft gezogene Vergleich zu den Verhältnissen in der Bronx und anderen "Ghettos" von US-Großstädten auch hinkte. Ein städtischer Angestellter in Grigny, der am Nachmittag desselben Tages einer Unterhaltung von an den Unruhen beteiligten Jugendlichen beigewohnt hatte, wird in "Le Monde" mit den Worten zitiert:
Sie sagten, dass sie auch ins Fernsehen kommen und in den "Top 10" der verschiedenen Hochhaussiedlungen auftauchen wollten. Mit den verletzten CRS-Beamten haben sie stark zugeschlagen, ich glaube, dass sie unter den ersten zwei oder drei Plätzen bei der Medienberichterstattung landen werden.
In Grigny und an anderen Orten wurden mittlerweile Lehrerinnen und Lehrer, Kindergartenpersonal und andere Bürger selbst aktiv, unter anderem um Schulen und Einrichtungen für Kinder vor Zerstörungen zu beschützen. An einer Reihe von Orten wurden auch diese zu Zielscheiben von Attacken, da sie den jugendlichen Aufrührern als Staatssymbole erscheinen, auf diesen Gebäuden flattert zumeist eine Trikolorefahne. An vielen Orten haben diese "Besetzungen" von Gebäuden, um sie zu beschützen, rein defensiven Charakter wie in Grigny. Auch in Drancy nördlich von Paris beschränkten sich die Teilnehmer bei den selbstorganisierten "Wachen" darauf, Randalierer von Zerstörungen abzuhalten. In zwei Fällen wurden sie der Polizei übergeben. Andernorts, etwa in Argentueil, sprechen Berichte dagegen mittlerweile von richtigen "Bürgerwehren", von denen möglicherweise ihrerseits eine gefährliche Dynamik ausgehen könnte.
Am vorigen Samstag hatten in einigen Trabantenstädten von Paris, etwa in Aulnay-sous-Bois, Demonstrationen "für die Rückkehr zur Ordnung" stattgefunden. In Aulnay-sous-Bois, wo die Initiative dazu vom Bürgermeister und örtlichen Abgeordneten der konservativen UMP ausging, hatte dies allerdings nur zum Effekt, mehrere hundert Bewohner von Reihenhaussiedlungen und aus dem Stadtkern gegen jene der Hochhaussiedlungen " die dem Ereignis fern blieben " zu mobilisieren.
Strategien im Umgang mit einem Jahrzehnte alten Problem
Die Banlieue-Problematik ist nicht neu. 1973 beendete die so genannte -Türme- und Riegel-Verordnung" die Errichtung großer Hochhaus- und Plattenbausiedlungen. Die ersten spektakulären Unruhen fanden 1981 in den Lyoner Trabantenstädten statt.
Wie gehen nun die etablierten politischen Kräfte und die Staatsorgane seit Jahren mit der Banlieuekrise um? In den letzten 15 Jahren bildete sich ein Konsens zwischen den staatstragenden Kräften heraus, wonach die Problematik der Trabantenstädte vorwiegend als ein Problem polizeilicher Krisenverwaltung und Sicherheitspolitik wahrzunehmen ist. In den frühen 90er Jahren machten die Vorstädte, unter dem damaligen Innenminister Charles Pasqua, der mittlerweile politischer Rentner ist, eine extrem repressive Phase durch. Innerhalb von zweieinhalb Jahren kam es damals zu fast 200 Todesfällen bei polizeilichen Kontrollen, bei Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften und, innerhalb der Kommissariate, in -polizeilichem Gewahrsam". Dies goss auf die Dauer noch reichlich zusätzliches Öl ins Feuer.
Als die Sozialdemokraten und mit ihnen verbündete Linksparteien wieder das Regierungsgeschäft übernahmen, vollzogen sie zu allererst einen politisch-symbolischen Paradigmenwechsel: Anlässlich der berühmten -Konferenz von Villepinte" konstatierten die Sicherheitspolitiker der Linksparteien im Sommer 1997, sie hätten sich geirrt, als sie bisher die Banlieue-Problematik vorwiegend als Ausdruck sozialer Probleme gewertet hätten. Vielmehr hätten die Polizei und die Repression eine nicht zu bestreitende zentrale Rolle bei der Lösung des Problems der -violences urbaines" zu spielen. Diesen spezifischen Begriff haben französische Politiker und Sozialwissenschaftlicher mittlerweile für die Gewalt in den Vorstädten geschaffen. Dennoch setzten die Sozialdemokraten auch eine wichtige Vänderung mit dem Projekt der -bürgernahen Polizei" (police de proximité) durch. Dabei privilegierten sie den Aufbau von kleinen, dezentralisierten Polizeieinheiten innerhalb der Trabantenstädte, die tagsüber in ihren Büros ansprechbar sein sollten und etwa bei kleineren Alltagsproblemen und Nachbarschaftsstreitigkeiten eingeschaltet werden könnten. Dadurch sollte ein Minimum an Vertrauensverhältnissen zwischen Polizisten und Einwohnern geschaffen werden.
Bis dahin war das Bild der Polizei vor allem von ortsfremden und militarisierten Einheiten geprägt, die in den Trabantenstädten nur in größerer Zahl und in Form regelrechter Strafexpeditionen aktiv wurden. Dazu gehören die kasernierte Bereitschaftspolizei CRS (Compagnies républicaines de sécurité) und die Brigades anti-criminalité. Nicht alle, aber doch eine größere Anzahl der Mitglieder dieser Anti-Aufruhr-Einheiten kultivieren zudem rassistische Verachtungsgefühle gegenüber einem Teil der Banlieue-Bevölkerung: Bei den Personalratswahlen der Polizei im Herbst 1995 erhielt der rechtsextreme Front National de la Police, dem später (1998) durch die Gerichte die angebliche Eigenschaft als -Polizeigewerkschaft" aberkannt und der daraufhin verboten wurde, rund 10 Prozent. Aber bei einer CRS-Kompagnie im Pariser Raum sammelte er 46 Prozent der Stimmen.
Der Beitrag von Sarkozy
Ab 1997 wurde die Rolle dieser rein repressiv agierenden Polizeitruppen reduziert und, jedenfalls tagsüber, durch die ziviler auftretenden Polizisten in den neuen Büros innerhalb der Vorstädte abgelöst. In den Nächten und an den Wochenenden freilich blieben die BAC und andere militarisierte Einheiten die Herren der Lage. Die sozialdemokratische Regierung versuchte so eine zumindest teilweise Entspannung der Lage zu erreichen. Mit dem Regierungswechsel im Mai 2002 und dem Amtsantritt des neuen Innenministers Sarkozy erfolgte jedoch der fristlose Abbruch des Experiments. Die -bürgernahe Polizei" wurde stark reduziert, etwa in Clichy-sous-Bois, und Nicolas Sarkozy verbreitete sich spöttisch darüber, seine Polizisten hätten nicht -Sozialarbeiter und Stadtteilanimateure zu spielen". Die repressiven Einheiten übernahmen wieder das Terrain.
Sarkozy ergänzte seine Strategie aber auch um ein zweites Standbein, das darin bestand, religiöse und kommunitaristische Gruppen als -Ordnungsstifter" zu mobilisieren, namentlich auch muslimische Verbände. Den letzteren, auch den reaktionär-kommunitaristischen und teilweise Islamisten nahe stehenden Vereinigungen, kam dies entgegen. Besteht ihr zentrales ideologisches Anliegen doch in einer " nötigenfalls autoritären " -Moralisierung" der Gesellschaft, welche erneut die Voraussetzungen für ein geordnetes Zusammenleben schaffe.
Kungelei mit den konservativen muslimischen Organisationen
Im Übrigen hatten diese Verbände gegenüber Bürgerinitiativen, Frauengruppen oder Stadtteilgruppen den Vorzug, dass sie von der Regierung nicht unmittelbar Geld " etwa für die Befriedigung sozialer Bedürfnisse " verlangten, sondern lediglich Spielraum für ihr eigenes Agieren. Innenminister Sarkozy konnte sich so als Vertreter politischer -Ausgewogenheit" präsentieren, da er zugleich Integrationsangebote an Vertreter von Migrantengruppen machte und ansonsten die notwendige Repression garantierte. -Hart, aber gerecht" lautet seine häufig wiederholte Devise.
Bei einem Teil der regierenden Konservativen stieß Sarkozy aber mit seiner Doppelstrategie auf Kritik. Teils wurde ihm vorgeworfen, er verletze durch sein -Bestärken des Kommunitarismus" das universalistische Staatsverständnis der französischen Republik. Tatsächlich hat sich Sarkozy, der sich eher an der US-amerikanischen Rechten ein Vorbild genommen hat, in den letzten beiden Jahren durch Kritik am staatsoffiziellen französischen Laizismus hervor getan und wünscht zumindest teilweise eine Überwindung der seit 1905 gesetzlich festgeschriebenen Trennung von Staat und Religion(en). Mehrmals sprach er sich für eine -Überarbeitung des Gesetzes von 1905" aus. Teils ging die Kritik im rechten Lager aber auch darauf zurück, dass man Sarkozy beschuldigte, er dulde ein -Nachgeben der französischen Staatsmacht gegenüber fremden Souveränitätsansprüchen auf unserem Territorium". Stattdessen solle man besser den eigenen Souverän stärken und nicht fremde Mächte. Beide Facetten der Kritik finden sich in der Debatte innerhalb der rechten Strömungen wieder. Die Rechtsradikalen kritisierten natürlich aus ihrer Sicht ein Zurückweichen des Staates, der Frankreichs Charakter als weißes und katholisches Land zu garantieren habe.
Auch in der jüngsten Krise nach den Ereignissen von Clichy-sous-Bois mobilsierte Sarkozy wieder einige muslimische Gruppierungen, die zur -Rückkehr der Ruhe" aufriefen. Erschwert wurde dies aber dadurch, dass am vorletzten Sonntag eine Tränengasgranate der Polizei mitten in einer Moschee in Clichy explodierte. Die Gläubigen flohen panikartig aus dem Gebetssaal, der im Gebäude eines Einkaufszentrums liegt. Ein Versehen, wie die Einsatzleiter behaupteten, oder ein absichtlicher Racheakt von Polizisten, wie viele Einwohner argwöhnen? Die muslimischen Gemeinden mussten jedenfalls einen wachsenden Unmut verzeichnen. Der als moderat bekannte Rektor der Pariser Zentralmoschee und oberste Repräsentant des institutionalisierten Islam, Dalil Boubakeur, kritisierte daraufhin den Innenminister mit verhaltenen Worten. Ihm fiel wiederum die UOIF (Union islamischer Organisationen in Frankreich), die den rechten und reaktionären Flügel des institutionalisierten Islam vertritt, in den Rücken: Sie kritisierte, dass Boubakeur "in unzulässiger Weise Politik betrieben" habe. Zum Hintergrund des Streits gehört jedoch auch, dass Boubakeur dem französischen Präsidenten Chirac persönlich nahe steht, während die Spitze der UOIF in den letzten Jahren eine strategische Allianz mit Sarkozy eingegangen ist.
Um auf die zunehmende Kritik aus dem eigenen Lager an seiner Amtsführung, die in den ersten Tagen dem Ausmaß der Krise nicht gewachsen schien, zu antworten, hat der Innenminister aber in den letzten Tagen einen Teil der Warnungen vor dem Islamismus - als angeblich hinter den Ereignissen steckendem Unruhestifter - in seine Rhetorik übernommen. In einem Interview in der Sonntagsausgabe von Le Monde, in dem Sarkozy stark nach dem Strickmuster -Ich oder das Chaos" argumentiert, warnte der Innenminister davor, im Falle eines Scheitern seiner Strategie drohe -die Ordnung der Mafias oder jene der Fundamentalisten". Tatsache ist jedoch, dass besonders die reaktionären Kreise innerhalb des Islam im aktuellen Kontext eher auf die Strategie setzen, durch die Behörden als potenzielle -Ordnungsstifter" akzeptiert zu werden. Das entspricht auch eher ihrem ideologischen Profil, also ihrem Anspruch als -Moralisierer" des öffentlichen Lebens.
Probleme bei der Linken
Seitens der politischen Linken hat man kurzfristig eher Schwierigkeiten damit, eine adäquate Antwort auf die Ereignisse zu finden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass man zwar die -soziale Frage" und ihre besondere Form in den Banlieues als Ursache der Krise begreift " aber zugleich nur schwer die konkreten Aktionsformen de Jugendlichen als Ansatz zu einer Lösung dieser Problematik verstehen kann. Lediglich die autonomen Gruppen, die in der französischen linken Szene jedoch eine ungleich marginalere Stellung einnehmen als in einigen deutschen Städten und gesamtgesellschaftlich extrem randständig sind, begrüßen das Vorgehend der Banlieuejugend nahezu uneingeschränkt. Soweit Meinungsäußerungen von ihrer Seite einholbar sind, wird in den Riots eine Regung des Subproletariats, als Vorbote der sozialen Revolution, erblickt. Dies dürfte, gelinde ausgedrückt, im Hinblick auf die gesellschaftliche Realität reichlich optimistisch sein.
Die staatstragende Linke tut sich ihrerseits in der derzeitigen Lage besonders schwer. Die Sozialdemokraten, die derzeit mit ihrer Kongressvorbereitung und innerparteilichen Konflikten beschäftigt sind, konnten sich erst nach mehreren Tagen zu klaren öffentlichen Stellungnahmen durchringen. Seitdem klagen sie vor allem die -Abkehr vom Prinzip der bürgernahen Polizei" an, die seit dem letzten Regierungswechsel vollzogen wurde. Direkt und indirekt kritisieren sie die Politik von Innenminister Nicolas Sarkozy, der wegen seines ruppigen Umgangs mit der Jugend der Banlieues " bei einem viel beachteten Auftritt zwei Tage vor Ausbruch der Unruhen in Clichy-sous-Bois hatte Sarkozy, in ziemlich unspezifischer Weise, von "Gesocks" und -Abschaum" gesprochen " als "provozierend" und zudem als übertrieben repressiv gilt. Dennoch konnten sich die führenden sozialistischen Politiker bisher nicht dazu durchringen, auch den Rücktritt des Innenministers zu fordern. Ihrer Auffassung nach wäre dies eine -riskante Operation", da eine solche Forderung von ihrer Seite als Ermutigung der Unruhen ausgelegt werden könnten. -Jetzt den Rücktritt Sarkozys zu fordern, hieße, den jugendlichen Krawallmachern Recht zu geben", erklärte etwa der Sprecher des Mitte-Rechts-Flügels der Partei, der Abgeordnete Julien Dray.
Dagegen fordern die KP und die Grünen mittlerweile lautstark den Rücktritt des amtierenden Innenministers. Der Grünenpolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Noël Mamère, der als ehemaliger Fernsehjournalist gut um die Medienwirkung seiner Auftritte weiß und sehr darauf bedacht ist, sprach am Samstag eine Rücktrittsforderung an die Adresse des -Möchte-Gern-Sherrifs" Sarkozy in die Kameras. Die französische KP legt in ihren Stellungnahmen den Schwerpunkt auf die Forderung nach einer Umgewichtung des staatlichen Handelns in den Trabantenstädten. Statt auf den repressiven müsse der Akzent viel stärker auf den sozialen Staatsfunktionen liegen. Ein paar hundert Mitglieder, darunter viele ihrer Bürgermeister aus den Trabantenstädten, demonstrierten am Freitag Abend vor dem Pariser Amtssitz des Premierministers. Es müsse mehr Geld für die dringendsten sozialen Aufgaben und Bedürfnisse in den Banlieues zur Verfügung gestellt werden, wurde gefordert, gleichzeitig wurde auch -die Gewalt" verurteilt.
Weder das Problem aus der staatlichen Perspektive betrachten, noch die Aktionsformen der Banlieue-Jugend bejubeln möchte der größere Teil der radikalen Linken. Alain Krivine, einer ehemaligen Köpfe des Pariser Mai 1968 und bis vor kurzem Wortführer de trotzkistisch-undogmatischen LCR, sprach in einer Stellungnahme differenzierend sowohl von -einer Revolte" als auch -von Gewalttaten", die -in der Gesellschaft Besorgnis" hervorriefen. An alle anderen Linkskräfte richtete die LCR den Vorschlag, eine gemeinsame Großdemonstration in Form eines -friedlichen Marschs aus den Trabantenstädten" in das Pariser Machtzentrum durchzuführen, um den Rücktritt von Innenminister Sarkozy zu fordern. Dafür gibt es noch keine konkreten Pläne, aber am kommenden Mittwoch werden die LCR und andere linke und gewerkschaftliche Kräfte vor den Rathäusern der Trabantenstädte demonstrieren. Am Montag soll zudem eine gemeinsame Erklärung der Grünen, mehrerer Antirassismusgruppen, der eher linksliberalen Liga für Menschenrechte (LDH) und der linksalternativen Gewerkschaft SUD-Solidaires veröffentlicht werden. Darin werden ebenfalls der Rücktritt des Ministers und das Ende einer überwiegend repressiven Behandlung der Banlieues verlangt.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums, in der rechtsextremen Opposition, versucht man dagegen den repressiven Kurs des Innenministers, der als ungenügend empfunden wird, zu toppen. Dabei wurde jedoch dem alternden Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen, der kurz vor dem Ende seiner politischen Karriere steht, dieses Mal die Show gestohlen. Die stärksten Töne spuckte im Laufe der vergangenen Woche der Rechtskatholik und nationalkonservative EU-Kritiker, Graf Philippe de Villiers. Er forderte, statt der Polizei die Armee in den Banlieues einzusetzen, die Militärs mit weit reichenden Durchsuchungsbefugnissen auszustatten und -Eltern in den Trabantenstädten, die ihre Kinder und Jugendlichen abends nach draußen gehen lassen, die Sozialleistungen zu sperren". In ähnliche Richtung gehend, aber verbal etwas weniger martialisch auftretend, forderte Marine Le Pen " die Tochter des Front National-Chefs " -die Verhängung des Ausnahmezustands über die Unruhezonen".