Ernte 2024 unter Druck: Pestizid-Einsatz explodiert trotz Öko-Plänen

Mähdrescher spiegelt sich in Pfütze

Starke Regenfälle beeinträchtigen Erntemengen. Bauern kämpfen mit Pilzbefall. Warum unsere Brötchen zunächst nicht teurer werden.

Überdurchschnittlich viel Regen mit teilweise lokalen Überschwemmungen – besonders im Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – so lässt sich die Wetterbilanz für Juni beschreiben. Regional seien Schäden an den Ackerkulturen zu beklagen. Ungewöhnlich hohe Niederschläge führten in vielen Regionen zu Überschwemmungen und Staunässe.

Gleichzeitig werde im Norden und Osten Wasser teilweise bereits wieder knapp, erklärt Guido Seedler, Getreidemarktexperte des Deutschen Raiffeisenverbands. Denn die milden Temperaturen und der anhaltende Wind ließen die Böden dort austrocknen.

Besonders in einzelnen süddeutschen Regionen wurden landwirtschaftliche Kulturen wie Getreide, Rüben, Kartoffeln und Mais, aber auch Sonderkulturen wie Feldgemüse, Erdbeeren oder Himbeeren teilweise enorm geschädigt.

Denn wenn noch junge Kartoffel- oder Maispflanzen mehrere Tage unter Wasser stehen, sterben und faulen sie ab. Auch Wiesen und Getreide, die von den Wassermassen plattgewalzt wurden, seien in den meisten Fällen nicht mehr zu retten oder zumindest stark verunreinigt, erklärt Markus Drexler, Sprecher des Bayerischen Bauernverbandes.

Bereits im Herbst hatten andauernde Regenfälle in manchen Regionen die Aussaat des Wintergetreides erschwert.

Pilzbefall führt zu Ernteausfällen

Uwe Bißbort zum Beispiel kultiviert im Südwesten von Rheinland-Pfalz Wintergerste, Erbsen, Mais, Zuckerrüben und Raps. Auf einem seiner Äcker, auf dem eigentlich Raps wachsen sollte, stand im Frühjahr bis in den Mai das Wasser, so dass die Saat nicht aufgehen konnte.

Mit steigenden Temperaturen kamen im regenreichen Mai verstärkt Pilzkrankheiten hinzu, die er mit Fungiziden bekämpfte, um seine ohnehin geringen Erträge zu retten. Unterm Strich rechnet der Landwirt mit Verlusten von 30 Prozent für seinen Hof in diesem Jahr.

Allein für die Gerste plant er wegen der Nässe einen Ernteausfall von 60 Prozent ein. Normalerweise fielen in der Region jährlich rund 750 Liter Regenwasser, Ende Juni waren es bereits mehr als 1.200 Liter. Das seien selbst nach den Trockenjahren zu viel gewesen, klagt der Bauer im Interview mit der Tagesschau.

Andere Landwirte in der Region hat es noch härter getroffen. Besonders in den Tallagen sei alles so aufgeweicht gewesen, dass die Bauern nicht mehr auf ihre Äcker kamen. Aufgrund des nassen und wechselhaften Wetters sei die Getreideernte in diesem Jahr etwas später als üblich, sagt Thomas Knecht aus Herxheim.

Wegen zunehmender Pilzkrankheiten brachte der Landwirt drei Mal hintereinander Pflanzenschutzmittel aus, statt wie sonst nur einmal. Denn Schadpilze am Weizenkorn seien für Mensch und Tier ungesund, wie er erklärt.

Bauern fordern stabile Brotpreise

Für den Verbraucher dürften beim Bäcker die Preise stabil bleiben. Der Handel dürfe die Wetterkapriolen nicht missbrauchen, um höhere Preise durchzusetzen, finden die oben genannten Landwirte. Der globale Handel mit Agrarrohstoffen könne dies ausgleichen. Der Anteil des Weizenpreises am Brötchen liege bei maximal einem dreiviertel Cent. Den Löwenanteil machen Energie- und Personalkosten sowie Logistik aus.

Zu Beginn der zweiten Juliwochen waren die Preise von Weizen und Raps heftig eingebrochen . Die Weizenpreise seien hin- und hergerissen zwischen dem Druck der globalen Weizenpreise und besorgniserregenden europäischen und französischen Erntedaten, meldete die Landwirtschaftsplattform Agrarheute.

Obwohl der europäische Weizenmarkt durch eine schrumpfende europäische Ernte gestützt werde, werde er "durch den starken Abwärtsdruck des russischen Weizens und den Preissturz in den USA mit nach unten gezogen", schreiben die Autoren.

DBV erwartet knapp "durchschnittliche Ernte"

Anfang Juli haben die Erntearbeiten auf den Feldern begonnen, die allerdings immer wieder durch Gewitter und heftige Regenfälle unterbrochen werden.

Mittlerweile hat in einigen Regionen die Getreide-Ernte begonnen. Allerdings werden die Erntearbeiten immer wieder durch Gewitter und heftige Regenfälle unterbrochen.

Trotz der Wetterkapriolen geht der Deutsche Bauernverband (DBV) in seiner Anfang Juli vorgelegten Prognose von einer Getreideernte von knapp 42 Millionen Tonnen aus, leicht unter dem Vorjahresergebnis. Beim Weizen rechnet der DRV mit 20,3 Millionen Tonnen – nach 21,5 Millionen Tonnen im Vorjahr – deutlich weniger als im extremen Dürrejahr 2018. Bei Raps werden 3,9 Millionen Tonnen erwartet.

Das Statistische Bundesamt und der Deutsche Raiffeisenverband schätzen die Getreideanbaufläche auf insgesamt 5,9 Millionen Hektar. Damit sinke die Fläche erstmalig unter die Marke von sechs Millionen Hektar. Gründe dafür seien "Flächenverlust durch Bau- oder Klimaschutzmaßnahmen und die Errichtung von Fotovoltaikanlagen", wie es heisst.

Die Ernte für Wintergerste begann Ende Juni bzw. im Norden und Osten Anfang Juli mit der Wintergerste. Der DRV schätzt die diesjährigen Erntemengen auf knapp 9,3 Millionen Tonnen nach 9,6 Millionen Tonnen im Vorjahr.

Nach der Wintergerste werden Raps, Weizen und Roggen und das Sommergetreide gedroschen, erklärt DRV-Getreidemarktexperte Guido Seedler, wobei der konkrete Erntezeitpunkt vom Witterungsverlauf abhängt. Wegen der ungewöhnlich feucht-warmen Witterung drohen Ernteausfall auch bei Kartoffeln.

Erhöhter Pestizideinsatz in Konflikt mit Zukunftsprogramm Pflanzenschutz

Ziel des kürzlich durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)initiierte Zukunftsprogramm Pflanzenschutz, war es eigentlich, die Einsätze von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent reduzieren. Dies gehe nur über technische und innovative Lösungen und nicht über pauschale ordnungsrechtliche Vorgaben, hält Bauernpräsident Rukwied dagegen.

Der hohe Schädlings- und Pilzdruck in diesem Jahr zeige erneut, dass es ohne Pflanzenschutzmittel nicht gehe, weder im konventionellen noch im Öko-Anbau.

Um die Ernten zu sichern, müsse man nun verstärkt Pflanzenschutzmittel einsetzen. Den Landwirten müsse "eine breite Palette von Wirkstoffen zur Verfügung stehen." Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz werde zum Ende des Anbaus mancher Kulturen führen, zur Verlagerung der Produktion ins Ausland und somit zu einer erhöhten Importabhängigkeit, wetterte der Bauernpräsident bereits im April. Im schlimmsten Fall gefährde es die nationale Versorgungssicherheit.

Kritik kommt auch von Bio- und Umweltverbänden

Bioland, Demeter, Nabu, DUH und anderen Verbänden hingegen geht das Programm nicht weit genug. In einem offenen Brief vom 3. Mai fordern insgesamt vierzehn Verbände von Cem Özdemir verbindliche, erreichbare und messbare Maßnahmen, "um die notwendige Reduktion von chemisch-synthetischen Pestiziden zum Wohle der Landwirtschaft, der Bevölkerung und unserer Umwelt umzusetzen".

Die Pestizidreduktionsziele sollten mit wirksamen Maßnahmen unterlegt werden, einige davon möglichst noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Zwar begrüßen sie, dass das BMEL an den Reduktionszielen der europäischen Farm to Fork Strategie festhält, bis 2030 die Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide halbieren und den ökologischen Anbau auf 30 Prozent ausbauen möchte.

Allerdings erwarte man, dass auch das zweite Reduktionsziel – die 50 Prozent Mengenreduktion besonders gefährlicher Pestizide – adressiert werde. Stattdessen werde deren Umsetzung derzeit in eine nicht definierte Zukunft verlagert, kritisieren die Verbände.

Langfristig gesehen gefährden hohe Pestizideinsätze Ernährungssicherheit. Denn sie kontaminieren Böden und Gewässer, beeinträchtigen ökosystemare Schlüsselfunktionen, sie sind mitverantwortlich für das Artensterben und schädigen Nützlinge. Biodiversität ist für die Landwirtschaft eine Grundvoraussetzung. Ohne die kostenlosen Ökosystemleistungen wird die Nahrungsproduktion immer schwieriger.

Aufgabe der Politik ist es, zügig Maßnahmen zur konkreten Pestizidreduktion umzusetzen und Landwirte dabei finanziell und mit Beratung zu unterstützen. Die Autoren verweisen auf eine breite Unterstützung in der Gesellschaft, wie etwa die Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten!

Neben konkreter Finanzierung braucht es vor allem Bürokratieabbau

Ähnlich wie der DBV befürworten auch die Umwelt und Bioverbände einen Bürokratieabbau, dieser jedoch müsse differenziert erfolgen und dürfe Schutzstandards nicht gefährden.

Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz nutze nicht genügend gestalterischen Spielraum, um Pestizidreduktion und größere Transparenz beim Pestizideinsatz sinnvoll zusammenzubringen, kritisieren die Verbände in ihrem gemeinsamen Papier. Dabei sei die Vereinheitlichung von Regelungen ein entscheidender Schritt zur Entbürokratisierung in der Landwirtschaft.

Bereits heute sind Betriebe verpflichtet, ihre Pestizidanwendungen aufzuzeichnen. Die digitale Erfassung der schlagbezogenen Anwendungsdaten in ein bundesweit zentrales elektronisches Register werde die Dokumentation durch die Betriebe erleichtern und die Verwaltung durch die Behörden vereinfachen, sind die Autoren überzeugt.

Vor allem fehlt es an einer sicheren Finanzierung. Dies gefährde nicht nur die Umsetzung, sondern auch Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Programms. Zentrale Forderung ist eine Pestizidabgabe, basierend auf der Analyse des Helmholtz-Zentrums.