Ersatzfreiheitsstrafen – nur noch halb soviel Knast für klassische Armutsdelikte
Wer Geldstrafen nicht zahlen kann, muss künftig für zwei Tagessätze nur noch einen Tag in Haft. Das BMJ hält die Reform für "historisch". Andere vermissten grundsätzliches Umdenken.
Nach den Worten von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ist es eine "historische Reform", die am Mittwoch im Kabinett beschlossen wurde: "Sie ändert den Umrechnungsmaßstab von einem Tagessatz Geldstrafe zu einem Tag Ersatzfreiheitshaft, die an Stelle der Geldstrafe zu verbüßen ist. Künftig entspricht ein Tagessatz einem halben Tag Ersatzfreiheitsstrafe."
Das bedeutet im Klartext, dass Menschen, die wegen klassischer Armutsdelikte wie Fahren ohne Ticket im öffentlichen Nahverkehr nicht explizit zu einer Haftstrafe verurteilt wurden, aber armutsbedingt ihre Geldstrafe nicht bezahlen können, in Zukunft nur noch halb solange in den Knast müssen.
Dadurch spart auch der Staat viel Geld, denn die Haftkosten pro Tag liegen im bundesweiten Durchschnitt bei mehr als 150 Euro. Momentan sind rund zehn Prozent der Inhaftierten in Deutschland nicht explizit zu einer Haftstrafe verurteilt. Jedes Jahr kommt so ein dreistelliger Millionenbetrag zusammen.
Bereits zehn Mal seien vergebliche Versuche unternommen worden, eine Reform der Ersatzfreiheitsstrafe herbeiführen, betonte Buschmann am Mittwoch.
Ich freue mich sehr, dass die Fortschrittskoalition nun endlich diesen wichtigen Schritt geht.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann
"Diskriminierung einkommens- und vermögensschwacher Menschen"
Allzu viel Eigenlob hält der Deutsche Anwaltsverein (DAV) für ungerechtfertigt und bedauert, dass hier "der Mut zu einer echten Reform fehlte". Gemeint ist die Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen – oder zumindest deren Beschränkung auf Personen, die zahlen könnten, aber nicht wollen.
Mit der Vollstreckung solcher Strafen an Personen, die schlichtweg nicht dazu in der Lage sind, ihre Geldstrafen zu begleichen, geht unweigerlich eine Diskriminierung einkommens- und vermögensschwacher Menschen einher. Das Ultima-Ratio-Prinzip wird damit unterlaufen, das Resozialisierungsziel klar verfehlt.
Deutscher Anwaltsverein (DAV)
Mehr noch: In einigen Fällen besteht Lebensgefahr. Aus einer Stellungnahme des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ging 2019 hervor, dass rund 15 Prozent der Betroffenen als suizidgefährdet gelten. Mehrmals im Jahr wird auch über vollendete Suizide während einer Ersatzfreiheitsstrafe in Deutschland berichtet.
"Ab und zu bekommen wir beim Freiheitsfonds Dankesnachrichten von Menschen, die sagen, sie hätten sich umgebracht, wenn wir sie nicht freigekauft hätten", erklärt die Initiative, die in solchen Fällen für zahlungsunfähige Menschen einspringt, aber natürlich nicht alle freikaufen kann.
Zahlreiche Initiativen fordern vor diesem Hintergrund auch die Entkriminalisierung der "Beförderungserschleichung". Der Deutsche Richterbund will die Strafbarkeit des "Schwarzfahrens" derweil zwar nicht abschaffen, aber auf solche Fälle beschränken, in denen "manipulatives Verhalten" vorlag.
Die Beförderungserschleichung nach § 265a Strafgesetzbuch soll nur noch strafbar sein, wenn Zugangsbarrieren oder Zugangskontrollen überwunden oder umgangen werden.
Deutscher Richterbund
Das "erhöhte Beförderungsentgelt" bliebe davon unberührt, da es ein zivilrechtlicher Anspruch ist.