Erst Gerste, dann Tomaten, Lachs oder Brokkoli: Monopole auf Nahrungsmittel

Wer dachte, das sei im Kern eine Erfindung der Natur, versteht die Logik des Kapitalismus nicht. Foto: Samuel Faber auf Pixabay (Public Domain)

Die abgelehnte Beschwerde gegen die Patentierung von Braugerste der Firma Carlsberg ist eine Grundsatzentscheidung, die auch andere Kulturpflanzen betreffen kann

Am 8. Juni wurde über die Beschwerde gegen ein Patent über Braugerste entschieden, das die Firmen Carlsberg und Heineken, die zu den größten Bierkonzernen der Welt gehören, 2009 beim Europäischen Patentamt angemeldet hatten. Konkret geht es um das europäische Patent EP2373154A2, für "Getränke aus Gerste und Malz mit niedrigem Gehalt an Dimethylsulfid". Letzteres ist ein Stoff, der zu einem unerwünscht krautigem Geschmack im Bier führt. Als Erfindung werden nicht nur die gentechnikfrei gezüchteten Gerstenpflanzen beansprucht, sondern auch die Ernte und das daraus hergestellte Bier. Dagegen hatte die Initiative "Keine Patente auf Saatgut!", ein Bündnis von rund 40 Organisationen, Beschwerde eingelegt. Das Europäische Patentamt wies diese Beschwerde nun zurück.

"Das ist ein schlechter Tag für Brauereien und die Gerstenzucht, weil hiermit ein Patent bestätigt wurde, das gar nicht erst hätte erteilt werden dürfen", bedauert Christoph Then von "Keine Patente auf Saatgut!" Die Technische Beschwerdekammer habe es versäumt, grundsätzliche Fragen der Patentierbarkeit von Pflanzen aus konventioneller Züchtung zu klären, teilte der Verein Arche Noah aus Österreich mit. Auch der Verband Private Brauereien Deutschland e.V. lehnt Patentanträge beziehungsweise Patente auf Braugerste und Bier grundsätzlich ab. Die Privatbrauereien Hirter und Zwettler aus Österreich brachten sogar eigene Einsprüche gegen eines der Carlsberg-Patente (EP 2575433) ein.

Seit 20 Jahren versucht Carlsberg, sich Saatgut, Gerste und Bier mit weitreichenden Monopolansprüchen als technische Erfindung patentieren zu lassen. Zu diesem Zweck lässt der Konzern das Erbgut der Gerste, die über rund 30.000 Gene verfügt, nach zufälligen Mutationen durchsuchen. Alles, was nützlich erscheint, wird als Patent angemeldet - unter anderem Eigenschaften, die den Brauprozess beschleunigen oder die Haltbarkeit des Bieres erhöhen. Erste Patente auf Bier und Gerste wurden bereits 2016 und 2019 angemeldet.Vier Patente wurden vom EPA bisher erteilt, gegen drei wurde Einsprüche eingelegt. Über einen dieser Einsprüche wurde am 8. Juni 2021 entschieden. Die Patente erstrecken sich über die gesamte Produktionskette - vom Saatgut bis hin zum Brauverfahren.

Dürfen Pflanzen und Saatgut patentiert werden?

Diese Frage wird alle Jahre wieder neu diskutiert. In Deutschland und in der EU ist die Patentierung von aus herkömmlicher Züchtung entstandenen Pflanzen oder zufällig entstandene Mutationen per Gesetz seit 2013 verboten. So hat der Verwaltungsrat des Europäischen Patentamtes (EPA) im Juni 2017 entschieden, dass künftig keine Patente mehr auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere erteilt werden dürfen. Ein Jahr später ließ das EPA verlauten, dass Pflanzen und Tiere aus konventioneller Züchtung grundsätzlich als patentierbare "Erfindungen" gelten sollen.

Diese Entscheidung widersprach den politischen Zielen und den demokratischen Entscheidungen der 38 Mitgliedsstaaten des EPA. Als Reaktion darauf wurden Anfang 2019 alle weiteren Patentverfahren im Bereich der konventionellen Züchtung ausgesetzt. Die Große Beschwerdekammer wurde aufgefordert, die Entscheidungen des EPA zu überprüfen.

Im Mai 2020 hieß es schließlich, dass Patente, die seit 2017 auf Pflanzen und Tiere erteilt wurden, nicht zulässig sind. Demnach seien Pflanzen und Tiere aus "im wesentlichen biologischen Züchtungsverfahren" nicht patentierbar, sondern nur Organismen, die gentechnisch verändert wurden. Ausgenommen davon seien Patentanträge, die vor Juli 2017 eingereicht wurden.

Was ist Gentechnik - was ist konventionelle Züchtung?

Das Problem ist, das dies nicht deutlich genug unterschieden wird. "Gentechnik" - das bedeutet eine gezielte genetische Veränderung einer Eigenschaft - zum Beispiel bei Mais, der ein Insektengift produziert. Die Eigenschaft wurde gezielt eingeführt - über Artgrenzen hinweg. So werden Gene verändert, die in der Natur nur selten mutieren würden. Im Gegensatz dazu birgt die konventionelle Züchtung eine große genetische Vielfalt, aus der sich der Züchter das Gewünschte auswählen kann, wobei die Auswirkungen eher zufällig sind.

Eine Sonderrolle spielen Mutationen im Erbgut: Sie geschehen entweder auf natürliche Weise, oder sie werden künstlich ausgelöst. Nur der letzte Fall wird als Erfindung eingestuft. Mit den künstlich ausgelösten Mutationen gelangen die Pflanzen in Reichweite des Patentrechtes, das bisher ausdrücklich nur genetisch veränderten Pflanzen vorbehalten war, erklärt Christoph Then von Testbiotech.

Das Patentamt, das sich über die Patente finanziert, arbeite mit diversen Tricks, sagen Kritiker. So werden zum Beispiel nicht nur zufällige Mutationen als Erfindung anerkannt. Die Braugerste, um die es im besagten Patent geht, stammt aus herkömmlicher Züchtung. Weder bei der aktuellen noch bei früheren Patentanmeldungen wurden gentechnische Verfahren eingesetzt. Stattdessen werden mit bekanntem Verfahren "zufällige Mutationen" ausgelöst: Um die Mutationsrate und die genetische Vielfalt zu erhöhen, wird das Gerstensaatgut mit bestimmten Chemikalien in Kontakt gebracht. Danach werden per Kreuzung und Selektion die gewünschten Eigenschaften herausgezüchtet.

Ziel ist eine veränderte Zusammensetzung der Stärke, die das Bierbrauen vereinfachen soll. Obwohl das im Patent beschriebene Verfahren weder neu noch technisch ist, beansprucht die Firma das entsprechende Saatgut, die Pflanzen, ihre Ernte sowie Lebensmittel und Getränke, die daraus hergestellt werden, als ihre Erfindung.

Innerhalb der letzten 20 Jahre wurden immer mehr nicht gentechnisch veränderte Pflanzen patentiert. Bei etwa 30 Prozent der Patentanträge auf Pflanzen in Europa handelt es sich um Patente auf konventionelle Züchtungen. Allein 2015 wurden rund 100 Patentanträge identifiziert, die konventionelle Pflanzenzüchtungen betreffen. Besonders häufig waren dies Kohlpflanzen, Weizen und Melonen mit je sechs Anmeldungen.

Patentschutz als Innovationsbremse

Laut Sortenschutz haben traditionelle Züchter und Züchterinnen freien Zugang zu allen auf dem Markt befindlichen Sorten. Gelingt es ihnen, daraus bessere Sorten zu züchten, können sie dafür ihren eigenen Sortenschutz erhalten. Dieser verleiht ihnen das exklusive Recht, die Sorte zu vermarkten, während zugleich andere Züchter versuchen, hieraus noch bessere Sorten zu züchten.

Deren Verwendung für die Züchtung einer neuen Sorte bedarf hingegen nicht der Zustimmung des Sortenschutzinhabers. Einmal patentiert, dürfen diese Pflanzensorten ohne die Zustimmung des Patentinhabers nicht für weitere Züchtungen genutzt werden. Im Zweifel ist der Patentschutz dann stärker als der Sortenschutz.

Die Folgen dieser Praxis erlebte Karl Josef Müller, der seit Ende der 1980er Jahre ökologische Getreidesorten züchtet. 1997 erhielt der Züchter und spätere Begründer von Cultivari von einem japanischen Züchter eine Gerstensorte mit einem sehr hohen Amylopektin-Gehalt, also einer veränderten Zusammensetzung der Stärke, die den Effekt der "Verkleisterung" bereits bei niedrigerer Temperatur herbeiführt, so dass im Brauprozess Zeit und Energie gespart wird. Zwei Jahre später begann der Züchter erste Kreuzungen, um eine neue Gerstensorte zu züchten. 2021 war der Verein dann so weit, die neue Sorte zur Registrierung anzumelden. Zudem hatte eine weitere Ökobrauerei Interesse an der Gerste.

Das Problem war, dass die Firma Carlsberg 2019 ein weiteres Patent mit der Nummer WO2019134962 auf Gerste mit ähnlichen Eigenschaften angemeldet hatte, die auf einer zufällig ausgelösten Mutation beruhten. Weil die Sortenzulassung teuer und der erwartete Markt eher klein und regional sein würde, musste noch vor dem Antrag auf Sortenzulassung geklärt werden, ob diese Sorte überhaupt von dem Patent erfasst war. In diesem Fall könnte die Arbeit jahrzehntelanger Züchtungen umsonst gewesen sein.

Auf der Grundlage der Patentanmeldung war diese Frage jedoch nicht so eindeutig zu beantworten. Denn die hier beschriebenen Eigenschaften der Carlsberg-Gerste reichten nicht aus, um zu beurteilen, ob es zu entsprechenden Überschneidungen kommen würde. Ein Patentanwalt wäre unter Umständen teurer gewesen, als die zu erwartenden Einnahmen aus der Züchtung. In einer Laboranalyse sollte untersucht werden, ob die von Carlsberg beschriebenen Mutationen auch in der Sorte von Cultivari zu finden waren, woraus sich wieder neue Fragen ergaben. Doch Cultivari hatte Glück: Carlsberg zog seinen Patentantrag Anfang 2021 aus unbekannten Gründen zurück, weshalb der Verein nun endlich die Zulassung der Sorte beantragen will.

Ist noch mit weiteren Patentierungen zu rechnen?

Wie wird das Patentamt mit zufälligen Mutationen künftig umgehen? Sollen sie genauso gehandhabt werden wie gentechnisch veränderte Organismen, werden wohl weitere Patente erteilt - und umso mehr geraten Züchter unter Druck. Ungeklärt ist auch, wer den Nachweis erbringen muss, damit die gezüchtete Sorte das Patent nicht verletzt - der Züchter oder der Patentinhaber?

Heute die Gerste, morgen Lachs, Tomaten, Brokkoli - nach dem aktuellen Urteil ist davon auszugehen, dass es in Zukunft noch mehr Patente auf Kulturpflanzen oder Tiere geben wird. Davon profitieren werden nicht nur die Firmen, die an den Patenten verdienen, sondern auch die Patentanwälte, die für sie arbeiten. Mit Patentierungen können große Konzerne die Grundlagen unserer Ernährung umfassend kontrollieren beziehungsweise nur bestimmten Firmen Züchtungen erlauben. Sie beeinträchtigen die Vielfalt auf dem Acker, den Fortschritt in der Züchtung und die Interessen der Verbraucher. Verhindert werden auch mögliche Innovationen, die tatsächlich dabei helfen könnten, die Welternährung in Zeiten des Klimawandels zu sichern. Bis heute sichert die konventionelle Züchtung den Zuchtfortschritt. Der Beitrag der Gentechnik hingegen ist marginal.

Ausblick: Was muss sich ändern?

Drei zentrale Punkte müssen geändert werden, um die bestehenden Verbote der Patentierung von "Pflanzensorten und Tierarten" sowie von "im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung" umzusetzen, fordert "Keine Patente auf Saatgut!":

Erstens muss klargestellt werden, dass die Definition von "im Wesentlichen biologischen Verfahren " alle Verfahren umfasst, die in der konventionellen Züchtung üblich sind - einschließlich Zufallsmutagenese sowie Selektion und/oder Vermehrung.

Zweitens müssen alle "Produkte", die bei denen im Wesentlichen biologische Züchtungsverfahren verwendet werden, vom Verbot der Patentierung erfasst werden, einschließlich aller Bestandteile von Pflanzen, Tieren, ihrer Zellen und genetischen Grundlagen.

Drittens muss die Reichweite von Patenten begrenzt sein: Das EPA darf im Bereich der Tier- und Pflanzenzucht keine Patente mit "absolutem Stoffschutz" erteilen. Andernfalls können Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen oder Tiere auch auf Pflanzen und Tiere mit den entsprechenden Merkmalen ausgeweitet werden, die aus konventioneller Zucht stammen.

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