Erste Hilfe

Die Zeitschrift am Rande der Stadt

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Die Zeit ist reif für neues Schrifttum, so scheint es. "Erste Hilfe - Die Zeitschrift am Rande der Stadt" versteht es, ein ausgeprägtes politisches Bewußtsein mit Ästhetik und wacher Gegenwartspräsenz zu verbinden. Dabei gibt es keine finanziellen Hintermänner dieser neuen Vierteljahresschrift, deren Nullnummer im Oktober mit einer furiosen Party im Münchener Ultraschall präsentiert wurde.

Das Angenehme an "Erste Hilfe" ist die Art, wie "politisch" hier interpretiert wird, nämlich nicht als theoretische Schattenkämpfe intellektuell hochgezüchteter Geister, sondern als journalistisches Vergrößerungsglas, das auf die mikropolitischen Ereignisse des Alltags gelenkt wird. Jene Orte, an denen Gesellschaft und Individuum auf besonders krasse Art und Weise aufeinanderstoßen, werden "beleuchtet". Da ist an erster Stelle eine Serie von Beiträgen zu nennen, die sich mit den Abschiebepraktiken in den Transit-Zonen der Flughäfen und den begleitenden Prozessen beschäftigen. Hier wird nicht theoretisiert oder ideologisiert, hier sprechen die Ereignisse für sich selbst. (Anm.:Eine ähnliche Intensität der Unmenschlichkeit ist etwa auch über die Homepage von Pro-Asyl zu erfahren.)

Weitere Artikel handeln vom Produktmarketing der Städte Wien und München, der Jugendvermarktungsmaschine namens "Jetzt!" (Jugendbeilage der SZ), der neuen Platte der Goldenen Zitronen u.v.a.m...doch soll hier nicht das ganze Inhaltsverzeichnis nachgebetet werden. Verbindungen von Politik und Pop, Feminismus und Pornografie (Kathy Acker), Autismus und Freizeitleben werden mit einer ebenso reifen Mischung aus angemessenem Ernst und notwendiger Portion Sarkasmus und Ironie behandelt. Die einzelnen Artikel sind wie Splitter der Wirklichkeit, aus denen zwar eine bestimmte kritische Haltung spricht, die es jedoch vermeidet, sich krampfhaft zu einem Überbau - einer Ideologie - zusammenkitten zu lassen.

Diese inhaltlichen Qualitäten in Kombination mit einem gut gewählten, beinahe quadratischen Format, schöner S/W-Grafik und einer angenehm weichen Papierqualität machen "Erste Hilfe" zu einem ausgewogenen Printprodukt, dem hoffentlich ein langes Leben beschieden sein wird. Einige wenige Ausrutscher an manchen Stellen, wenn AutorInnen etwa allzu redselig den eigenen Werdegang mit in die Geschichten einbinden - eine Art deklarativer Selbstkritik, die an die Rituale des orthodoxen Kommunismus erinnert - stören das positive Gesamtbild kaum. Wem in der geistigen Ödnis der Spektakelgesellschaft die Decke auf den Kopf fällt, mache sich auf, dieses "Erste-Hilfe-Paket" voller interressantem Lesestoff zu erwerben.

Zu beziehen über den guten Buchhandel, ab Ausgabe 2 auch am Kiosk.

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