Erster Kampfeinsatz japanischer Soldaten im Südsudan

Flüchtlinge in Kuda. Bild: UNMISS/CC BY-NC-2.0

Japan will ebenso wie Deutschland "mehr Verantwortung übernehmen"

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Wenn das mal kein erfolgreicher Besuch für Joachim Gauck ist: Da mahnt der Bundespräsident, der noch bis Freitag auf Staatsbesuch in Japan ist, Deutschland und Japan stünden "aufgrund ihrer ökonomischen, politischen und rechtlichen Stabilität in der Verpflichtung, mehr Verantwortung zu übernehmen". Und kaum sagt er's, da kündigt Premier Shinzo Abe prompt den ersten Kampfeinsatz japanischer Soldaten an: Als UN-Blauhelme sollen sie im Südsudan künftig auch militärische Gewalt anwenden können.

Gauck gegen Zurückhaltung

Gaucks Einfluss in Ostasien sollte natürlich nicht überschätzt werden und tatsächlich war die bevorstehende Änderung der Einsatzregeln schon eine Woche vorher durchgesickert oder gezielt an die Presse gegeben worden. Aber es hat schon Symbolcharakter. Nachdem Deutschland seine militärische Selbstbeschränkung längst abgelegt hat, die es nach 1945 hatte, zieht jetzt auch sein ehemaliger Kriegsverbündeter Japan nach.

Zwar hatte der inzwischen verstorbene Guido Westerwelle als Außenminister noch mal eine "Kultur der Zurückhaltung" für Deutschland propagiert. Doch da hatte er die Rechnung ohne Gauck gemacht: 2014 mahnte der in seiner "Münchner Rede", Deutschland müsse "bereit sein, mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr von anderen seit Jahrzehnten gewährt wurde".

Japans konservativer Premier Shinzo Abe liegt genau auf Gaucks Linie. Seit Jahren versucht er, die pazifistische Nachkriegsverfassung zu schleifen, die Japan nur "Selbstverteidigungskräfte" (Self Defense Forces – SDF) statt einer Armee zugestanden hat. Von der japanischen Tageszeitung "Yomiuri Shimbun" explizit danach befragt, was er denn von Abes "Neuauslegung der japanischen Verfassung, um Einsätze des japanischen Militärs im Ausland zu ermöglichen", halte, machte Gauck klar, dass er Abe unterstützt: Deutschland und Japan durchliefen gerade "eine Phase der politischen und gesellschaftlichen Selbstvergewisserung":

"Mir scheint es, dass sich in unseren beiden Ländern die Einsicht durchsetzt, dass ein noch aktiveres internationales Engagement eingebettet in internationale Institutionen in unserem jeweiligen Interesse ist. Wie genau das aussehen kann und soll, steht am Ende der politischen und gesellschaftlichen Debatten."

Japan: Militärische Hilfe

Bislang haben japanische Soldaten im Südsudan nur beim Aufbau von Infrastruktur geholfen. Das soll sich nun ändern. Nun sind Einsätze möglich, um etwa andere UN-Soldaten oder Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen in dem im Bürgerkrieg versunkenen Land zu retten.

Damit dehnt Abe die Regeln für Ausländseinsätze weiter aus. Erst im März hatte das Abe-Kabinett neue Sicherheitsgesetze erlassen, die das begrenzte Recht zu kollektiver Selbstverteidigung erlauben. Die neue Politik ist in Japan unter dem Stichwort "Kaketsuke Keigo" bekannt. Danach dürfen SDF-Soldaten schnell zu Hilfe eilen (kaketsuke) und bewaffnete Unterstützung leisten (keigo).

Kreative Verfassungsauslegung

Abe weicht damit Artikel 9 der japanischen Verfassung auf, wo es in Absatz 1 unmissverständlich heißt, das japanische Volk verzichte "für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten". In Absatz 2 heißt es weiter: "Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt."

Das neue Mandat betrifft Soldaten, die ab dem 20. November in den Südsudan entsandt werden sollen und die bisherigen 350 ersetzen sollen. Offiziell beginnt die neue Mission am 12. Dezember. Begründet wird das neue Mandat damit, dass es notwendig sein könnte, japanische Bürger zu retten, wie Kabinettsminister Yoshihide Suga sagte.

Wettlauf um Afrika

In der südsudanesischen Hauptstadt Juba leben gegenwärtig allerdings nur 20 Japaner. Man darf also unterstellen, dass es nicht nur darum geht. Genau so wenig wie China nur seine Bürger im Südsudan schützen will oder Russland, die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Deutschland die ihren. Denn alle diese Länder sind an der UN-Blauhelmmission. Insgesamt stellen über 50 Nationen Personal für die UN-Truppe oder Polizeikräfte.

Erstens gibt es gegenwärtig einen neuen Wettlauf um Afrika, um Rohstoffe und Einflusssphären. Das erklärt die westliche Unterstützung für die Sezession Südsudans genauso wie die Präsenz Chinas: Peking war ursprünglich gegen die südsudanesischen Rebellen, weil es sich nie in innere Angelegenheiten einmischt und daher hinter der Regierung in Khartoum stand. Als der Südsudan unabhängig wurde, praktizierte Peking die Politik der Nichteinmischung auch gegenüber der neuen Regierung in Juba. 80 Prozent der Ölexporte des Landes gehen mittlerweile nach China. Peking hat inzwischen hunderte UN-Soldaten in das Land geschickt. Auch für China war es die erste bewaffnete UN-Mission.

Ernste Lage im Südsudan

Zweitens ist die Lage im Südsudan nach wie vor ernst: Mit massiver Unterstützung des Westens war das Land 2011 vom Sudan unabhängig geworden. Zwei Jahre später glitt der junge Staat jedoch in einen Bürgerkrieg ab, in dem sich Präsident Salva Kiir, der der Volksgruppe der Dinka angehört, und sein früherer Vizepräsident Riek Machar, ein Nuer, gegenüberstehen. Das Friedensabkommen vom August 2015 funktioniert bis heute nicht richtig.

Bislang wurden Zehntausende in dem Konflikt getötet und mehr als zwei Millionen Menschen vertrieben. Beruhigen konnten die Vereinten Nationen die Lage im Südsudan bisher nicht. Die UNMISS hat gegenwärtig nach unterschiedlichen Angaben zwischen 14 und 16.000 Soldaten. Den jüngsten Gewaltausbruch in der Hauptstadt Juba im Juli konnte sie dennoch nicht verhindern. Damals wurden mindestens 73 Menschen getötet.

UN-Mission ohne Kenia

Gegenwärtig muss die UNMISS den Rückzug Kenias verkraften. Eine UN-Untersuchung hatte den UN-Soldaten aus Kenia vorgeworfen, im Juli beim Schutz eines Hotels in Juba versagt zu haben. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte daraufhin den kenianischen Befehlshaber Johnson Mogoa Kimani Ondieki entlassen. Als Reaktion darauf zog Kenia Anfang November seine 1000 Soldaten zurück.

Kenia war einer der größten UN-Truppensteller im Südsudan und wollte die geplante Verstärkung der Blauhelme um 4000 Soldaten unterstützen, die der UN-Sicherheitsrat im Sommer beschlossen hatte und die die Kiir-Regierung widerwillig akzeptiert hat. Kenia will daran wohl nicht mehr teilnehmen. Die Regierung in Nairobi warf den Vereinten Nationen vor, mit Ondieki einen Sündenbock gesucht zu haben, anstatt dringende Fragen nach den Mängeln der UNMISS zu stellen.

Warnung vor neuen Massakern

Wie prekär die Sicherheitslage im Südsudan heute ist, zeigt eine neue Warnung des UN-Gesandten für die Verhinderung von Völkermord, Adama Dieng: Es gebe eine "große Gefahr, dass die Gewalt entlang ethnischer Linien eskaliert, bis hin zum Völkermord". Der südsudanesische Informationsminister Michael Makuei wiedersprach dem: "Ich stimme ihm nicht zu. Das ist eine negative Darstellung, die nicht hilfreich ist. Was hier im Südsudan passiert, hat nichts mit Völkermord zu tun."

Aber auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte, es gebe die "sehr reale Gefahr neuer massenhafter Gräueltaten". Die UN-Blauhelme würden wahrscheinlich nicht in der Lage sein, diese zu verhindern. In einem Bericht an den UN-Sicherheitsrat forderte er, die Vereinten Nationen müssten genau definieren, wie sie auf neue Massentötungen reagieren. "Es muss klargestellt werden, dass die UN-Peacekeeping-Kräfte nicht die notwendige Stärke oder Fähigkeiten haben, um Massenverbrechen zu stoppen."

Schnelle Reaktion und Embargo

Medienberichten zufolge arbeitet Ban an einen Plan, wie neue Gewalt mit schnellen Einsatzkräften gestoppt werden könnte. Außerdem sprach sich Ban in dem Report unter Punkt 65 dafür aus, ein Waffenembargo gegen das Bürgerkriegsland zu verhängen, was bisher unter anderem am Widerstand von Uganda scheiterte, das in dieser Frage die Afrikanische Union blockiert:

"Wie ich wiederholt angemerkt habe, sollte der Sicherheitsrat ein Waffenembargo gegen den Südsudan verhängen und gezielte Sanktionen gegen diejenigen, die den Friedensprozess stören. Südsudan ist überschwemmt mit Waffen, die oft gegen schutzlose Zivilisten gerichtet werden. Unter den gegenwärtigen Umständen muss der Fluss weiterer Waffen in das Land gestoppt werden, das ist entscheidend für den Schutz von Zivilisten."

USA kündigen Entwurf für Waffenembargo an

Adama Dieng erneuerte seine Warnung vor einem Völkermord am 17. November vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. US-Botschafterin Samantha Power kündigte daraufhin in der Sitzung an, die USA würden in den kommenden Tagen einen Entwurf für ein Waffenembargo gegen Südsudan einbringen. Großbritannien kündigte an, das Embargo zu unterstützen, Frankreich ebenso.

Der chinesische Vertreter äußerte sich vorsichtig. Russland ist aber nach wie vor dagegen: Sanktionen wären nicht hilfreich, auch manche Nachbarn seien dagegen. Der russische Vertreter verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass schon das EU-Waffenembargo nicht funktioniere, wie ein Waffenschiebernetzwerk zeige, das kürzlich aufflog. Wenn er damit den Waffenschmuggler meinte, der Ende Juli auf Ibiza festgenommen wurde, dann muss man allerdings anmerken, dass diese Waffenverkäufe nur deshalb illegal waren und aufgedeckt werden konnten, weil es ein EU-Waffenembargo gibt.

Japan: Einsatz nur in Friedenszeiten

Aber noch hat der Sicherheitsrat nicht über ein Embargo abgestimmt. Davon, und auch von der weiteren Entwicklung im Sudan selbst, hängt es übrigens ab, ob Japan wirklich im Südsudan bleibt. Nach japanischen Gesetzen dürfen die Selbstverteidigungskräfte nicht in Gebieten eingesetzt werden, in denen Krieg herrscht. Deswegen hatte die japanische Regierung vor ein paar Jahren ihre Blauhelmmission auf den Golan-Höhen verkleinert, nachdem sich die Sicherheitslage dort verschlechtert hatte. Premier Abe behält sich deshalb auch vor, die Truppen abzuziehen, wenn sich die Lage im Südsudan verschlechtert.

Die "Japan Times" hatte deswegen nur Spott übrig, als die Regierung den Südsudan als stabil bezeichnete. "Wenn man den Südsudan stabil nennt, dann kann man alles stabil nennen", kommentierte dort Kolumnist Michael Hoffman. Tatsächlich stellt sich die Frage: Was sollen japanische Blauhelme in einem stabilen Land? Das muss man wahrscheinlich nicht verstehen: Japan sucht wohl noch danach, wie "aktiveres internationales Engagement" "aussehen kann und soll", um es mit Gauck zu sagen. Das "Ende der politischen und gesellschaftlichen Debatten" in Japan ist wohl noch nicht erreicht.