"Es ist die Vielfalt, die uns siegen lässt"
Seite 4: "Den Prozess der Unabhängigkeit haben zivilgesellschaftliche Organisationen mit Frauen an der Spitze vorangetrieben"
- "Es ist die Vielfalt, die uns siegen lässt"
- "Sie versuchen Angst zu schüren und eine Konfrontation herbeizuführen"
- "Lasst uns doch so sein, wie wir es wollen"
- "Den Prozess der Unabhängigkeit haben zivilgesellschaftliche Organisationen mit Frauen an der Spitze vorangetrieben"
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Wie erklären Sie sich, dass alle Sektoren, auch die radikalsten Teile, klar auf einen friedlichen Weg setzen? Man lässt sich verprügeln, wehrt sich nicht einmal.
Carme Porta: Wir stehen für Dialog und sind aus tiefer Überzeugung friedlich. Was wir zeigen und zeigen wollen, ist, dass es einen festen Willen der Bevölkerung gibt. Und die will keinen Krieg, sondern die Unabhängigkeit. Wir wollen schaffen, aufbauen, nicht zerstören. Das macht uns stark. Niemand will eine Konfrontation mit den Menschen in Spanien. Dahinter steht aber auch keine Strategie, sondern das kommt ganz natürlich aus unserem Sein. Daraus hat sich diese Bewegung entwickelt. Ich glaube nicht, dass hier jemand eine gewalttätige Konfrontation im Sinn hat. Aber wir wollen unsere Rechte und unser Land aufbauen, um so zu sein, wie wir sein wollen, weil uns das stets verwehrt wird.
Welche Rolle spielen die Frauen wie Sie in dieser Bewegung? Von der Tatsache, dass Sie 1999 die erste Parlamentarierin der ERC waren, bis dahin, dass danach viele Frauen wie Muriel Casals, Carme Forcadell, die Frauen der ERC wie Sie oder Marta Rovira, Anna Gabriel, Eulàlia Reguant, Gabriela Serra von der CUP an ganz entscheidenden Stellen den Prozess mitbestimmen, wurden gigantische Schritte gegangen. Haben wir es mit einer feministischen Revolution zu tun, die sich auch in anderen den Kampfformen äußert als zum Beispiel lange Jahre im Baskenland?
Carme Porta: Ja, das ist ein feministischer Prozess, weil er sich aus der Basis der Frauen speist. Es ist kein Prozess von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Es waren nicht die Parteien, die den Prozess vorangetrieben haben, sondern zivilgesellschaftliche Organisationen mit Frauen an der Spitze. Es ist ein Prozess, der am Alltag und den Alltagsproblemen orientiert ist. Und der Alltag ist weiblich. Man pflegt, betreut, behütet. Es ist eine familiäre und festliche Bewegung, ohne Konfrontation. Es wurde aufgebrochen, dass normalerweise viele Frauen an der Basis in Organisationen arbeiten, doch der Präsident ist dann doch oft ein Mann.
Aber, das müssen wir auch feststellen, in den letzten Monaten ist die Führung wieder stärker in die Hände der Männer gelangt, weil sich der Prozess zuletzt verstärkt in die Institutionen verschoben hat, wo Männer weiter stärker den Ton angeben. Aber im konstituierenden Prozess werden wir unsere Positionen einfordern, wir bilden schließlich auch eine Mehrheit. Und wir wollen ein Land, in dem endlich Frauen gleichgestellt sind. Die Ungleichheit muss weg. Und in dem Maße, in dem wir Frauen uns in den Prozess eingebracht haben, hat sich unsere Situation schon verbessert. Das hat insgesamt befördert, dass sich immer mehr Menschen beteiligt haben.
Wurden die gewalttätigen Erfahrungen im Baskenland analysiert, um zu diesem Weg zu gelangen?
Carme Porta: Es sind zwei sehr unterschiedliche Prozesse. Keine Frage ist, dass uns die Vorgänge im Baskenland auch geholfen haben. Es war immer eine Referenz für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Aber auch die Bewegung im Baskenland war nicht nur ETA und der bewaffnete Kampf, auch wenn darauf gerne reduziert wird.
Ich glaube heute, dass wir nun eine Referenz für viele Basken sind. Es gab hier praktisch nie Vorstellungen, die es ja auch in Deutschland, Italien oder Frankreich gab, dass der bewaffnete Kampf eine Lösung sein könnte. Auch im Baskenland sieht man, dass nach dem Ende und der Entwaffnung der ETA - ein Erfolg der Zivilgesellschaft gegen den Staat - auch dort der Prozess stärker wird, mehr Zulauf erhält. Die beiden Prozesse haben stets parallel zueinander stattgefunden, man hat sich gegenseitig beobachtet, aber sie waren völlig verschieden.
Wir ähneln hier vielleicht eher den indigenen Bewegungen in Lateinamerika, die, wenn sie sich an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt haben, eigentlich immer verloren haben, wenngleich sie als zivilgesellschaftliche Bewegungen viel erreichen konnten. Klar, der Kontext ist sehr verschieden.