"Es ist kein Geheimnis, dass aufgrund der Krise längst Menschen sterben"

Christian Rathner über die Wirtschaftskrise in Griechenland. Teil 2

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In seinem Buch Durch die Krise kommt keiner allein zeichnet Christian Rathner ein düsteres Bild von Griechenland: Während Löhne und Renten rapide sinken, nehmen Steuern so drastisch zu, dass für viele Menschen kaum mehr etwas zum Überleben bleibt. In welche Richtung sich die dieser Situation geschuldeten Spannungen politisch kanalisieren, ist noch unklar:

Zum einen bilden sich zahlreiche Selbsthilfegruppen und Grassroots-Bewegungen gegen die gegen die schlimmsten Missstände und geplanten Privatisierungen, zum anderen etabliert sich wahrscheinlich eine Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/40/40908. Dabei ist die Eurokrise weder vorüber, noch bleibt sie auf Griechenland beschränkt: Die Entwicklung Griechenlands könnte zu einem Menetekel für ganz Europa werden.

Herr Rathner, um wie viel Prozent ist in Griechenland die Suizidrate gestiegen?

Christian Rathner: Suizid-Statistiken sind immer schwierig, weil es für die Familien viele Gründe gibt, die eigentliche Todesursache in einem solchen Fall zu verschweigen. Alle diesbezüglichen Zahlen sind daher mit Vorsicht zu genießen. Ich halte mich eher an meine Erfahrungen. Schon als ich 2012 mit meinen Recherchen begann, erzählten mir viele Menschen, sie hätten von Selbstmorden gehört. Auf mein Nachfragen stellte sich dann aber heraus, dass sie das nur allgemein wussten, ohne konkrete Namen zu kennen.

Ein halbes Jahr später war das anders: Sehr viele Gesprächspartner erzählten mir von konkreten Fällen, zeigten mir sogar Fotos von Suizid-Opfern. Im Buch erzählt mir eine junge Frau von ihrem Job in einer Anwaltskanzlei. Sie hat Angst davor, Menschen anzurufen, die Geld schulden. Denn immer wieder hört sie: XY sei verstorben, vom Dach gefallen etcetera. Das Problem ist massiv. Die Krise hat starke Auswirkungen auf die Psyche der Menschen - auf Menschen übrigens, bei denen normalerweise Lebensfreude zum Naturell gehört.

Ein in Österreich lebender Grieche war kürzlich für ein paar Wochen in Athen - und zeigte sich sehr erschüttert, seine Landsleute, wie er sagte, so ernst und ohne Lächeln zu finden.

"Griechenland braucht dringend ein Steuersystem, das von den Bürgern als gerecht empfunden wird"

Müssen die griechischen Reedereien seit diesem Jahr eigentlich Steuern zahlen?

Christian Rathner: Ja, ein diesbezügliches Gesetz wurde verabschiedet. Natürlich wünschen sich viele, dass die Lasten gerecht verteilt werden und in einer so prekären Situation auch die Reichen zur Kasse gebeten werden. Man sollte sich davon aber keine Wunder erwarten. Reedereien sind internationale Unternehmen und können - wie andere Multis auch - ihre Gewinne meist recht unbehelligt in steuerschonende Gefilde verschieben.

Aber die Steuerfrage ist auch ganz ohne Reeder ein Kapitel für sich. Griechenland braucht dringend ein Steuersystem, das von den Bürgern als gerecht empfunden wird und Steuern in bezahlbarer Höhe vorschreibt. Wenn aber die Steuerlast zu drückend wird, sinken die Einkommen des Staates notgedrungen wieder.

Eine vierzigjährige Übersetzerin, die wegen der Krise kaum noch Arbeit hat, erzählte mir, die Steuern, die ihr für 2012 vorgeschrieben worden seien, hätten ihr Bruttoeinkommen überstiegen. Sie müsse sich also täglich entscheiden, ob sie ihre Steuern zahlen oder Essen kaufen wolle. Und sie ist kein Einzelfall. Gerade wenn man der Überzeugung ist, dass eine mancherorts schlecht ausgebildete Steuermoral ein Problem Griechenlands war und ist, wird man einsehen, dass eine Politik der drückenden Steuerlast kontraproduktiv sein muss.

In Thessaloniki wehrt man sich gegen den Verkauf der Wasserversorgung an private Investoren. Warum?

Christian Rathner: Dafür, dass das Wasser in öffentlicher Hand bleibt, gibt es viele Gründe. Auch die Wienerinnen und Wiener haben vor geraumer Zeit bei einer Volksbefragung eindeutig gegen eine private Übernahme der Wasserversorgung gestimmt. In Thessaloniki, wo der Staat - den Privatisierungsauflagen der Troika folgend - die Wasserversorgung privatisieren möchte, haben sich Bürgerinnen und Bürger zu einer Initiative zusammengeschlossen. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt wollen ihr Wasserwerk selbst kaufen und gemeinsam, ohne Profitstreben, verwalten.

Hinter dieser bemerkenswerten Initiative steht das nicht unbegründete Gefühl vieler, dass dem Land durch die auferlegten Privatisierungen ein Ausverkauf gigantischen Ausmaßes bevorsteht. Ich habe jedes Verständnis für diejenigen, die das verhindern wollen.

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