Es reicht nicht, dass die USA die Ukraine insgeheim zu Gesprächen drängen
Seite 2: Was muss geschehen, damit verhandelt werden kann?
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Die Ukraine wird möglicherweise nicht so lange durchhalten, und ein größerer russischer Erfolg, der die Eroberung von wesentlich mehr ukrainischem Territorium zur Folge hätte, würde die Biden-Regierung vor die Qual der Wahl stellen: entweder eine ukrainische Niederlage hinnehmen, die eine schwere Demütigung für die USA und die Nato bedeuten würde, oder mit einer direkten Intervention drohen und einen Atomkrieg mit Russland riskieren.
Wie die Katastrophe in Israel und im Gazastreifen so anschaulich zeigt, ist es zudem unvernünftig, darauf zu vertrauen, dass eine von Natur aus instabile Situation wie die amerikanisch-russische Auseinandersetzung um die Ukraine stabil bleiben wird.
Jederzeit könnte ein versehentlicher Zusammenstoß zwischen den russischen und den US-Luftstreitkräften über dem Schwarzen Meer zu einem bedrohlichen Anstieg der Spannungen und einem Ausbruch eines Atomkriegs führen. Selbst wenn das Schlimmste verhindert würde, hätte eine solche Krise verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Ökonomie der USA.
Wenn die Verhandlungen Aussicht auf Erfolg haben sollen, müssen sich die Vereinigten Staaten von Anfang an voll in den Friedensprozess einbringen. Nur eine US-Regierung kann ausreichenden Druck auf die ukrainische Regierung ausüben und gleichzeitig einigermaßen glaubwürdige Sicherheitsgarantien für die Zukunft bieten.
Und nur eine US-Regierung kann Moskau einerseits androhen, dass die massive US-Militär- und Wirtschaftshilfe für die Ukraine weiter fortgesetzt wird, während sie dem Kreml andererseits Kompromisse in großen Fragen anbietet, die für Russland von entscheidender Bedeutung sind.
Wenn Moskau an den Verhandlungstisch gebracht werden soll, während sich die militärische Lage zu seinen Gunsten entwickelt, muss der Regierung dort garantiert werden, dass Washington bereit ist, ernsthaft über eine endgültige Regelung zu diskutieren, die die Neutralität der Ukraine (natürlich einschließlich internationaler Sicherheitsgarantien), gegenseitige Truppenbegrenzungen in Europa, die Aufhebung von Sanktionen und eine Art umfassender europäischer Sicherheitsarchitektur beinhaltet, um die Gefahr weiterer Kriege in der Zukunft zu verringern.
Die Einleitung eines solchen Engagements wird für die Biden-Regierung angesichts ihrer wiederholten Versprechen eines ukrainischen Sieges und ihrer Erklärungen, dass nur die Ukraine den Frieden aushandeln kann, äußerst schwierig sein. Sie wird daher Unterstützung von außen benötigen, wenn sie Friedensgespräche mit Russland aufnehmen will.
Die USA sollten sich daher hinter den Kulissen an Indien, Brasilien und andere führende Länder des "Globalen Südens" wenden und die Regierungen dort auffordern, gemeinsam einen starken Aufruf zu einem Waffenstillstand und zu Friedensgesprächen zu veröffentlichen.
Dann könnte Washington die Aufnahme von Gesprächen präsentieren mit Rekurs auf den Willen der globalen Mehrheit, dem man sich beuge. Das könnte auch dazu beitragen, die katastrophalen Auswirkungen des Gaza-Krieges auf die Beziehungen der USA zum "Globalen Süden" auszugleichen.
Die USA müssen auch die Unterstützung der europäischen Verbündeten für ihre Friedensbemühungen gewinnen, einschließlich eines starken öffentlichen Engagements der USA für die Nato.
Auch die volle Einbeziehung Chinas wird für den Erfolg eines Friedensprozesses unerlässlich sein. Der chinesische Einfluss auf Moskau wird entscheidend sein, wenn Russland davon überzeugt werden soll, seine maximalistischen Ambitionen in der Ukraine aufzugeben und einen Kompromissfrieden zu akzeptieren.
Inmitten der gefährlich zunehmenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China würde eine solche Einladung Washingtons an Beijing (Peking) die Bereitschaft signalisieren, China als Partner und legitimen Akteur bei der Lösung globaler Probleme zu akzeptieren.
Das alles wird nicht einfach sein, und in Washington wird die Versuchung groß sein, die Dinge schleifen zu lassen, in der Hoffnung, dass etwas passiert, was es der US-Diplomatie erlauben würde, nicht handeln zu müssen. Das wäre jedoch ein tragischer Fehler und ein Verrat an den elementaren Interessen sowohl der Ukraine als auch der Vereinigten Staaten.
Der derzeitige Kurs des Krieges führt in die Katastrophe. Nur die Vereinigten Staaten können diesen Kurs ändern, aber sie werden dabei viel Hilfe von ihren Freunden brauchen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "Baltic Revolution: Estonia, Latvia, Lithuania and the Path to Independence" und "Ukraine and Russia: A Fraternal Rivalry" (Eine brüderliche Rivalität).