Es war einmal... die Pressefreiheit
Zensur auf Griechisch mit deutschen Untertiteln
In Griechenlands Medienlandschaft nach wirklich unabhängigen Medien zu suchen ist eine Aufgabe, die selbst Sisyphus abgelehnt hätte. Er hätte lieber weiter seinen Stein bergauf geschoben, als sich dieser Tortur zu unterziehen. Die Griechen haben sich im Lauf der Jahre nach dem Sturz der Militärdiktatur 1974 daran gewöhnt, einseitig politisch gefärbte Berichterstattung zu konsumieren.
Der politisch interessierte Grieche filtert daher einen Kommentar, einen Zeitungsartikel oder auch eine Sportmeldung mit dem Wissen, dass der Besitzer des Mediums oder der Chefredakteur eine Art Vorzensur vorgenommen hat. So weit so gut. Die griechische Medienlandschaft gilt demnach als weitgehend abhängig.
Doch – wie beim legendären Asterix – gibt es ein Scherflein unabhängiger, kritischer Journalisten, die tatsächlich versuchen, ehrlichen, kritischen Journalismus auszuüben. Allerdings brauchen diese Journalisten keinen Zaubertrank, sondern ein Medium, um ihre Beiträge zu publizieren.
Eines dieser Medien ist oder war der Radiosender Flash 96,4. Von Athen aus, sendet – so lange es ihn noch gibt – Flash ein Programm, das für griechische Verhältnisse durchaus als Lehrstunde des kritischen Journalismus gelten könnte. Im Folgenden wird über den Radiosender allerdings nur noch in der vergangenheitsbezogenen Form berichtet, da das Programm nach der derzeitigen Lage nie mehr das sein wird, was es mal war.
Während der zweiten Regierungszeit der sozialistischen PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung) von 1993 bis 2004 waren regierungskritische Reportagen im Programm des seit 16 Jahren aktiven Senders nicht selten, sondern eher der Regelfall. Dies, obwohl der Sender im Besitz eines PASOK-Sympathisanten war. Konsequent wurde diese Linie auch seit der Machtübernahme im März 2004 durch die konservative Nea Dimokratia fortgeführt.
Mehrmals wurde dabei der Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis direkt angegriffen. Die weit verbreitete Vetternwirtschaft wurde ebenso angeprangert wie die Unfähigkeit des Staatsapparats, alltägliche Probleme zu meistern. Begleitend zum Radioprogramm wurde ein Internetportal betrieben, welches ebenfalls weitgehend dem kritischen Journalismus verschrieben war.
Die Rundfunkjournalisten und Webautoren haben leider die Rechnung ohne den bisherigen Wirt gemacht. Einerseits wird veröffentlicht, der bisherige Eigentümer des Senders, Sokratis Kokkalis habe den Sender für den Spottpreis von 100.000 Euro verkauft und der neue Eigentümer wünsche ihn zu schließen. Andererseits tritt Kokkalis noch als Eigentümer vor die Presse. Fakt ist, dass der Sender geschlossen werden soll. Es wird vermutet, dass der bisher mit der PASOK sympathisierende Kokkalis eine Annäherung an die konservative Regierung von Ministerpräsident Karamanlis sucht.
Kokkalis hätte allen Grund dazu. Seine Nähe zur damaligen sozialistischen Regierung hat seinen geschäftlichen Aufstieg gefördert. Er gehört zu den 500 reichsten Personen weltweit. Über seine Firmengruppe Intracom hat er die Staatliche Telefongesellschaft OTE jahrelang mit Telekommunikationsequipment beliefert. Er hat außerdem Verträge mit der staatlichen Lottogesellschaft OPAP und ist Besitzer des erfolgreichsten Sportvereins Griechenlands, Olympiakos Piräus. Als Präsident des Serienmeisters der ersten Fussballliga Griechenlands ist er wegen dessen großer Anhängerschaft beinahe immun gegen jede Strafverfolgung.
Trotzdem wurde gegen den ehemaligen DDR-Bürger Kokkalis ein Verfahren wegen Wirtschaftsspionage, Verstoß gegen Außenhandelsgesetze und Spionage für die DDR erhoben. Zur deutschen Wendezeit soll eine ähnliche Anschuldigung nach Intervention des damals regierenden konservativen Ministerpräsidenten Mitsotakis beim damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl wortwörtlich in den Akten verschwunden sein.
Im unter Verschluss gehaltenen Minderheitsbericht der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Ingrid Köppe (Bündnis 90/die Grünen) des ersten Stasi-Untersuchungsausschusses soll Gerüchten zu Folge sein Name in der Funktion des Industriespions erwähnt sein.
Es ist also verständlich, dass Herr Kokkalis unter Druck steht. Offenbar nutzt die konservative Regierung dies aus, um Regierungskritiker mundtot zu machen. Der im Ministerrang stehende Regierungssprecher Theodoros Rousopoulos kommentierte die zur Staatsaffäre ausufernde Situation mit der Bemerkung, er werde sich darum bemühen, die arbeitslos werdenden Journalisten mit Programmen des griechischen Arbeitsamtes umzuschulen. Da Rousopoulos ursprünglich selbst Journalist war, kommt diese Bemerkung einem Affront gleich. Spricht er doch indirekt seinen Kollegen die journalistischen Fähigkeiten ab.
Unter dem Druck der Journalistengewerkschaften, die mit einem Generalstreik drohen, und nach Intervention internationaler Journalistenverbände sowie mehrerer parlamentarischer Anfragen seitens der Opposition zeichnet sich eine Lösung des Problems ab, die eventuell die Arbeitsplätze sichern kann, den Fortbestand des Senders garantiert, aber gewiss nicht mit der gleichen, unbeschwerten Regierungskritik fortfahren wird. Die gesamte griechische Presse veröffentlichte am 6. Oktober 2005 bereits Nachrufe auf den Sender, der im Übrigen nicht der erste wegen Regierungskritik geschlossene oder gestörte Sender ist. SKAI-Radio und Planet wurden bereits vorher mit unterschiedlichen Methoden „gezähmt“.
Ein bekannter, mit der sozialistischen Opposition sympathisierender Journalist, Nikos Kakaounakis, hat angeboten, den Sender zu kaufen. Dieser Kauf würde ein bis dato nahezu unabhängiges Medium in ein eindeutig politisch gefärbtes Medium umwandeln. Der Regierung würde damit Genüge getan, könnte sie doch darauf verweisen, dass der Sender seine Kritik aufgrund der politischen Linie und nicht wegen der tatsächlichen Probleme äußern würde.
Dass es um die Pressefreiheit in Griechenland nicht so gut steht, zeigen außerdem weitere Vorfälle der letzten Woche. Zum Beispiel wurde tagelang im staatlichen Fernsehen ET 1 ein Beitrag angekündigt, in dem ein Interview mit den Topterroristen Carlos und dem als Anführer der griechischen Terrororganisation 17. November verurteilten Alexandros Giotopoulos gesendet werden sollten. Dieser Beitrag wurde kurzfristig abgesetzt. Als Grund wurde angegeben, dass man den Terroristen keine Plattform für die Darlegung ihrer Ideologie bieten wolle. Es stellt sich allerdings die Frage, warum dann erstens die Redakteure mit den Interviews beauftragt wurden und zweitens tagelang dafür geworben wurde. Ein Schelm, wer dabei an Zensur denkt.
Immerhin, in den angesprochenen Fällen ist den Journalisten physisch kein Haar gekrümmt worden. Dass kritischer Journalismus in Griechenland durchaus auch Nebenwirkungen auf die Gesundheit haben kann, zeigt der Fall des Sportjournalisten Sirigos. Dieser wurde bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt. Sirigos hatte sich unter anderem mit der Doping – Affäre der Olympiasieger und Sprintstars Kostas Kenteris und Ekaterina Thanou, der Olympia 2004-Organisationskommiteevorsitzenden Daskalaki und last but not least Sokratis Kokkalis in seiner Funktion als Vereinspräsident von Olympiakos Piräus auseinander gesetzt.
Dass Griechenland in der Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen einen für einen EU Staat beschämenden 33. Platz vor Hongkong belegt, mag keinen verwundern, verwunderlich scheint eher, warum es nicht niedriger eingestuft ist.
Doch selbst in Deutschland scheint die Pressefreiheit nicht den Stand zu haben, den man eigentlich erwarten könnte („Otto Schily hat Druck ausgeübt“). Ein großer deutscher Groß- und Einzelhandelskonzern hat es tatsächlich geschafft, dass das ZDF einen kritischen Beitrag des Magazins Frontal 21 im Nachhinein zensiert hat. Auf der Webseite des Senders zur Sendung vom 16. August 2005 wurden die Passagen, die den Konzern im Zusammenhang mit RFID-Funkchips erwähnten, ersatzlos gestrichen. Dies, obwohl der Konzern und die Anwendung der Chips dort ausdrücklich erwähnt wurden und obwohl es nicht die übliche Praxis des ZDF ist, Sendemanuskripte auf der Webseite derart zu kürzen. Der Fortbestand des ZDF ist allerdings gesichert.
Berichte über Kopierschutzmaßnahmen und deren Umgehung sind in Deutschland ebenfalls zensurgefährdet, wie das Vorgehen der Musikindustrie gegen den Heise-Verlag zeigt.