Es wird keinen zweiten großen Lockdown geben
Frankreich: Macron warnt vor beträchtlichen Kollateralschäden und spricht sich für lokale Lösungen aus
Der Mann, der Mitte März Sars-CoV-2 den Krieg erklärte ist vorsichtig geworden. "Man kann das Land nicht zum Halten bringen", sagte Macron dem Magazin Paris Match. Aus seiner Sommerresidenz heraus versucht er nun ein paar Monate später seine Landsleute mit Besonnenheit zu überzeugen.
Es gebe wegen des Anstiegs der gemeldeten Zahlen von Infizierten "starke Besorgnisse im Land", meldet etwa der Figaro. Es ist bei Weitem nicht das einzige Medium, das mit der "Hypothese der Wiederkehr einer landesweiten Ausgangssperre (reconfinement)" Aufregung in die Nachrichten-Sommerflaute ("Sommerloch") bringt.
Direkt antwortet Macron nicht mit Nein auf die Frage, ob ein neuer Lockdown möglich sei. Nichts sei verboten ("On ne s'interdit rien"), er verstehe die Ängste, die seien legitim und man müsse sie akzeptieren, auf jeden Fall wolle man vermeiden, "überwältigt zu werden", aber die Kollateralschäden einer landesweiten Ausgangsbeschränkung seien beträchtlich.
Das Nullrisiko gibt es niemals in einer Gesellschaft. Man muss auf die Ängste antworten, ohne der Doktrin des risque zéro zu verfallen.
Emmanuel Macron
So schlägt er angesichts eines "total neuen epidemischen Phänomens" vor, was nach dem großen Krieg gegen die Virus-Aufregung im März als Rezept der Stunde erscheint: gezielte lokale Lockdowns und eine Betonung der Verantwortung der Einzelnen, also Abstandhalten, Maskentragen und hygienische Maßnahmen. Das mag Anklänge an das "schwedische Modell" haben, wird aber in Frankreich nicht als bloße Empfehlung behandelt, sondern von saftigen Strafandrohungen und an neuralgischen Orten mit verstärktem Polizeieinsatz begleitet, um die Kontrolle der Einhaltung der Maskenpflicht effizienter zu machen.
In Kürze steht in Frankreich die Wiederaufnahme des Betriebs nach den Ferien an, genannt la Rentrée. Die Wirtschaft meldete Ende Juli ein Minus von 13,8 Prozent beim BIP für das zweite Quartal. Das war ein schwerer Einbruch, der allerdings weniger stark ausfiel, als von Experten vorhergesagt (FAZ) - und laut der deutschen Finanzzeitung Handelsblatt "lief die Wirtschaft in Frankreich nach dem Lockdown wieder besser an als gedacht".
Das zarte Pflänzchen einer wirtschaftlichen Erholung will der Präsident nicht mit Aussagen gefährden, die die Nervosität weiter hochtreiben. Anders als die Regierung Merkel in Deutschland konnte Macron die Mehrheit der Bevölkerung in Umfragen nicht von der Qualität seines Krisenmanagements überzeugen. Dass das Vertrauen in die Regierungsarbeit seit Wochen schlechte Werte hat, dürfte viel mit dem Zickzack-Kurs zu tun haben, den die Regierung in Paris zum Beispiel mit den Schutzmasken zeigte.
Die Nachschubprobleme waren zu Anfang der Epidemie derart groß, dass nicht einmal das Krankenhauspersonal ausreichend versorgt wurde, also verkündete der damalige Ministerpräsident wie auch die damalige Gesundheitsministerin, dass Masken im öffentlichen Leben "unnötig und unnütz" seien. Später korrigierten die Regierungsvertreter ihre Botschaft mit der Begründung, es gebe neue wissenschaftliche Erkenntnisse, zufällig gab es auch Fortschritte in der Logistik. Seit kurzem wurde die Maskenpflicht Zug um Zug ausgeweitet, auf öffentliche Plätze, Märkte, Strände und nun auch auf Büros.
Macron muss nun darauf setzen, seine seit den Gelbwesten-Protesten ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Dabei setzt er darauf, dass die Wirtschaft schnell wieder in Gang kommt.
Ergänzung: Zahlen der Gesundheitsbehörde Santé
Laut den aktuellen Zahlen (19.08.2020) der französischen Gesundheitsbehörde Santé publique France ist die Zahl der gemeldeten Infizierten in den letzten 24 Stunden um 3.776 Fälle angestiegen.
Es wurden laut Direction Générale de la Santé (DGS) 62 Neueinweisungen ins Krankenhaus im Zusammenhang mit einer Covid-Infektionen gemeldet; die Gesamtzahl der Covid-Erkrankten in Krankenhäusern beträgt 4.806. 31 Fälle wurde in die Intensivstation gebracht, die Gesamtzahl der dort Versorgten liegt bei 374.
Zwischen dem 10 und 16. August wurden 628.600 Tests durchgeführt, der Anteil der Positiv-Gestesten liegt bei 3,1 Prozent, eine Ziffer, die laut Figaro seit mehreren Tagen ansteigt.
Bei der 7-Tage-Indizidenz (interaktive Karte: hier) fallen das Départements Bouches-du-Rhône mit der Hauptstadt Marseille (85) und die Landeshauptstadt Paris (73,5) auf.