"Es zählt nur das, was ökologisch notwendig ist, um diese Krise abzuwenden"
Ein Telepolis-Gespräch mit AktivistInnen der jungen radikalen Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion
Mit spektakulären direkten Aktionen kämpfen Mitglieder der neu gegründeten Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion für einen raschen, radikalen Wandel der globalen Klimapolitik. Die Menschheit stehen vor einer beispiellosen globalen Klimakatastrophe, während die Politik versage, obwohl die Lösungen "auf dem Tisch" lägen, hieß es in Aufrufen der Gruppe: Es gehe um das "Überleben der Menschheit". Telepolis sprach mit dem Aktivisten Karim Abu-Omar über die Praxis und Perspektiven radikaler Klimaschutzbewegungen. Abu-Omar ist Mitglied des Presseteams von Extinction Rebellion.
In ihren Aufrufen heißt es oft sinngemäß, die Menschheit verliere angesichts der Klimakrise gegen die Zeit. Ist es wirklich so schlimm? Ist tatsächlich eine Rebellion gegen das drohende Aussterben des Spezies Mensch notwendig?
Extinction Rebellion: Nun ja, darf ich zitieren? "Die Welt riskiert es, den Punkt zu überschreiten, an dem es kein Zurück mehr beim Klimawandel gibt, was verheerende Folgen für die Menschen auf dem Planeten und die natürlichen Systeme, die diese erhalten, hat." Wenn so der Generalsekretär der Vereinten Nationen spricht, neben vielen anderen hochrangigen Politiker*innen, die sich ähnlich geäußert haben, dann sollte man vielleicht besser zuhören.
Kritiker werfen Ihnen gerne vor, Sie würden Apokalyptik betreiben. Wie reagieren sie auf solche Vorwürfe?
Extinction Rebellion: Ich habe da immer einen recht einfachen Vorschlag. Versuchen Sie mal sich Reden von namhaften Klimawissenschaftler*innen anzuhören oder Bücher, die diese zu dem Thema geschrieben haben, zu lesen. Da werden Sie schnell merken, es ist verdammt ernst. Ich bin selbst Wissenschaftler und kenne deren Ausdrucksweisen. Die schlagen im Moment in alle Richtungen Alarm.
Wieso hat die Klimawissenschaft in den vergangenen Dekaden dermaßen versagt bei der Prognose des Klimawandels? Wirkten da die kapitalistischen Machtstrukturen in den wissenschaftlichen Apparat hinein?
Extinction Rebellion: Ich sehe das Versagen nicht aufseiten der Klimawissenschaft, deren Prognosen sind erstaunlich gut und das schon jahrzehntelang. Die Politik hat versagt - und zwar auf ganzer Linie. Und genau da hinein, also in die Politik, ragen die "kapitalistischen Machtstrukturen", die sie ansprechen. Alle großen politischen CO2-Reduktionsbeschlüsse der letzten Jahre, angefangen mit dem Kyoto-Protokoll von 1997, haben nichts gebracht, die CO2 Emissionen sind stattdessen weiter gestiegen. Der Grund ist natürlich, dass alle Anstrengungen, um die Emissionen runter zu bringen, für einige mächtige Wirtschaftszweige (um die fossilen Brennstoffe) schmerzhaft wären - und diese Wirtschaftszweige sind extrem finanzstark und gut darin, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
"Es wird bis zu einem gewissen Grad einen Systemwechsel benötigen"
Was sind Ihre Forderungen? Richten Sie sich an dem politisch innerhalb der Systemzwänge Machbaren oder an dem ökologisch Notwendigen aus?
Extinction Rebellion: Es macht überhaupt keinen Sinn, das, was heute systemisch machbar und bequem erscheint, zu verfechten - zugleich aber die nächsten Generationen in eine existenzielle Krise schlittern zu lassen. Es zählt nur das, was ökologisch notwendig ist, um diese Krise abzuwenden.
Wir haben daher drei ganz klare Forderungen: (1) Politik und Medien müssen den Bevölkerungen die Wahrheit darüber sagen, wie katastrophal die Folgen eines "Weiter wie bisher" für uns und alle zukünftigen Generationen sind. (2) Die Netto-CO2-Emissionen müssen bis 2025 auf Null zurückgefahren werden. Nur so besteht eine Chance die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. (3) Bürger*innenversammlungen erarbeiten Maßnahmen, wie dieses Ziel erreicht werden kann und überwachen die Politik bei der Umsetzung dieser Maßnahmen. Die Politik hat versagt, die Bürger*innen müssen jetzt einen Weg aus der Krise finden.
Wie soll die notwendige Reduktion der Emissionen innerhalb eines kapitalistischen Systems vollbracht werden, dass auf uferloses Wachstum geeicht ist? Anders formuliert: Ist das Überleben der Menschheit nicht nur jenseits des kapitalistischen Wachstumswahns möglich?
Extinction Rebellion: Wir denken auch, es wird bis zu einem gewissen Grad einen Systemwechsel benötigen. Auf der anderen Seite bietet ja die Umstellung auf erneuerbare Energien auch unglaublich viele Chancen. Nicht alle dieser Systemveränderungen müssen ja als negativ empfunden werden. Am Ende werden die Bürger*innenversammlungen unter Begleitung der Wissenschaft hier die notwendigen Maßnahmen erarbeiten müssen.
"Wir werden uns also leider auf zunehmende Verteilungskämpfe einstellen müssen"
Da der Klimawandel schon sehr weit vorangeschritten ist: Welche Perspektive bleibt der Menschheit bei einer schnellen Reduktion der CO2-Emissionen? Wird diese Zukunft nicht von dem Kampf gegen Folgen des Klimawandels bestimmt sein?
Extinction Rebellion: Bei einer schnellen Reduktion der Emissionen werden die Folgen immer noch gravierend sein, wir werden uns also leider auf zunehmende Verteilungskämpfe einstellen müssen. Es gilt aber, durch alle Maßnahmen - und dazu gehört auch ein großflächiger Transfer aller verfügbaren Klimaschutztechnologien in sich entwickelnde und Transformationsländer - diese Folgen möglichst abzuschwächen. Wir können das schaffen, aber leider nicht durch "business as usual".
Was halten Sie von globalen Großprojekten, um die Folgen des Klimawandels zu mindern? Da gibt es ja unterschiedliche, mitunter problematische Ansätze: vom Versprühen von Chemikalien zum Zweck der "Verdunkelung" bis zum Aufbau weltraumgestützter Schwärme von Weltraumschirmen.
Extinction Rebellion: Sie meinen Geo-Engineering. Ich kann verstehen, dass auch in diese Richtung geforscht wird. Aber all die von ihnen angesprochenen Technologien haben gravierende Schwächen und/oder die benötigten Technologien stehen oft noch gar nicht zur Verfügung. Einfach so weitermachen und zu behaupten, dass wir schon eine technologische Lösung finden werden, halte ich für fatal. Es gibt ja schon all die Klimaschutztechnologien um die erneuerbaren Energien herum, die wir benötigen, wir müssen diese nur global skalieren.
Wie stellen Sie sich die organisatorische Form vor, in der die Rebellion gegen das Aussterben sich entfalten soll? Konkret: Was sind die Grundsätze ihrer Organisation? Ist der organisatorische Fokus national oder global? Wer soll angesprochen werden? Geht es vornehmlich um Basisdemokratie oder technokratische Effizienz?
Extinction Rebellion: Unsere Grundsätze sind u.a. absolute Gewaltfreiheit und ein achtendes und wertschätzendes Miteinander. Dazu Dezentralität und ein sehr besonnenes Verwenden von Macht- und Herrschaftsstrukturen innerhalb unserer Organisation. Wir sind nicht basisdemokratisch organisiert, sondern holokratisch. Das bedeutet: Bei uns muss sich das Ausüben von Macht (z.B. wenn ich ein Treffen moderiere) immer legitimieren lassen, und ich muss am Ende Rechenschaft darüber ablegen. So wird vermieden, dass sich Machtstrukturen verfestigen und am Ende eine illegitime Machtausübung stattfindet.
Auf der anderen Seite sind wir durch die holokratischen Prinzipien handlungsfähiger, als wenn wir basisdemokratisch organisiert wären. Es gibt uns jetzt in immer mehr Länder, in denen unsere Gruppe präsent ist, sodass wir global handeln können. Until we win!
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.