Eskalation der Gewalt in Paris
Kein Ende der Auseinandersetzungen um den von der französischen Regierung durchgesetzen Arbeitsvertrag für junge Arbeitnehmer in Sicht
Nach der Demonstration am Nachmittag des 16. März ist es gestern Abend erneut zu schweren gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen, die sich bis in die Nacht fortsetzten. Laut Innenminister Nicolas Sarkozy wurden in Frankreich ungefähr 300 Festnahmen gemacht, davon allein 187 in Paris.
Die den Unruhen vorangegangene Demonstration gegen den Vertrag zur Ersteinstellung (CPE), der eine fristlose Entlassung junger Arbeitnehmer ohne Angabe von Gründen ermöglicht (Zwei Jahre auf Bewährung), ist mit 250.000 (Polizeiangaben) bis 500.000 Teilnehmern (Angaben der Organisatoren) hingegen friedlich verlaufen. Die Eskalation der Gewalt wird von der Regierung sowohl links- als auch rechtsextremen Gruppierungen zugeschrieben. Bei den Ausschreitungen wurde von Seiten der CRS Tränengas und Wasserwerfer sowie Räumfahrzeuge benutzt. Einige Protestierende warfen Rauchbomben, Steine und auch Brandsätze. Dabei kam es zum Brand eines Zeitungskiosks und eines Autos, weitere Autos wurden umgeworfen, die Schaufenster einiger Straßencafés zerstört, das Straßenpflaster auf dem Place de la Sorbonne wurde aufgerissen.
Auch Stunden nach der Demonstration wurden Menschen von den Truppen der CRS systematisch aus dem um die Sorbonne herum liegenden Quartier Latin getrieben, wobei kein Unterschied zwischen Fußgängern und Demonstranten gemacht wurde. Zur Zeit werden rund 2500 Polizisten wegen der Proteste in Paris eingesetzt, 46 davon wurden in der Nacht verletzt.
Innerhalb von einer Woche erhöhte sich der Anteil der Franzosen, die gegen CPE sind, von 55 auf 68 %, 16 Universitäten werden blockiert und an 35 anderen finden Streiks statt. In den Regionen Midi-Pyrénées, Pays de la Loire und Poitou-Charentes wird erwogen, allen Arbeitgebern, die CPE anwenden, sämtliche Finanzhilfen zu streichen, wobei fraglich ist, ob eine solche Regelung durchsetzbar ist. Die Gewerkschaften wollen nach dem Aktionstag am Samstag Streiks vorbereiten.
Es bilden sich aber auch bereits Studentengruppen, die für eine Öffnung der Universitäten sind. Die Androhung, dass bei weiterem Fortlaufen der Proteste im Semester keine Leistungen anerkannt werden, steht im Raume, auch wenn die Möglichkeit einer Reduzierung des Unterrichtsstoffes durch die Dozenten besteht.
Mit Blick auf die große Kundgebung am Samstag ruft Präsident Jacques Chirac zur Verantwortung auf und betont die Bereitschaft zum Dialog. Es wird dabei jedoch deutlich, dass er die Durchsetzung von CPE nicht in Frage stellt. Das Gesetz betrachtet er als ein "wichtiges Element der Politik des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit, das neue Arbeitsplätze für die jungen Menschen schaffen wird".
Auch de Villepin ist eine Bemühung um den Anschein von Gesprächsbereitschaft nicht abzusprechen. Er unterscheidet zwischen den gewaltbereiten Randalierern und den Demonstranten, die vor ersteren geschützt werden sollen: "Ich habe von den Ordnungskräften verlangt, sehr hart mit den Strolchen und Randalierern umzugehen und dabei in höchstem Maße die jungen Demonstranten zu schützen." Dass eine solche Unterscheidung gemacht wurde, war den Ordnungskräften der CRS in der kritischen Phase nach der Demonstration nicht anzumerken. Mit an archaische Riten erinnerndem lauten Getrommel auf ihren Schutzschildern wurde eine regelrechte Hatzjagd durch die Straßen von Paris veranstaltet, es kam zu panikartigen Fluchten in die Metrostationen (z.B. bei Odeon) und durch kleine Gassen. Auch wurden sitzende Gruppen von Jugendlichen angegriffen und auseinandergetrieben.
De Villepin hält weiterhin an CPE fest und eine wirkliche Gesprächsbereitschaft ist nach wie vor nicht zu erwarten. Ihm wird vom Oppositionsführer François Hollande vorgeworfen, dass er "nach der brutalen Durchsetzung des Gesetzes" auf ein "Abebben des Protestes" setzt. Im Augenblick steht de Villepins politische Karriere auf dem Spiel. Es wird für ihn schwierig sein, sich aus der selbstverschuldeten Lage zu befreien. Weitere Härte würde noch mehr Gewalt hervorrufen, ein Einlenken würde hingegen von der Opposition, durch ihren Widerstand gegen seine Politik geeint, als ein Zeichen von Schwäche gefeiert werden. Ausgenutzt werden die Unruhen offenbar auch von Rechtsextremen. So wurden nach Polizeiangaben auch Mitglieder etwa der der rechten Front national de la jeunesse (FNJ) aufgrund der Vorfälle nach der friedlichen Demonstration festgenommen.
Ohne das Einsetzen einer wirklichen Gesprächsbereitschaft ist aber nicht zu erwarten, dass sich die Lage in Frankreich und insbesondere in Paris entspannt und dass die Umgebung der Sorbonne wieder an eine Hochschule und nicht an eine mittelalterliche Festung erinnert.