Eskalation im Nahen Osten

Eine Auswahl internationaler Pressestimmen und Kommentare, sowie weitere Informationsquellen im Internet

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Am sechsten Tag der Militäroffensive der israelischen Armee im Westjordanland scheint kein Ende der Gewalt absehbar. Die USA, zweifellos die einzige externe Macht, die der Spirale der Gewalt Einhalt gebieten könnten, fahren fort, gemischte Signale zu senden, berichtete die BBC. Während sich die Situation in und um die Geburtskirche in Betlehem zuspitzt, scheint der Einmarsch in Nablus unmittelbar bevorzustehen. Eine Auswahl von Pressestimmen und Kommentaren zur bedrohlich eskalierenden Lage. (siehe auch Skrupel oder Tabus scheinen keine Rolle mehr zu spielen und Krieg gegen die Zivilbevölkerung)

In einem Interview mit BBC Radio 4 am Dienstag dem 2.April sagte der britische Außenminister Jack Straw, dass es, was die israelische Seite betrifft, entscheidend sei zu verstehen, "dass diese zu einem Punkt der beinahe vollkommenen Verzweiflung gelangt sind." Straw verweist auf "den sich beschleunigenden Zyklus der Selbstmordattentate, die innerhalb einer Woche zu 45 getöteten und 235 verwundeten Israelis geführt haben". Diese Attentate bilden laut Straw den Antrieb für die Handlungen der israelischen Regierung. Er erinnert die britische Bevölkerung an die Zeiten des IRA-Terrors am Höhepunkt des Nordirlandkonflikts. Zugleich fordert er auf Basis der Sicherheitsratsresolution 1402 den Rückzug israelischer Truppen aus den besetzten palästinensischen Städten und einen Waffenstillstand ausgehandelt durch den US-Vermittler General Zinni.

Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer verwies in einer kurzen Erklärung vom Dienstag auf die Sicherheitsratsresolution 1402 und forderte die Konfliktparteien "nachdrücklich auf", diese "beginnend mit Waffenstillstandsverhandlungen unter der Vermittlung von General Zinni, zu implementieren."

Der Sicherheitsrat hatte am Dienstag Abend getrennte Gespräche mit den UNO-Botschaftern Israels und Palästinas hinter geschlossenen Türen geführt, berichtete die liberale israelische Tageszeitung Haaretz in ihrer englischsprachigen Ausgabe. Der israelische UN-Botschafter Yehuda Lancry betonte jedoch, erst müsse es einen "echten Waffenstillstand" geben, dann würde sich die israelische Armee automatisch zurückziehen. Vorerst werde Israel seinen Feldzug gegen die "Infrastruktur des Terrors" fortsetzen, was nach Aussagen des israelischen Außenministers Shimon Peres drei bis vier Wochen dauern könne. Die Beratungen im Sicherheitsrat sollen heute mit einer offenen Debatte fortgesetzt werden.

Keine militärische Lösung?

Die Wirtschaftszeitung Financial Times verglich in einem Leitartikel die neueste israelische Militäröffensive mit dem Einmarsch der israelischen Armee im Libanon im Jahr 1982. Der israelische Premierminister Sharon war damals Verteidigungsminister gewesen. "Im Interesse Israels muss Washington intervenieren, um Sharons sich ausweitender Wiederbesetzung von Territorien unter palästinensischer Selbstverwaltung Einhalt zu gebieten." Das Blatt erinnert daran, dass es auch damals von israelischer Seite geheißen habe, es handle sich nur um eine kurze militärische Intervention. Doch die Vertreibung Arafats und der PLO aus dem Libanon habe zum Aufstieg eines unnachgiebigeren Feindes, der Hisbollah, und einem 18 Jahre dauerndem Konflik geführt, der letztlich nur durch dein einseitigen Rückzug Israels aus dem Süd-Libanon im Jahr 2000 beendet worden sei. "Ein wahrer Freund Israels, und als solcher betrachten sich die USA zweifellos, würde nicht tatenlos zusehen, während sich die Spirale von Wut und Verzweiflung fortsetzt."

In einer Serie von Leitartikeln kritisierte Haaretz den Umstand, dass die Militäroffensive, auch wenn sie notwendig erscheine, allein zu keiner Lösung führen werde. "Sie wird den Konflikt nicht beenden und sie wird Terror nicht völlig unterbinden können" schrieb die Zeitung am Sonntag. In einem im Tenor ähnlichem Artikel heute heißt es, "nichtsdestotrotz sollte es allen klar sein, dass militärische Operationen nicht allein stehen können, dass sie der Unterstützung durch, mehr noch einer Basis in Form eines politischen Horizonts bedürfen."

Auch ein Kommentar in der Online-Ausgabe der FAZ vertritt die Ansicht, dass Sharons Mitteln der Zweck fehlt. Ohne Washington gäbe es keine Bewegung, meint Majid Sattar. Einen ähnlichen Standpunkt, jedoch in ungleich wortgewaltigerer Manier, vertritt der Nahost-Experte der Zeitung Independent, Robert Fisk, in einem Bericht aus der Kampfzone von Betlehem. Während die diplomatische Ausdrucksweise der meisten Fernseh- und Presseberichte die Gewalt und ihre Auswirkungen oft als abstrakte und ferne Ereignisse erscheinen lassen, berichtet Fisk aus der Nahperspektive, ebenso wie die seit kurzem operierende Website Indymedia Palästina, die sogar Handy-Telefonnummern ihrer Korrespondenten in den Kampfgebieten anbietet. Den ideologischen Gegenpol dazu bietet die nicht minder informative Website der israelischen Armee, die unter anderem Beweise für direkte Verbindungen zwischen Arafat und Selbstmordattentaten zu besitzen behauptet.

Ein Kommentar in der rechten englischsprachigen Zeitung Jerusalem Post bezeichnete "Frieden" als einen "nostalgischen Traum". In einem weiteren Kommentar heißt es, es gäbe keinen Ersatz für einen militärischen Sieg. Weder ein Waffenstillstand noch ausländische Friedenstruppen könnten Sicherheit garantieren. Nur ein umfassender militärischer Sieg über die Palästinenser könne diese dazu zwingen, ihr Ziel aufzugeben, welches die Zerstörung Israels sei.

Gefahren für Reporter und Rettungsleute

Unterdessen häufen sich Beschwerden internationaler Nachrichtenorganisationen über Einschränkungen der Berichterstattung und Bedrohungen von Leib und Leben ihrer Reporter, berichtete die britische Zeitung The Guardian. Die BBC hat bei der israelischen Regierung Protest eingelegt, nachdem deren Nahost-Korrespondentin Orla Guerin am Montag unter israelisches Feuer geraten war, als sie mit ihrem Team eine Friedensdemonstration filmte. Ein Reporter des Boston Globe war am Montag verwundet worden, ebenso wie ein palästinensischer Kameramann, der für Al Dschasira filmte. Die Vereinigung der Auslandspresse in Israel protestierte gegen die Einrichtung militärischer Sperrzonen in Ramallah und anderen Städten, zu denen Journalisten keinen Zugang mehr haben. Ein Team der US-Fernsehstation CBS war ausgewiesen worden, nachdem sie ihre Berichterstattung aus Ramallah fortgesetzt hatten. Den Netzwerken CNN und NBC wurde von israelischer Regierungsseite ebenfalls mit Ausweisung gedroht, da sie sich weigerten, militärische Sperrzonen zu verlassen.

Das strikter Neutralität verpflichtete Internationale Rote Kreuz mahnte in einer Pressemeldung den Respekt vor den medizinischen Notdiensten an. Sowol israelische als auch palästinensische Rettungsdienste seien Opfer von Gewalt geworden. Seit dem Beginn der ausgedehnten Militäroffensive der israelischen Armee habe es "zunehmende Einschränkungen sowohl für den palästinensischen Roten Halbmond als auch für die humanitäre Mission des ICRC in den palästinensischen Gebieten gegeben. Verzögerungen von bis zu 8 Stunden an Checkpoints, Verweigerung des rechtzeitigen Zugangs zu Opfern und Übergriffe gegen Teams von Rettungsfahrzeugen" werden vom ICRC beklagt und die Konfliktparteien aufgefordert, Verpflichtungen unter internationalen Menschenrechtskonventionen einzuhalten.