Eskalation in Mazedonien
Präsident löst Verfassungskrise in Mazedonien aus, gegensätzliche Interpretation im Ausland
Fast zehn Jahre hat Nikola Gruevski, Vorsitzender der nationalistischen Partei VMRO-DPMNE, Mazedonien regiert. Vor seinem erzwungenen Rücktritt im Januar 2016 hat er sich mit dem Projekt "Skopje 2014" ein urbanistisches Denkmal gesetzt. Rund um den von einem Reitermonument Alexander des Großen dominierten Mazedonien-Platz im Zentrum der Hauptstadt zeugen unzählige Statuen und sahnetortenartig herausgeputzte Museums- und Regierungsgebäude von Gruevskis Willen, der von ihm regierten Früheren Jugoslawischen Republik Mazedonien (FYROM) ein in sich geschlossenes historisch-heldenhaftes Weltbild zu verpassen.
Schlendert man dieser Tage durch das Panoptikum aller möglichen und unmöglichen Helden, vom römischen Kaiser Justinian über den bulgarischen Zaren Samuil bis hin zum mazedonischen Freiheitskämpfer Gotse Deltschev, stellt sich einem die Frage: Sollte die seit drei Jahren akute Konfrontation der politischen Kräfte in dem Balkanland eines Tages entschieden sein, wird sich dann noch ein Plätzchen finden, um ihrem Sieger ein Denkmal zu errichten? Und wenn ja - wer wird auf den Sockel zu heben sein? Nikolai Gruevski, der mit ihm verbündete Staatspräsident Gjorge Ivanov oder doch beider Kontrahent Zoran Zaev, Oppositionsführer der sozialdemokratischen SDSM?
Seit Nikola Gruevski im April 2014 bei Parlamentswahlen im Amt bestätigt wurde, die von der Opposition als gefälscht erachtet wurden, lebt Mazedonien im politischen Ausnahmezustand. Die Situation verschärfte sich, als Zoran Zaev im Frühjahr 2015 seine "Bombe" warf. Er leakte Tondateien und Dokumente, die nicht nur die Verwicklung von Gruevskis Regierung in korrupte Machenschaften erweisen sollten, sondern auch Lauschangriffe auf die Telefone zigtausender Mazedonier.
Eine der von Zaev veröffentlichten Tonaufnahmen dokumentiert Nikola Gruevskis schöpferische Urheberschaft der radikal-historisierenden Umgestaltung von Skopjes Zentrum entlang des Flusses Vardar. "Es gibt in Rom einen Springbrunnen mit Obelisk. Der ist sehr schön", spricht Gruevski auf ihr zu einem seiner Minister, "so einen wollen wir auch. Aber wie sollen wir ihn machen?"
Die in der Folge des Skandals sich formierende Protestbewegung Protestiram (ich protestiere) zwang Gruevski im Januar 2016 schließlich zum Rücktritt, seitdem führt sein Parteifreund Emil Dimitriev die Regierungsgeschäfte kommissarisch. Als Staatspräsident Gjorge Ivanov aber im April 2016 versuchte, die strafrechtliche Verfolgung Gruevskis wegen Korruption und Amtsmissbrauch zu stoppen, radikalisierten sich die Proteste gegen die Regierung zur Scharena Revolutia (Bunten Revolution). Sie erhielt ihren Namen dadurch, dass ihre Aktivisten die schneeweißen Repräsentationsbauten von Skopje 2014 mit Farbbeuteln attackierten. Da die Oppositionsparteien für Juni 2016 angesetzte vorgezogene Parlamentswahlen boykottierten, konnten diese erst am 11. Dezember 2016 abgehalten werden.
Trotz der skandalösen Vorgeschichte errang Gruevskis nationalistische VMRO bei ihnen mit 51 Mandaten zwei Sitze mehr als Zaevs SDSM. Da Gruevskis Verhandlungen mit der größten Albanerpartei DUI zur Bildung einer Koalitionsregierung aber scheiterten, schien ein Übergang der Macht auf Zaevs SDSM bevorzustehen. Denn ihm gelang es im Februar 2017, alle drei Parteien der albanischen Minderheit zu einer Koalitionsregierung zu überreden und 67 der 120 Abgeordneten hinter sich zu bringen. Doch am vergangenen Mittwoch erklärte Staatspräsident Gjorge Ivanov, dem Sozialdemokraten Zaev das Mandat zur Regierungsbildung zu verweigern. Er hob damit die jahrelange politische Krise auf eine neue, gefährliche Eskalationsstufe.