Eskalation in Syrien über die Dschihadisten-Enklave Idlib
Propaganda mit Giftgasanschlag und Twitter-Account eines Mädchens aus Idlib
Mit der geplanten syrisch-russischen Offensive auf die noch von Islamisten wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einst al-Nusra, und anderen schwer bewaffneten Gruppen besetzte Region Idlib soll offenbar dasselbe Drehbuch noch einmal umgesetzt werden, das bereits bei der Offensive auf Ost-Ghouta praktiziert wurde. Damals fand in dem noch von den Islamisten, die noch nicht - nach Idlib - abziehen wollten kontrollierten Duma angeblich ein Giftgasangriff statt. Die dort tätigen Weißhelme machten die syrische Armee dafür verantwortlich,
Russland hatte davor schon von dem Plan berichtet, dass die Islamisten einen Giftgas-Angriff ausführen wollten, um ihn Syrien in die Schuhe zu schieben, und versuchte nachzuweisen, dass die Islamisten zusammen mit den Weißhelmen alles nur inszeniert hatten (Nach "Beweisen" Moskaus war der Chemiewaffenengriff in Douma inszeniert). USA, Frankreich und Großbritannien scherten sich wenig um Beweise, gingen von der Richtigkeit der Bilder und Informationen der Weißhelme aus und bombardierten Ziele des angeblich weiterhin existierenden syrischen Chemiewaffenprogramms.
Wieder haben die USA, Frankreich und Großbritannien bereits präventiv gedroht, bei einem erneuten Giftgasangriff noch härter als das letzte Mal zuzuschlagen. Russland verweist auf Pläne der Dschihadisten, einen solchen False-Flag-Angriff auszuführen, um entweder die Offensive zu stoppen oder erneut einen militärischen Schlag zu provozieren oder, sollte es ein Komplott geben, zu rechtfertigen. Aus der russischen UN-Botschaft wird der Vorwurf erhoben, die Warnungen der USA, bei einem Gifgasangriff zurückzuschlagen, stelle eine Einladung an die bewaffneten Gruppen dar, eine weiter Provokation mit Chemiewaffen zu begehen.
Damaskus will einen türkischen LKW beobachtet haben, der unter dem Schutz von HTS-Kämpfern Gaszylinder nach Idlib gebracht haben soll, um daraus Chemiewaffen für deren Einsatz in Kooperation mit den Weißhelmen zu produzieren. Der Lastwagen sei zunächst in einem Konvoi mit Lastwagen gewesen, die Teile für Betonmauern transportierten, aber dann alleine weiter Richtung der Stadt Idlib gefahren. Dann seien Gaszylinder am Montag nach Jisr al-Shughour und mit einer anderen Fahrt nach Hama gebracht worden. Und dann wird auch nach gesagt, dass angeblich 20 Männer mit "dunkelbrauner Haut", die Englisch und Französisch gesprochen haben, das Beladen und Entladen des Lastwagens überwacht hätten.
Eine prekäre Rolle spielt die Türkei, die ihre Verbündeten unter den islamistischen Gruppen zu schützen sucht, sich gegen eine Offensive auf Idlib stemmt oder ihren Einflussbereich über Azaz und Afrin hinaus auf Idlib erweitern möchte. Und auch der mit eigenen und Hisbollah-Milizen präsente Iran wird im Hintergrund die Fäden ziehen. Weiterhin scheint es keine rationale Begründung für einen Giftgasangriff der syrischen Truppen zu geben. Militärisch ohne Bedeutung, würde man nur einen erneuten Gegenangriff provozieren, der die geplante Offensive oder auch die Regierung schwächen könnte.
UN-Gesandte für Syrien Staffan de Mistura: Zehntausend al-Qaida-Kämper in Idlib
Der Konflikt um das letzte Rebellengebiet hat sich inzwischen hochgeschaukelt. Die USA und Russland haben im Mittelmeer vor Syrien Flottenverbände zusammengezogen, die mit ihren Raketen Ziele in ganz Syrien angreifen könnten (Alle Seiten spielen mit dem Szenario eines Giftgasangriffs in Idlib). Der UN-Gesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hatte vor kurzem vor einer humanitären Katastrophe gewarnt, wenn es eine Offensive auf das Gebiet gebe. Dort sollen sich 3 Millionen Bewohner aufhalten, alleine 1 Million, die aus anderen Gebieten geflohen sind oder dorthin wie dschihadistische Gruppen umsiedeln konnten. 2 Millionen Menschen benötigten humanitäre Hilfe.
Gestern warnte er, dass sich in Idlib ein "perfekter Sturm" heranbilde. Die Zivilisten könnten bei einem Angriff nirgendwoanders mehr hin, es gebe kein weitere Idlib mehr. Die syrische Regierung habe das Recht, das Gebiet wieder unter Kontrolle zu bringen, er forderte aber ein wenig mehr Zeit. Zudem sagte er, dass sich in dem Gebiet neben anderen Milizen allein um die 10.000 al-Qaida-Kämpfer verschanzt haben. Sie hätten - wie die syrische Armee - die Technik, Chemiewaffen herzustellen. Daher müsse man bei einer Offensive von dem schlimmsten Szenario ausgehen. Er bot an, dass er selbst für die Sicherheit der Menschen sorgen werde, wenn humanitäre Korridore für die Flucht eröffnet werden. Das habe er bereits bei dem Kampf um Aleppo angeboten, was aber von HTS abgelehnt wurde. In Aleppo und Ost-Ghouta konnten auch die Dschihadisten mit ihren Familien etwa nach Idlib abziehen, was jetzt mit den Kämpfern geschehen sollte, sagte de Mistura nicht.
US-Verteidigungsminister James Mattis sagte am 28. August auf die schon allein bemerkenswert formulierte Frage einer Journalistin, ob er glaube, dass die Russen zuschauen werden, wenn "die Syrer Chemiewaffenkapazitäten in die Region Idlib bringen, was für jedermann ein kommender Angriff ist": Was die Chemiewaffen betrifft, habe die Regierung schon zweimal gezeigt, wie sie reagieren wird. Man stehe jetzt "in aktiver Kommunikation" mit Russland, um einen solchen Angriff zu verhindern.
Russland gibt vor, Propaganda zu entlarven
Gestern trommelte Russland noch einmal Botschaft um Botschaft über den angeblich geplanten Komplott mit dem Giftgasangriff heraus. Der russische Außenminister Lawrow sagte auf einer Pressekonferenz mit dem syrischen Außenminister Walid Muallem, es gehe nicht nur um militärische Aspekte. Die USA würden gerade im Osten des Euphrat die Infrastruktur und Verwaltungsstrukturen mit dem Ziel aufbauen, Syrien zu spalten.
Natürlich wurde auch der angeblich geplante Giftgasanschlag Thema. Walid Muallem behauptete, die Weißhelme hätten in Vorbereitung des Anschlags bereits 44 Kinder in Idlib in ihre Gewalt gebracht. Hinter den Weißhelmen stünden die britischen Geheimdienste, die solche Anschläge inszenieren würden.
Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, stellte sich hinter die Schilderungen der syrischen Regierung. Gestern sagte sie, es seien am 23. und 24. August 8 Tonnen Chlor und Munition nach Jisr al-Shughour gebracht worden. Dort seien auch Mitglieder der Weißhelme mit Videoausrüstung angekommen, um den geplanten Anschlag zu filmen. Es werde also auf Hochtouren eine erneute Provokation vorbereitet. Überdies hätten Weißhelme große Mengen an Giftstoffen in die Stadt Sarayki gebracht, die von Ahrar al-Sham kontrolliert wird. Das seien Beweise dafür, dass ein Giftgasanschlag in der Hoffnung vorbereitet werde, dass die USA daraufhin Raketenangriffe auf syrische Truppen beginnen.
"My name is Hala 6 years from the city of Idlib"
Besonders hervor hob Sacharowa, dass es seit einigen Tagen einen Twitter-Account von einem angeblich sechs Jahre alten Mädchen namens Hala in Idlib gebe. Der Account wurde im Juli eingerichtet. Das nette kleine Mädchen twittert auf Englisch, das sie angeblich von ihrer Mutter lernt: #i_am_from_idlib_i_am_not_terrorist, "Stop killing kids, plane in the sky and I'm scared I can not sleep", "I want to talk, and the whole #world hears my voice" oder "My name is Hala 6 years from the city of Idlib" mit einem Video vor den Trümmern eines Hauses sitzend.
Tatsächlich wird man hier an den Twitter-Auftritt von Bana in Aleppo erinnert (Das "Twitter-Mädchen" im Syrienkrieg). Die war sieben Jahre und twitterte auf Englisch, lud Bilder und Videos hoch, appellierte an Frieden und verkörperte die unschuldigen Zivilisten, die weniger von den Dschihadisten, die Aleppo im Griff hatten, sondern nur von syrischen und russischen Angreifern bedroht waren. Zudem schrieb sie noch einen Brief an Donald Trump. Damals ging es um die Offensive gegen Aleppo, um die Stadt wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung zu bringen und die Dschihadisten zu vertreiben. Der Westen, inklusive viele Medien, kritisierten das brutale Vorgehen der Syrer und Russen, schwiegen aber weitgehend über die Zerstörung von Mosul und Raqqa.
Der Account hat etwa 350 Abonnenten, aber interessanterweise finden sich unter ihnen die BBC, Huffington Post, Basfit, Radio Liberty. Welche Aufmerksamkeit für das Kind. Das ist das einzige Kind in Idlib, auf das die Aufmerksamkeit der gesamten internationalen Gemeinschaft gerichtet sein muss. Uns wird gesagt, dass wir Propaganda machen. Hier sehen Sie, wie sie arbeiten. Das ist echte Propaganda. Das Kind hat 350 Abonnenten, darunter fünf der führenden Medien der Welt. Nicht jedes Konto der Russischen Botschaft im Ausland hat ein so solides Publikum unter seinen Abonnenten.
Maria Sacharowa
Sacharowa behauptet, dass der Twitter-Account von Hala, die auch einen YouTube-Channel hat, bedeutsam werden wird, wenn es zu dem Giftgasanschlag kommt. Sie wirft den Initiatoren des Accounts Missbrauch des Kindes vor. Russland arbeite nicht so, sagte sie, sondern mache echte Arbeit und helfe den Menschen durch Bekämpfung des Terrorismus.
In der offensichtichen Wiederholung ist der Twitter-Account des Mädchens wohl tatsächlich als Propaganda erkennbar. Frage wäre, wer dafür verantwortlich ist. Die Weißhelme, ein westlicher Geheimdienst, syrische Opposition? Oder vielleicht sogar die russische Regierung, die mit einer Nachahmung die angebliche Propaganda selbst propagandistisch entlarven will?
Das ist bislang nicht bekannt, zu vermuten ist aber, dass es eine von westlichen Interessen bestimmte Aktion ist, die vermutlich mit den Weißhelmen koordiniert ist. Dafür würde etwa auch sprechen, dass die Videoaufnahmen auf dem Account ähnlich gut sind wie die der Weißhelme. Und die im Westen so hochgelobten Weißhelme sind in der Tat kritisch zu hinterfragen, zumal sie nur dort aktiv sind, wo dschihadistsche Gruppen, vor allem HTS, die Kontrolle ausüben und gerne kleine Mädchen in den Vordergrund rücken (Warum ich die Aufnahme von Mitgliedern der syrischen "Weißhelme" kritisiere). Auffällig ist, dass bei den Weißen Helmen nur Zivilisten Opfer sind, anscheinend gibt es keine Kämpfer.
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