Eskalation und Lüge: Wie im Krieg die Wahrheit massakriert wird

Seite 2: Zweifelhafte Ernten der Lügen im Zeitverlauf

Als false-flag-Operation, als Täuschungsmanöver mit Decknamen "Unternehmen Tannenberg", trat die Lüge auch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Erscheinung.

Mehrere fingierte, vonseiten der SS inszenierte Grenzverletzungen sowie der durchgeführte "Angriff" vorgeblicher polnischer Freischärler auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz am 31. August 1939 dienten als propagandistischer Vorwand für den am nächsten Tag beginnenden Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen, den Beginn des Zweiten Weltkrieges.

In den Nürnberger Prozessakten ist die vorsätzliche Lüge Hitlers mehreren stenografischen Aufzeichnungen zu entnehmen: Das Lügengebilde entstammte seiner Rede auf dem Obersalzberg, die er vor etwa 50 Generälen und höchsten Wehrmachtsoffizieren, am 22. August 1939, im sogenannten Arbeitszimmer seines Berghofs hielt:

Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.

Auch der erwähnte Tonkin-Zwischenfall vor der Küste des ehemaligen Nordvietnam wurde vonseiten der US-Administration im Sommer 1964 als Vorwand benutzt, um die Kriegsbereitschaft der US-amerikanischen Bevölkerung für das militärische Eingreifen in Vietnam zu erwirken.

Das Etablieren und Aufrechterhalten von Falschdarstellungen hinsichtlich eines angeblichen zweiten schweren militärischen Zwischenfalls, diente der US-Regierung als Grund für den bereits von langer Hand geplanten Kriegseintritt gegen Nordvietnam. Mithilfe weiterer Lügen sowie Manipulationen der Öffentlichkeit wurden in den Folgejahren sowohl die Intensivierung als auch die Prolongation des Krieges erwirkt.

Die Entscheidung zur 2003 erfolgten Invasion des Irak durch die USA, dem sog. Dritten Golfkrieg, unter der Administration G. W. Bush, basierte hingegen primär auf der Unwahrheit einer angeblich wachsenden internationalen Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, samt unterstellten Verbindungen zum Terror-Netzwerk Al-Qaida.

Weder konnten unabhängige internationale Untersuchungen relevante, substanzielle Verbindungen des Irak zu Al-Qaida nachweisen, noch konnten ABC-Waffen – deren Bauteile davor von westlichen Staaten geliefert aber bereits gegen Ende der 1990er Jahre fast vollständig vernichtet worden waren – gefunden werden.

Im Unterschied zu den frühen 1990er Jahren stellte der diktatorisch regierte Irak ein Jahrzehnt später, übereinstimmenden regionalen und internationalen Berichten zufolge, keine ernst zu nehmende überregionale militärische Bedrohung mehr dar.

Um dennoch einen Regimewechsel im Irak herbeizuführen, wurden die US-amerikanische und die internationale Öffentlichkeit systematisch getäuscht und belogen, indem mithilfe manipulativer Öffentlichkeitsarbeit die Legitimation für einen casus belli konstruiert wurde.

An den direkten und indirekten Folgen des Irakkrieges und dessen tektonischen Verschiebungen der machtpolitischen und wirtschaftlichen Einflusssphären im Mittleren Osten starben internationalen Studien zufolge mehrere Hunderttausend Menschen.