Ettikettenschwindel Solidaritätszuschlagsabschaffung

Grafik: TP

Die Große Koalition will die Hälfte der Einnahmen aus der 1991 eingeführten Sondersteuer auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit und 29 Jahre nach dem Ersten Golfkrieg weiter behalten

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Im März 1991 beschloss der Bundestag zur Finanzierung des Zweiten Golfkriegs und der DDR-Integration einen "Solidaritätszuschlag" genannten kräftigen Steueraufschlag. Den damaligen Worten der Politiker nach sollte das eine einmalige einjährige Sache sein. Fast 30 Jahre später gibt es die praktischerweise nicht zweckgebundene Sondersteuer immer noch. Und es wird sie entgegen mancher Überschriften dem heute im Bundestag manifestierten Willen von CDU, CSU und SPD nach auch noch länger geben.

Der Teil der Steuerzahler, der weniger als 61.000 Euro verdient, muss den Solidaritätszuschlag dem heutigen Beschluss nach noch bis zum Wahljahr 2021 zahlen. Der Teil, der darüber liegt, wird auch dann noch nicht davon befreit. Auf die etwa zehn Milliarden Euro, die er zusätzlich zahlt, wollen Christ- und Sozialdemokraten nämlich auch in Zukunft nicht verzichten. Sie bilden etwa die Hälfte der aktuellen Gesamteinnahmen aus ihm.

Selektive Beibehaltung verfassungswidrig?

Anträge der FDP und der AfD, den Solidaritätszuschlag noch im Dezember 2019 für alle Bürger abzuschaffen, lehnten CDU, CDU und SPD ab. Geplant sind lediglich stufenweise Erleichterungen für Personen, die bis zu 15.000 Euro über der 61.000-Euro-Verdienstgrenze liegen.

Die FDP hatte bereits im Vorfeld der Verabschiedung mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht gedroht, weil ein Rechtsgutachten des Heidelberger Finanz- und Steuerrechtsprofessors Hanno Kube zum Ergebnis kam, dass eine "selektive Beibehaltung des Solidaritätszuschlages" gegen das Grundgesetz verstößt. Das liegt Kubes Ansicht nach unter anderem daran, dass es für den Teil der Steuerzahler, für den der Solidaritätszuschlag im letzten Jahr der Legislaturperiode nicht wegfällt, kein "absehbares Ende" gibt. Eine Perspektive haben seinem Gutachten nach lediglich solche Steuerzahler, die weniger als 76.000 Euro jährlich verdienen.

Einheitslasten und Binnenkonjunktur

Zudem hat der Solidaritätszuschlag seiner Rechtssicht nach schon ab dem 1. Januar 2020 (und nicht erst 2021) keine Grundlage mehr, weil der Solidarpakt II bereits am 31. Dezember 2019 ausläuft und der "legitime Erhebungsgrund", der "Finanzierung der deutschen Einheit" längst weggefallen ist. "Allenfalls verfassungsrechtlich tragbar" wäre dem dem Rechtswissenschaftler nach deshalb ein "zügiges Abschmelzen ab Anfang 2020". Aber 2020 wird halt nicht gewählt, sondern erst 2021.

Diese naheliegende Begründung vermieden die Verteidiger der Nichtabschaffung aus den Reihen der Union und der SPD heute. Stattdessen verwiesen sie eher wenig konkret auf angeblich auch heute noch bestehende Einheitslasten auf Bundesebene. Dass Steuerzahler ab einem Einkommen von 61.000 Euro teilweise und ab einem Einkommen von 76.000 Euro ganz leer ausgehen sollen, rechtfertigten sie damit, dass eine Entlastung niedrigerer Einkommen wegen deren höherer Konsumquote besser für die Binnenkonjunktur sei.

Kalte Progression

Ob das ausreicht, dem verfassungsrechtlichen Problem der "geplanten Selektivität der Entlastung" zu begegnen, wird sich möglicherweise in Karlsruhe zeigen. Grundsätzlich darf der Staat zwar auch eine Ergänzungsabgabe nach dem Einkommen staffeln - aber er muss dies transparent gestalten. Wird jedoch, so Kube, "auf den sozial staffelnden Einkommensteuertarif [….] kumulativ […] eine ihrerseits sozial staffelnde Ergänzungsabgabe aufgesattelt", dann "führt dies zu einer demokratisch und rechtsstaatlich problematischen Intransparenz der sich ergebenden Umverteilung und darüber hinaus zu einer erheblichen Gefahr von nicht zu rechtfertigenden Verwerfungen des Tarifverlaufs oder gar Tarifsprüngen."

Darüber hinaus wirken die Einkommensgrenzen auf manche Beobachter so willkürlich gesetzt, als resultierten sie vor allem aus Rechnungen, in denen man damit ansetzte, wie viel Geld der Finanzminister jährlich für sich behalten will. Mit 61.000 oder auch mit 76.000 Euro Jahresverdienst ist man Ende der 2010er und Anfang der 2020er Jahre nicht wirklich ein "Superreicher", der von allen finanziellen Sorgen entbunden wäre. Das war man mit so einem Einkommen von umgerechnet 122.000 oder 152.000 D-Mark vielleicht zu Beginn der 1990er Jahre, als der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde.

Während seit diesen 1990er Jahren das Geld deutlich weniger wert wurde, stiegen die Schwellen, ab denen höhere Steuersätze erhoben wurden, nicht mit. Wegen dieser "kalten Progression" galt der Spitzensteuersatz, den 1995 nur 500.000 Deutsche zahlen mussten, 2017 für 3,7 Millionen Steuerzahler - darunter viele Facharbeiter, Angestellte und andere Normalverdiener (vgl. Spitzensteuersatz für Normalverdiener). Echte Superreiche dagegen entzogen sich sowohl diesem Spitzensteuersatz als auch dem Solidaritätszuschlag häufig durch Wohnsitze im Ausland oder über Steueroasen (vgl. Die Paradise Papers und der Handel mit Musikrechten).

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