"Europa darf jetzt nicht zerbrechen"
- "Europa darf jetzt nicht zerbrechen"
- "Es kann nicht sein, dass die ohnehin sozial schwierigen Stadtteile wieder einmal die Hauptlast tragen"
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Marcus Weinberg, der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, über die Kritik an Merkels Kurs, Seehofers Drohungen sowie die Debatte um die Integration von Flüchtlingen
Seit 2005 sitzt Marcus Weinberg für die CDU im Deutschen Bundestag. Zuvor arbeitete der 49-Jährige als Lehrer und war Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Nach der Wahlniederlage der Christdemokraten in der Hansestadt im vergangenen Jahr trat Weinberg von seinem Amt als Landesvorsitzender zurück. Im Telepolis-Interview spricht er über die angekündigte Verfassungsklage der CSU gegen die Flüchtlingspolitik, kritisiert Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz für dessen Integrationspolitik und verteidigt das Asylpaket II.
Herr Weinberg, rechnen Sie nun mit einer Klage der CSU?
Marcus Weinberg: Es spielt keine Rolle, womit ich rechne. Das ist einzig und allein die Entscheidung der CSU.
Aber Sie haben eine Meinung dazu, oder?
Marcus Weinberg: Jeder ist selbst verantwortlich für sein Verhalten. Die CSU ist Teil der Bundesregierung, was einige in München wohl vergessen haben. Ich als Mitglied der CDU halte nichts von solchen Drohkulissen der CSU. Ich halte es in der derzeitigen Lage für wichtiger, mich mit Lösungsansätzen und Konzepten zu befassen, als mir Gedanken darüber zu machen, ob eine Landesregierung womöglich Klage einreicht.
Was würde eine Klage der CSU für die Arbeit der Bundestagsfraktion bedeuten?
Marcus Weinberg: Wenn ein Bundesland die Bundesregierung verklagte, an der dieses durch eigene Vertreter indirekt selbst beteiligt ist, wäre das schon ein Vorgang, der die künftige Zusammenarbeit beeinflussen würde. Ja, das würde nicht ohne Folgewirkungen bleiben. Die Kollegen der CSU wissen aber, was auf dem Spiel steht. Die Kollegen in München werden weise entscheiden, was das Richtige ist.
Nervt Sie das Verhalten Horst Seehofers im Umgang mit Angela Merkel?
Marcus Weinberg: Es geht nicht um meine Nerven. Die Menschen in Deutschland wollen, dass die Bundesregierung zwei Dinge beweist: Führung und Haltung. Es ist wichtig, dass wir jetzt auch als Europäer zusammenstehen. Gegenseitige Schuldzuweisungen und Vorwürfe helfen da nicht weiter. Und das schon gar nicht, wenn man gemeinsam dieses Land regiert. Haltung bedeutet aber auch, in schwierigen Zeiten mit Gegenwind eine Position, die sich aus einer Grundüberzeugung ergibt, zu halten. Angela Merkels Weg ist nicht der einfache, aber der europäische und der richtige. Populisten muss man eine Absage erteilen.
Haben Sie den Eindruck, der Druck auf Angela Merkel werde langsam zu groß, um die bisherige Politik fortführen zu können?
Marcus Weinberg: Ihre ruhige und überlegte Herangehensweise der kleinen Schritte mag einigen zu zögerlich erscheinen. Doch bedenket das Ende! Eine Regierungschefin einer der größten Volkswirtschaften der Welt muss am Ende ihre konkrete Politik in Hinblick auf die moralischen, verfassungsrechtlichen oder wirtschaftlichen Wirkungen genauso durchdenken wie sie die europäischen oder globalen Folgen vorwegnehmen muss. Das tut sie. Schnellschüsse oder unüberlegte, unrealistische oder sogar gefährliche Forderungen sind ihre Sache nicht, zum Glück!
Sie glauben also noch immer an eine europäische Lösung?
Marcus Weinberg: Die europäische Lösung ist zwar die schwierigste, aber auch die politisch langfristig klügste und wirksamste. Und auch, wenn es schwer fällt und ermüdend wirkt, dieser schwierige Weg einer gemeinsamen europäischen Lösung der Flüchtlingsfrage muss kleinteilig erarbeitet werden. Die Einheit Europas war - frei nach Adenauer - der Traum weniger, die Hoffnung vieler und ist die Notwendigkeit für uns alle. Europa darf jetzt nicht zerbrechen. Ein nationaler Schnellschuss wäre gefährlich und hätte dramatische Folgen für Europa - und dann gerade für uns in Deutschland. Angela Merkel sagt: Das sei mit ihr nicht zu machen. Ich sage: Sie hat recht.
Herr Weinberg, wann würden Sie eigentlich von einer gelungenen Integration sprechen?
Marcus Weinberg: Integration ist aus meiner Sicht dann gelungen, wenn man nicht mehr nach kultureller, gesellschaftlicher oder regionaler Herkunft des Zugewanderten fragt. Integration ist ein Gesellschaftsprozess und kann nicht staatlich verordnet werden. Sie gelingt, wenn jene, die sich integrieren wollen, sich auch aktiv bemühen, und diejenigen, die hier leben, diesen eine Chance geben. Eine Offenheit der Gesellschaft ist für die Integration dieser Menschen eine wichtige Voraussetzung. Die Politik ist gefordert, hierfür die Rahmenbedingungen zu setzen und Anreize zu schaffen. Mithilfe von Gesetzen schaffen wir Voraussetzungen, dass die Integration gelingen kann.
"Wir brauchen verbindliche Integrationsverträge und ein Integrationsgesetz"
Wo sehen Sie derzeit den größten Nachholbedarf?
Marcus Weinberg: Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass nicht alle Flüchtlinge und Asylsuchenden, die derzeit nach Deutschland kommen, langfristig in Deutschland bleiben werden. Die meisten wollen und müssen Deutschland wieder verlassen, wenn sich die Situation in ihrer Heimat verbessert hat. Diejenigen allerdings, die ihre Zukunft in unserem Land sehen, sollten vom ersten Tag an wissen, dass sie sowohl Rechte als auch Pflichten haben.
Das heißt?
Marcus Weinberg: Wir müssen endlich mehr Verbindlichkeiten bei dem Prozess der Integration schaffen. In der Vergangenheit fehlte es an klaren Leistungen, Zielen und Vorgaben der Integrationsprozesse. Es muss der Grundsatz gelten: früher, zielgenauer und bedarfsorientierter zu integrieren. In Hamburg zum Beispiel fehlt mir die klare Linie in der Integrationspolitik. Vieles ist schwammig und unverbindlich.
Sie meinen, der Integrationsprozess beginne zu spät?
Marcus Weinberg: Ja, und das ist problematisch. Jeder Flüchtling sollte von Anfang an erfahren, welche Integrationsmaßnahmen insbesondere im Bereich der Bildung ihm zustehen, wie eine berufliche Zukunft aussehen könnte und was er dafür leisten muss. Zugleich ist es wichtig, ihm unser Rechtssystem und unsere Werteordnung aufzuzeigen. Nur so wird er ebenjene zu schätzen wissen.
Welche Werte meinen Sie?
Marcus Weinberg: Zum Beispiel Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Aber auch Sicherheit, Solidarität und Gleichberechtigung. Allesamt Werte, die uns wichtig sind und bei denen wir keine Kompromisse machen dürfen. Deutschland hat mehr zu bieten, als nur materiellen Wohlstand. Wir haben uns eine freie und solidarische Gesellschaft erkämpft. Vorfälle wie in Köln zur Silvesternacht bringen diese in Gefahr!
Das klingt, mit Verlaub, sehr theoretisch - wie würden Sie das in der Praxis umsetzen?
Marcus Weinberg: Im Gegensatz zum Hamburger Senat, der bislang weder klare Zielvorgaben noch einen Katalog an Forderungen formuliert hat, sagen wir ganz deutlich: Wir brauchen verbindliche Integrationsverträge und ein Integrationsgesetz.
Wie genau sähe das aus?
Marcus Weinberg: Es müssen Ansprüche, Rechte und Pflichten aller Beteiligten klar formuliert werden. Dazu gehören insbesondere Rechtsansprüche auf Leistungen wie Sprachförderung, Bildungsangebote und Arbeitsmarktintegration. Aber auch Pflichten samt Sanktionen. Bislang handelt der Senat eher nach Kassenlage. Mal wird bei den Angeboten gekürzt, mal werden sie ausgeweitet. Was fehlt ist die Zielgenauigkeit der Maßnahmen auf die konkreten Bedarfe des Einzelnen. Diese in Teilen bestehende Beliebigkeit in der Hamburger Integrationspolitik muss endlich ein Ende haben. Andernfalls setzt Olaf Scholz den Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel.