Europa lässt sich treiben
Nach der Trump-Wahl wollten die EU-Außenminister klare Kante zeigen. Stattdessen verwickeln sie sich in neue Widersprüche
Die USA haben gewählt, die EU verfällt in Panik. So spottete das amerikanische Online-Magazin "Politico", als die EU-Außen- und Verteidigungsminister in aller Eile ein Sondertreffen zur US-Wahl ankündigten. Das Brüsseler Ratsgebäude werde sich in einen "Panic room" verwandeln, in dem die aufgescheuchten Europäer "Apocalypse now" proben würden, so die US-Journalisten.
Ganz so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Zwar brachten einige Außenminister die Sorge zum Ausdruck, dass der "Hassprediger" Donald Trump die lieb gewordenen transatlantischen Beziehungen erschüttern könne. Nato, Russland, Iran und Syrien heißen die Stichworte, bei denen die europäischen Chefdiplomaten nervös werden. Doch das Krisentreffen am Sonntagabend, das hinter verschlossenen Türen stattfand, verlief dann doch ruhiger als erwartet.
Schließlich hatte nicht nur das britische Raubein Boris Johnson die Einladung zum After-Trump-Dinner ausgeschlagen. Auch seine französischen und ungarischen Amtskollegen schwänzten das Treffen, das auf eine Idee von Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier zurückgeht. Und da Steinmeier selbst Wichtigeres zu tun hatte, als die freie Welt zu retten - er reiste vorzeitig nach Berlin ab, wo er sich zum Bundespräsidenten küren lassen will -, geriet der Panik-Rat schnell zum Routinetreffen.
Im Grunde wisse man überhaupt nicht, was Trump vorhabe, gab Österreichs Außenminister Sebastian Kurz zu Protokoll. Also könne man auch noch nichts dagegen unternehmen. Aber man dürfe auch nicht einfach die Hände in den Schoß legen, entgegnete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Man könne sich "keine abwartende Haltung” leisten, sondern müsse ein paar Pflöcke einschlagen, zum Beispiel bei der Verteidigung. Die EU müsse sich militärisch unabhängig von den USA machen, wenn sie zur "Supermacht" aufsteigen will, so die Italienerin.
Supermacht? Bisher ist die europäische Reaktion auf die transatlantische Krise eher von Ohnmacht geprägt. Beispiel Türkei: Die 28 Außenminister konnten sich wieder nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Staatschef Recep Erdogan und dessen zunehmend repressive Politik einigen. Die Festnahme von Oppositionspolitikern und Journalisten sei nicht mit den Grundwerten der EU vereinbar, hieß es zwar unisono.
Doch auf die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen wären, gab es keine klare Antwort. Die Wirtschaftssanktionen, die Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ins Gespräch gebracht hat, fanden ebenso wenig eine Mehrheit wie die Aussetzung der Beitrittsverhandlungen, die Österreich vehement fordert.
Brexit-Diskussion noch einmal
Doch wenn sich die Außenminister nicht einmal auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Erdogan verständigen können - wie sollen sie dann gegen Trump bestehen? Wollen sie überhaupt gegen Trump bestehen - oder geht es letztlich nur darum, dass jedes EU-Land seine ureigensten außenpolitischen Interessen verteidigt, zur Not auch allein gegen den Rest der Welt?
Das ist die zentrale Frage, und sie blieb auch nach diesem Brüsseler Treffen unbeantwortet. Lediglich der Brite Johnson ließ sich ein wenig in die Karten schauen. "Es ist wichtig, den designierten Präsidenten oder seine Regierung nicht im Voraus zu verurteilen”, sagte der Brexit-Politiker. Der neue US-Präsident sei ein "Dealmaker", was "eine gute Sache für Großbritannien, aber auch eine gute Sache für Europa" sein könnte.
Und so dreht sich die europäische Diplomatie im Kreise. Die einen wollen einen "Deal" mit Trump machen, die andern wollen ihn auf gemeinsame Werte verpflichten, wieder andere wollen sich von ihm und den USA unabhängig machen. Im Grunde ist es dieselbe Diskussion wie nach dem Brexit, nur mit größerer Wucht und erhöhtem Einsatz. Und genau wie nach dem Brexit verwickeln sich die Kontinental-Europäer in immer neue Widersprüche.
Das zeigt sich nicht nur an Noch-Außenminister Steinmeier, der nach der Stippvisite in Berlin gleich nach Ankara weiterreiste, wo er versuchen will, den Flüchtlingsdeal und die EU-Beitrittsverhandlungen zu retten. Appeasement statt Abgrenzung, heißt die Devise. Es zeigt sich auch bei Verteidigungsministerin Ursula Von der Leyen. Sie versucht, die transatlantische Krise für die Aufrüstung der Bundeswehr (und die Aufwertung Deutschlands) zu nutzen. Die Forderung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump nach mehr europäischen Engagement in der Sicherheitspolitik sei verständlich, sagte Von der Leyen in Brüssel. Es sei berechtigt, in diesem Bereich mehr von Europa zu verlangen, so die CDU-Politikerin (Transatlantiker in Panik wegen Trump).
Doch ihr Ruf nach "mehr Europa" in der Verteidigungspolitik stößt auf Widerstand. Ausgerechnet die Briten haben ein Veto gegen eine europäische Armee oder ein neues EU-Hauptquartier eingelegt. Anstatt teure neue Hauptquartiere zu planen und von einer europäischen Armee zu "träumen", müssten die Europäer ihre Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erhöhen, sagte der britische Verteidigungsminister Michael Fallon. Statt mehr Autonomie fordern die Briten mehr Geld - genau wie die Amerikaner. Und die EU lässt sich treiben, statt einen eigenen Kurs zu bestimmen. Klare Kante? Fehlanzeige.