Europäischer Gerichtshof: PKK-Verfahren beginnt heute
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Das Gericht entscheidet über die Frage, ob die PKK von der EU-Terrorliste gestrichen werden soll
Vor knapp vier Jahren reichten die Führungsmitglieder der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Murat Karayilan und Duran Kalkan, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof ein, mit dem Ziel, die PKK von der EU-Terrorliste streichen zu lassen. Auf Wunsch der Türkei wurde die PKK 2002 auf die Terrorliste gesetzt.
Ob die Klage Erfolg hat, hängt von einer nicht ideologisch geführten, sondern sachlichen Betrachtung des Gerichts des Umgangs der verschiedenen türkischen Regierungen mit der Kurdenfrage seit Republikgründung einerseits und mit der Aufarbeitung der Ereignisse seit Gründung der PKK und ihrer politischen Wandlung andererseits ab.
Am Montag findet nun die Anhörung in dem Verfahren statt. Ein einziger Verhandlungstag wurde dafür angesetzt. Das sieht nicht nach einer intensiven Beschäftigung mit einer komplexen Frage aus. Die Entscheidung des Gerichts dürfte dann noch einige Monate dauern, die Rechtsanwälte rechnen mit einer Entscheidung im September oder Oktober.
Es gab in der Vergangenheit immer wieder die Forderung, die PKK von der Liste zu streichen, da es sich nicht um eine Terrororganisation, sondern um eine Befreiungsbewegung handele. Die Forderung stieß jedoch in vielen Ländern auf taube Ohren und erhebliche Widerstände - bis heute.
Die politischen, ökonomischen und militärischen Verflechtungen zwischen der Türkei und den europäischen Staaten waren und sind so stark, dass man sich keinen Ärger mit der Türkei einhandeln wollte und will. Und so wurde vor allem in den deutschen Medien die Formel "PKK ist gleich Terrororganisation" gebetsmühlenartig wiederholt. Menschen, die nach Gründen und Beweisen fragten, wurden entweder mit 20 Jahre alten Artikeln aus der Boulevardpresse abgespeist oder selbst als Terrorunterstützer diffamiert.
Kurzzeitig änderte sich die Stimmung, als die PKK im August 2014 im Shengal-Gebirge im Nordirak zusammen mit der syrischen YPG/YPJ zehntausende von Eziden und Ezidinnen vor dem IS retteten. Der Bundesregierung gefiel das gar nicht. In Person von Frau von der Leyen brachte sie schnell Barzanis KDP-Peschmerga als angebliche Retter in die Diskussion - und damit diejenigen, die vor dem IS geflohen waren und nachweislich die Eziden im Stich gelassen hatten.
Über die TV-Bildschirme verkündete die Verteidigungsministerin ihre Unterstützung des konservativen Stammesführers und Erdogan-Verbündeten, Massud Barsani, wegen der angeblichen heroischen Rettungsaktion im Shengal. Die Peschmergas sollten Waffen und militärisches Training durch die Bundeswehr für den Kampf gegen den IS erhalten, erklärte von der Leyen im Fernsehen, während im Hintergrund Videos von kurdischen Kämpfern und Kämpferinnen mit YPG/YPJ-Emblemen an der Uniform liefen oder PKK-Fahnen auf den Fahrzeugen zu sehen waren. Den deutschen Zuschauern fiel das nicht auf, wer kannte damals schon die verschiedenen kurdischen Akteure.
Zur selben Zeit richteten sich deutsche Waffen in den Händen der türkischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung in den kurdischen Gebieten der Türkei. Die Betonung liegt auf "Bevölkerung", auf Zivilisten. Telepolis berichtete mehrfach über die Zerstörung von der Altstadt von Diyarbakir von ganzen Städten wie Nusaybin und Sirnak und von am lebendigen Leibe verbrannten Menschen in den Kellern Cizres durch das türkische Militär und seine Spezialeinheiten.
Nach der Aufkündigung des Friedensprozesses mit der PKK durch Erdogan erlebte die kurdische Bevölkerung bis heute eine Vertreibungs- und Repressionspolitik, die die 1980er und 1990er Jahre an Grausamkeit noch übertreffen.
Staatsterror versus Kriegsrecht
"Die PKK Listung ist eine unfaire und politische Entscheidung", meint Zübeyir Aydar, KCK-Mitglied in der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans. Aydar weist wie viele Juristen darauf hin, dass es sich in der Türkei um einen bewaffneten Konflikt zwischen einem Staat und einer staatenlosen, bewaffneten Bewegung handele. Seit 34 Jahren führe die Türkei Krieg gegen die kurdische Bevölkerung.
Aydar vertritt die Meinung, dass im Falle einer Bewertung der PKK das Kriegsrecht zur Anwendung kommen müsste. Die PKK richtet ihre Aktionen nicht gegen Zivilisten, sondern gegen militärische Einrichtungen, die sich gegen die kurdische Bevölkerung richten. Der türkische Staat hingegen begeht seit mehr als 30 Jahren Kriegsverbrechen an der kurdischen Bevölkerung.
Wenn von Terror gesprochen wird, sollte in jedem Fall von Staatsterror die Rede sein. In 34 Jahren des Krieges hat der türkische Staat alle Arten von schweren Waffen gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt. Im Kampf gegen die Kurd*innen geht die Türkei mit Panzern, Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Artillerie und anderem Rüstungsgut gegen das Volk vor. Alle Spezialeinheiten des Landes kommen zum Einsatz. (...)
Wir sprechen ebenfalls von einem Staat, der Chemiewaffen einsetzt, Kurdistan in ein riesiges Minenfeld verwandelt, die Zivilbevölkerung bombardiert, ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht und Menschen auf offener Straße hingerichtet hat. Die Türkei ist das Land mit den meisten politischen Gefangenen und inhaftierten Journalist*innen der Welt. Gegen so einen Staat, in dem der Justizapparat nur im Kampf gegen das kurdische Volk funktioniert, haben die Kurd*innen natürlich das Recht, sich zu verteidigen.
Zübeyir Aydar
Ohne auf die hoch ideologische, emotional geführte Debatte, ob die PKK nun eine "Terrororganisation" oder eine "Befreiungsbewegung" ist, einzugehen, kann man ganz sachlich feststellen: Nach wie vor sind die Kurden als größte Minderheit in der Türkei nicht anerkannt. Ihre Sprache, ihre Musik, ihre traditionellen Feste und ihre Religionen wie das Alevitentum und Ezidentum sind in der Türkei fortwährend Repressionen ausgesetzt.
Die kurdische Arbeiterpartei war in der Türkei lange die einzige Organisation, die das kurdische Volk und seine Rechte als Minderheit - die im Übrigen auch durch das internationale Recht gedeckt sind - verteidigt hat. Bevor die linke Partei HDP sich der Kurdenfrage angenommen hat, machten auch die meisten linken türkischen Organisationen einen Bogen um die Kurdenfrage.
Es wird Zeit, dass auch hier die Realitäten zur Kenntnis genommen werden: Die kurdische Bevölkerungsgruppe ist eine sehr heterogene Bevölkerungsgruppe. Die Familien bewegen sich zwischen traditionell-feudalen und modernen, demokratischen Strukturen, zwischen muslimischen, alevitischen, ezidischen und atheistischen Lebensentwürfen und politisch gibt es unter den Kurden eine Bandbreite von Faschisten, Islamisten bis hin zu Revolutionären. Doch eines scheint sich in fast allen Familien widerzuspiegeln: In nahezu jeder Familie gab und gibt es jemand, der zur Guerilla in die Berge gegangen ist.
Das ist zwar hier und da konfliktbeladen, aber in kurdischen Familien wird dieser Spagat gelebt und ausgehalten. Der soziale Alltag in den kurdischen Kommunen war und ist geprägt von Agreements. Selbst mit den von der türkischen Regierung eingesetzten Dorfschützern arrangierte man sich bis zu einem gewissen Maß.
Diese wiederum wussten, dass sie ohne militärische Truppenpräsenz nichts gegen die Guerilla machen konnten und arrangierten sich ihrerseits im Spielfeld zwischen AKP-Regierung und Bevölkerung. Das ging jahrelang gut, alle waren optimistisch, die Lösung der Kurdenfrage stehe unmittelbar bevor - bis Erdogan den Friedensprozess 2014 aufkündigte.