Europas Borderline
"Verbesserung", "Ausweitung", "Stärkung": Die erst fünf Jahre alte "EU-Grenzschutzagentur" Frontex will jetzt eigene Ausrüstung und Personal
Frontex steht symbolisch für die Entwicklung einer eigenen EU-Politik der inneren Sicherheit. Nun soll die erst 2005 geschaffene Behörde neue Kompetenzen erhalten. Die Rede ist von Helikoptern und Schiffen, dem Initiieren von Operationen sowie Sammeln und Prozessieren von Personendaten. Zur Durchsetzung der Forderungen verschärfen Kommission und Frontex das Vokabular rund um illegalisierte Migration.
Pünktlich zum jüngsten Treffen der EU-Innenminister in Brüssel hat die neue EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, einen Vorschlag zur Neukonfiguration der EU-"Grenzschutzagentur" Frontex vorgelegt. Die bisher gültige Verordnung von 2004 soll demnach in entscheidenden Punkten geändert werden, um "festgestellte Schwachpunkte zu beheben" und "ein einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau" zu gewährleisten. Kern des Papiers, das auf einer Evaluierung von 2008 basiert, ist die anscheinend immer noch nicht zufriedenstellende Zuarbeit der Mitgliedsstaaten für gemeinsame Operationen. Die Behörde moniert etwa die fehlende Bereitschaft, zugesagte Ausrüstung oder Personal zu stellen, so dass die Einsätze nur ungenügend geplant und durchgeführt werden könnten.
Gemeinsam mit österreichischen Behörden und Mitgliedern des Frontex-Verwaltungsrats hatte die Kommission im September letzten Jahres einen Workshop organisiert, dessen Ergebnisse kurz darauf dem Ausschuss für Einwanderung und Asyl vorgelegt wurden. Heraus kam ein Ranking von Bausteinen für zukünftige "Kernziele und Tätigkeiten", das nach Vorlage im "Ausschuss für Folgenabschätzung" auf Verhältnismäßigkeit und erwartete Kosten überarbeitet wurde. Die wohl wichtigsten Neuerungen der zu ändernden Verordnung bestehen im überarbeiteten Mechanismus von "Pflichtbeiträgen" der Mitgliedsstaaten, der Forderung nach Erwerb oder Leasing eigener Ausrüstung und dem Aufbau eines eigenen "Pools aus Grenzschutzbeamten", die für Operationen der Truppe abgeordnet werden können.
Letzte Woche beschäftigte sich der parlamentarische Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres (LIBE) mit dem Papier. Bereits im Januar hatte der finnische Brigadegeneral Ilkka Laitinen, Generaldirektor von Frontex, dem LIBE-Ausschuss über die Erfolge der Frontex-Operationen berichtet. Demnach seien von der Agentur dokumentierte "illegale Grenzübertritte" um 22% gesunken. Seit der Gründung von Frontex hat sich die Anzahl aufgewandter Arbeitsstunden gegenüber dem ersten Jahr mehr als versechsfacht, die Zahl der Trainings stieg um das zehnfache.
Regionale Prioritäten der See-Operationen von Frontex liegen weiterhin in der Ägäis, dem Mittelmeer zwischen Malta, Libyen und Tunesien sowie Marokko und Westafrika. Für 2010 plant Frontex mit Hera, Hermes, Artemis, Chronos und Poseidon weitere groß angelegte Operationen im Mittelmeer und dem Atlantik. Im Bereich der Landgrenzen fokussiert sich die Arbeit unter anderem auf die Grenzen der Ukraine und Moldawien mit den EU-Mitgliedsstaaten. Ein weiterer Schwerpunkt besteht in der Koordination von Abschiebungen, die als "gemeinsame Rückführungen" bezeichnet werden. Ihre Zahl soll sich 2010 verdoppeln. Hierfür will Frontex eigene Flugzeuge chartern, um Abschiebehäftlinge ("Returnees") an europäischen Flughäfen einzusammeln.
"Mindestkontingente" der EU-Mitgliedsstaaten
Bisher hatten die Regierungen der Mitgliedsstaaten lediglich freiwillige Zusagen für Ausrüstungskapazitäten gemacht, die laut Frontex oftmals nicht eingehalten wurden und damit die Einsatzplanung entscheidend erschwerten. Die bereit gestellten Schiffe würden zudem meistens von dem Staat gestellt, auf dessen Territorium die Operation stattfindet ("Einsatzstaat").
Frontex unterhält mit dem "Centralised Record of Available Technical Equipment" (CRATE) ein Register, in dem abrufbare Ausrüstung geführt wird. Gegenwärtig hat Frontex theoretisch Zugriff auf 26 Helikopter, 22 Flugzeuge, 113 Schiffe sowie Wärmebildkameras, CO2- und Herzschlagdetektoren, mobile Radargeräte und weitere Fahrzeuge. Die Ausleihe von Ausrüstung soll zukünftig verbindlich werden und innerhalb von 30 Tagen verfügbar sein. Über die Höhe des "Mindestkontingents" bleibt der Vorschlag zunächst vage, die Rede ist von "dem Bedarf entsprechend", der für das Arbeitsprogramm des betreffenden Jahres benötigt würde. Wie bisher würde Frontex die entsprechenden Regierungen für ausgeliehene Ausrüstung entschädigen.
Die Erhöhung der vorgesehenen eigenen Ausrüstungskapazitäten soll schrittweise erfolgen. Unklar bleibt bislang, wie viele Flugzeuge, Helikopter und Schiffe für den Frontex-Bestand angeschafft werden sollen. Aufgrund von "Schätzungen für die Zukunft", in denen man geflissentlich "Haushaltszwänge außer Acht" lässt, wird jedenfalls behauptet dass "die gegenwärtig verfügbare Ausrüstung nicht annähernd den Bedarf" decken würde. Fraglich ist ebenso, auf welchen Staat die neuen Schiffe oder Flugzeuge registriert würden. Frontex kann weder alleinig eingetragener Eigentümer ("Flaggenstaat") werden, noch die Besatzung stellen. Hochseetaugliche Patrouillenboote, Küstenwachschiffe und Fahrzeuge sollen also nach "formeller Einigung" mit einem Mitgliedstaat in dessen Territorium registriert werden. Im Falle von Leasing würde diese Prozedur entfallen. Der jeweilige Mitgliedstaat stellt zudem Spezialisten und Mannschaften zum rechtlich einwandfreien Betrieb der Luft- und Seefahrzeuge.
Womöglich käme auch die Anschaffung von Drohnen in Betracht, zu deren Implementierung in die Migrationsabwehr Frontex eigene Forschungsprogramme unterhält und in ähnliche Projekte auf EU-Ebene eingebunden ist. Zwar beschwichtigt Kommissarin Malmström, dass es hierzu noch keine Entscheidung gebe. Anlässlich der Feierlichkeiten zum fünfjährigen Bestehen im Mai lädt Frontex allerdings selbst die "führenden Industrien" zu einer Konferenz und Verkaufsmesse über Techniken zur Migrationsabwehr ein, darunter C4I (Situational Awareness für die Polizei), Drohnen und Radar. Im Juni richtet Frontex eine Konferenz in Spanien aus, die ebenfalls die Nutzung von Drohnen und Quadrokoptern im Kampf gegen "illegale Migration" zum Ziel hat.
Von Frontex in Marsch gesetzte "Unterstützungsteams"
Neben eigener Ausrüstung entspricht der Kommissionsvorschlag auch einer Forderung von Frontex nach Personal, das der Agentur fortan direkt untersteht. Frontex soll sogenannte "Unterstützungsteams" aufbauen, deren Arbeitsbereiche und Kompetenzen in der neuen Verordnung definiert werden. Die Beamten sollen für jeweils 6 Monate vom "Herkunftsmitgliedstaat" an Frontex "abgeordnet" werden. Diese Zusagen sollen nur noch in "Ausnahmesituationen, die die Erledigung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigen", zurückgezogen werden dürfen.
Damit würde Frontex von maßnahmenbezogenen Ersuchen zur Bereitstellung von Grenzschutzbeamten befreit. Das bedeutet womöglich eine Abkehr vom bisherigen Prinzip der schnellen Eingreiftruppen "Rapid Border Intervention Teams" (RABIT), die für akute Einsätze angefragt und abgeordnet werden können. Bislang wurden die RABITs nie angefordert, stattdessen allerdings mit "Übungen" in bestehende Operationen integriert. Letztlich würden Frontex für die Einführung eigener Kräfte in "Unterstützungsteams" nach eigenen Angaben nur unwesentliche weitere Kosten entstehen, da bereits jetzt alle "ausgeliehenen" Beamte mit rund 4.000€ monatlich aus dem Gemeinschaftshaushalt der EU für Frontex besoldet werden.
Gesamtzahl und Anforderungsprofil jeweils eingesetzter "Unterstützungsteams" würden vom Frontex-Verwaltungsrat mit absoluter Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder festgelegt. Die Frontex-Beamten wären dem Einsatzmitgliedstaat weisungsgebunden, allerdings kann der Verwaltungsrat gemäß dem Kommissionsvorschlag seinen "Standpunkt zu diesen Anweisungen übermitteln", der dann vom Einsatzmitgliedstaat berücksichtigt werden muss. Etwaige Disziplinarmaßnahmen wiederum würden in den Herkunftsmitgliedstaaten verhandelt.
Auch die Rolle der Agentur bei der Vorbereitung, Koordinierung und Durchführung von Operationen soll hinsichtlich der Aufgabenteilung mit den Mitgliedstaaten überarbeitet werden. Frontex will an der Leitung gemeinsamer Aktion beteiligt werden, die bislang dem jeweiligen Einsatzstaat obliegt. Die Agentur soll "selbst Initiativen für gemeinsame Aktionen und Pilotprojekte" ergreifen, eigenständig beschließen und im Falle von Misserfolg auch abbrechen dürfen. Einsatzpläne bezüglich Vorgehensweise, Dauer und Gebiet würden vom Exekutivdirektor aufgestellt und mit dem Einsatzstaat koordiniert. Hierzu gehören auch Regelungen zur Abfrage von Datenbanken, zulässigen Dienstwaffen, Munition und Ausrüstung sowie zuständige Gerichtsbarkeit, Befehlsvorschriften, Transport und Logistik. Mit der neuen Verordnung würden unterschiedliche Vorgehensweisen standardisiert und optimiert.
Umschrieben als "Evaluierung der Leistung der Mitgliedstaaten" soll Frontex sogar ermächtigt werden, "Inspektionen" in den Mitgliedsstaaten durchzuführen, um "Kapazität, Bedrohungen und Belastungen" zu prüfen. Explizit wird eine Praxis gefordert, die über Beobachtung und Berichterstattung hinausgeht und damit auch weitere Personalkosten bedingt.
Anvisiert wird auch eine "Berichterstattung über Zwischenfälle". Damit dürfte die EU auf die heftige Kritik von letztem Sommer reagieren. Flüchtlinge berichteten, sie seien auf hoher See von Patrouillenbooten aufgebracht und mit Toten an Bord zur Rückkehr nach Libyen gezwungen worden. Frontex bezeichnet diese Praxis als "zur Umkehr überreden", die damals beschriebenen Fälle seien allerdings von der italienischen Küstenwache zu verantworten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte in einem 92-seitigen Bericht Misshandlungen und unmenschliche Bedingungen dokumentiert, denen die erzwungenen Rückkehrer danach in libyschen Gefängnissen ausgesetzt sind. In einem anderen Fall war ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa von einem maltesischen Patrouillenboot ohne weitere Hilfe zurückgelassen worden. Mindestens 73 Insassen starben auf der Fahrt an Entkräftung. An einer gleichzeitig stattfindenden Frontex-Operation waren auch deutsche Helikopter der Bundespolizei beteiligt.
Immer noch gibt es keine verbindlichen Leitlinien für Frontex-Einsätze auf hoher See. Selbst französische Geheimdienste gehen davon aus, dass jeder vierte Flüchtling auf See ertrinkt. Im September letzten Jahres hatte die Kommission deshalb einen Entwurf vorgelegt, nach dem eine Ratsentscheidung hinsichtlich der "Überwachung der Seeaußengrenzen" getroffen werden soll. Angedacht ist hierfür eine Ergänzung des Schengener Grenzkodex.
Abkommen auch mit USA, Libyen, China und Georgien
Laut der Kommissionsvorlage ist die Zusammenarbeit von Frontex mit Ländern außerhalb der EU ("Drittstaaten") "ungenügend und ineffizient", die dortige Migrationsabwehr könne bislang zuwenig "proaktiv" unterstützt werden. Demzufolge müsse das Mandat für eine Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb der EU "bei der Grenzverwaltung" ausgeweitet werden. Frontex hat allerdings innerhalb seines fünfjährigen Bestehens bereits Dutzende bilaterale Abkommen geschlossen, darunter mit den USA, Libyen, Ägypten, Türkei, Albanien, Kroatien, Serbien, Russland, Weißrussland, Ukraine, Moldawien und Georgien. Verhandelt wird gegenwärtig mit Marokko, Mauretanien, Senegal und den Kapverden. Zusätzliche Abkommen sind mit China, Tunesien, Algerien und weiteren westafrikanischen Ländern geplant.
Frontex soll sowohl "Projekte zur technischen Unterstützung in Drittstaaten" durchführen, als auch mehr sogenannte "Verbindungsbeamte" entsenden. Zudem soll die neukonfigurierte Agentur weiterhin "an den Grenzen zwischen Drittstaaten", also unter Umständen weit außerhalb der EU, "Grenzkontrollmissionen" durchführen. Die Rede ist von zunächst "ein bis zwei Projekten pro Jahr" in "vorrangigen Ländern". Hierfür würden allerdings erhebliche Kosten entstehen. Die EUBAM-Mission von 2005 bis 2009 an der Grenze zwischen Moldawien und der Ukraine kostete beispielsweise rund 44 Millionen Euro. Für die "Herstellung und Pflege von Kontakten" in Ländern außerhalb der EU würde der Frontex-Haushalt allerdings von zusätzlichen EU-Mitteln im Bereich der Außenbeziehungen profitieren, möglich ist zudem die Verwaltung von anderen Mitteln der Europäischen Union oder internationaler Organisationen.
In anfangs geheim gehaltenen Verhandlungen will Frontex auch mit der Türkei eine Vereinbarung schließen, um die unverzichtbare Beteiligung der türkischen Küstenwache zur effektiven Kontrolle der Ägäis herbeizuführen. Hierfür gab der griechische Außenminister Dora Bakoyanni zuvor "grünes Licht", worauf sich der Zivilschutzminister Michalis Chrisochoidis mit Frontex-Geschäftsführer Ilka Latinen in Athen getroffen hatte.
Laitinen beschwichtigte die griechische Öffentlichkeit nach Bekanntwerden der Gespräche und erklärte, es handele sich lediglich um Absprachen technischer Natur. Geargwöhnt wird in Griechenland, dass ein Abkommen der EU mit der Türkei nach dem Mehrheitsprinzip geschlossen werden könnte und ein etwaiges Veto Griechenlands folglich übergangen würde. Die griechische Regierung befürchtet den Verlust der nationalen Souveränität im immer wieder aufflammenden griechisch-türkischen Konflikt um die Kontrolle der hoch militarisierten Grenze in der Ägäis. Strittig ist zudem die Beteiligung des türkischen Militärs an Frontex-Operationen, die bislang nur von Polizei- und Hafenbehörden durchgeführt werden dürfen.
Sammeln von Personendaten für effektivere "Risikoanalyse"
Eine der gegenwärtigen Prioritäten der Agentur ist die sogenannte "Risikoanalyse". Flüchtlingsbewegungen werden analysiert und prognostiziert, um vorzeitige Warnungen an Grenzbehörden der Mitgliedsstaaten auszugeben. In der Evaluierung der bisherigen Praxis von Frontex kommt die Agentur zu dem Schluss, dass die Risikoanalysen zuwenig aussagekräftig seien, da nicht auf personenbezogene Daten zurückgegriffen werden dürfe.
Frontex verspricht eine "effektivere operative Unterstützung" der Mitgliedstaaten zur "Bewältigung von Bedrohungen", wenn die Agentur zukünftig personenbezogene Daten sowohl erheben als auch verarbeiten darf. Vage bleibt indes, um welche Daten es sich handeln soll. Als Ziel wird die "Bekämpfung krimineller Netze, die an der Einschleusung von Migranten beteiligt sind", angegeben. Bisher würden beteiligte Beamte aus den Mitgliedsstaaten wertvolle Informationen zusammentragen, die nach Ende der Einsätze verloren gehen.
In der Folgenabschätzung wird bagatellisiert, dass zunächst nicht an eine Weitergabe der Daten gedacht sei. Stattdessen wird die Notwendigkeit eines "raschen und zuverlässigen Informationsaustauschs" für die Risikoanalyse betont. Die Daten der Risikoanalysen sollen zu Ausbildungszwecken in "gemeinsame zentrale Lehrpläne" einfließen. Bereits jetzt arbeitet Frontex hinsichtlich der Risikoanalysen mit unzähligen anderen internationalen und EU-Behörden zusammen, darunter Interpol, die Polizeiagentur Europol, die Polizeiakademie CEPOL oder das Brüsseler Geheimdienstzentrum SitCen.
Offen ist, in welchen Informationssystemen diese neuen Daten geführt würden. Laut Kommission entstünden jedenfalls nur unerhebliche weitere Kosten, womit eine Integration in bestehende Register angedeutet wird. Bereits 2005 hatte die EU eine Entscheidung zur Einrichtung eines Intranet über "vorschriftswidrige Migration, illegale Einreise und Einwanderung und die Rückführung von Personen mit rechtswidrigem Aufenthalt" getroffen. Die Plattform gilt als "Frühwarnsystem" und verbindet die "Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen" mit "allen sachdienlichen Hilfsmitteln". In Frage kommt für die neue anvisierte Datenbank auch das bis 2013 fertig gestellte Grenzüberwachungssystem Eurosur, das alle Grenzbehörden und migrationsbezogenen Datenbanken der Mitgliedsstaaten vernetzt. Frontex soll jedenfalls die "erforderliche Unterstützung" für Entwicklung und Betrieb von "Eurosur" bereitstellen und die Interoperabilität mit etwaigen anderen, eigenen Systemen gewährleisten.
Die Kommission fordert darüber hinaus, die Speicherung personenbezogenen Daten vor dem Hintergrund der "allgemeinen Strategie für den Informationsaustausch" zu erörtern, die sie im Laufe des Jahres zur Optimierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres vorlegen will.
Für alle Vorschläge der Kommission werden im einzelnen Folgenabschätzungen vorgelegt, die ihre Auswirkungen in Bezug auf die Grundrechte trivialisieren. So sei eine größere Zahl verfügbarer Ausrüstungen "für den Aspekt der Grundrechte ohne Belang", zugegeben wird aber "ein größeres Risiko, dass ein EU-Gremium und dessen Personal häufiger mit Situationen konfrontiert werden, in denen es zu Grundrechtsverletzungen kommen kann". Der Aufbau eigener "Unterstützungsteams" würde die Agentur "in größerem Maße zur Achtung der Grundrechte verpflichten als bisher", da die Verantwortung bislang bei nationalen Behörden liegt. Aus nicht näher erläuterten Gründen gäben die "Grenzkontrollmissionen an den Grenzen zwischen Drittstaaten" Anlass zu "Bedenken hinsichtlich der Grundrechte".
Frontex soll nach dem Willen der Kommission jenen Drittländern keine technische Unterstützung gewähren, in denen es zur Verletzung von Grundrechten kommen könnte, zudem soll bei der Erhebung von "Daten über Migrationsströme ethnisches Profiling vermieden" werden. Die Kommission erinnert, "Teammitglieder" dürften niemand "aus Gründen des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung diskriminieren". Hierfür sollen Schulungen für Ausbilder der nationalen Grenzschutzbeamten angeboten werden, in denen die Polizisten bislang anscheinend fehlende Kenntnisse von Grundrechten und internationalem Schutz erlangen sollen. Die Frage, wie die Beamten auf hoher See entscheiden sollen, welche Flüchtlinge ein Recht auf Asyl geltend machen könnten und welche "zur Umkehr überredet" werden sollen, zeigt die Widersprüchlichkeit des Ansinnens, die Arbeit von Frontex mit der Wahrung von Menschenrechten in Einklang zu bringen.
In Bezug auf gemeinschaftliche Abschiebung fürchtet Frontex die politische und juristische Verantwortung. Der Kommissionsvorschlag beleuchtet die Problematik, dass mit der Beteiligung auch die "Belastung von dem Mitgliedstaat, der die Leitung innehat", auf die Agentur überginge. Frontex war bisher an mindestens 26 "Rückkehroperationen" beteiligt, in denen Flüchtlinge in gecharterten Flugzeugen nach Nigeria, Kosovo, Albanien, Georgien, Mongolei, Ecuador und Vietnam abgeschoben wurden.
Umfangreiche internationale Kooperation
Auch ohne die neue Initiative der EU-Kommission wird Frontex expandieren. Anfang Februar hatte der Verwaltungsrat beschlossen, ein "Regionalbüro" ("Frontex Operational Office") im griechischen Piräus einzurichten. Bereits seit einigen Jahren kooperiert Frontex mit einem "Eastern Sea Borders Centre" in Piräeus, das die gemeinsamen Operationen im östlichen Mittelmeer koordiniert. Im Falle eines (zu erwartenden) erfolgreichen Abschlusses des neuen "Pilotprojekts" in zwei Jahren sollen etliche weitere Regionalbüros in EU-Anrainerstaaten des Mittelmeers und des Schwarzen Meers sowie den östlichen Landgrenzen folgen.
Begründet wird die Notwendigkeit der "Frontex Operational Offices" mit der Verbesserung der Koordination, Erhöhung von "situational awareness" und der Standardisierung europäischer Verfahren zur Migrationsabwehr. Frontex hat dabei stets die potenzielle Ausweitung der EU und des Schengen-Raums im Blick. Eine kürzlich vorgelegte Machbarkeitsstudie zur Einrichtung der Regionalbüros unterstreicht die Bedeutung eines EU-Beitritts der Türkei, in dessen Folge Frontex die Überwachung der neuen EU-Grenzen mit Georgien, Aserbeidschan, Armenien, Iran, Irak und Syrien zufiele. Auch die Studie fordert weitere Regionalbüros nach Abschluss der Pilotphase im griechischen Piräus.
Indes entwickelt der neue Kommissionsvorschlag für die neuen Regionalbüros bereits ein "Sitzabkommen" zur "Unterbringung der Agentur in dem Mitgliedstaat". Der Verwaltungsrat muss hierfür seine Zustimmung geben, der "Sitzmitgliedstaat" wiederum "bestmögliche Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren", inklusive eines mehrsprachigen, "europäisch ausgerichteten schulischen Angebots", schaffen.
Allerdings ist Frontex längst in zahlreichen Ländern mit Arbeitsgruppen und Büros präsent. Weil Frontex laut der Machbarkeitsstudie nachrichtendienstlich ("intelligence-driven") operiert, betreibt die Agentur zur Informationsgewinnung für die Risikoanalysen mehrere "Frontex Intelligence Support Offices". Frontex-Dienste schnüffeln in Madrid ("strategisches Gebiet Spanien und Portugal"), Rom ("mittleres Mittelmeer") und Athen (Griechenland, Bulgarien, Zypern, Rumänien).
Weitere Kooperationen erfolgen mit dem "Centre for co-operation of the border authorities at the land borders" in Berlin, dem "Risk Analysis Centre" in Helsinki, dem "Centre of Excellence for border checks" in Dover, dem "Air Borders Centre" in Rom, dem "Western Sea Borders Centre" in Madrid und dem "Ad-hoc-Centre for Border Guard Training" im österreichischen Traiskirchen.
Dass es mit dem Informationsaustausch nicht immer weit her ist, zeigt ein Zwischenfall Anfang des Jahres vor der portugiesischen Küste. Ein Schiff der Marine hatte vier Maschinengewehrsalven auf ein verdächtiges Boot abgeschossen. Tatsächlich handelte es sich um eine Undercover-Mission in der Nähe des Küstenstädtchens Salema unter Leitung von Frontex, an der auch drei Angehörige der portugiesischen Marine teilnahmen.
Parlament bleibt unkritisch
Es ist derzeit wenig Widerstand gegen die Änderung der Frontex-Verordnung in Sicht. Frontex und die Kommission haben seit geraumer Zeit nichts unversucht gelassen, die Migrationsfrage zu dramatisieren und den Diskurs zu prägen. In zahlreichen EU-Dokumenten wird zur Arbeit von Frontex "Verbesserung", "Ausweitung", "Stärkung" gefordert und die erst fünf Jahre alte Agentur niemals grundsätzlich infrage gestellt.
Die Kommission beruft sich beispielsweise auf das jüngst verabschiedete Stockholmer Programm, in dem die Überarbeitung des Frontex-Rechtsrahmens festgeschrieben wurde. Der Europäische Rat setzt in dem Dokument erneut "Menschenhandel" und "Schleusung" mit "Terrorismus und organisierter Kriminalität, Drogenhandel, Korruption, sowie illegalem Waffenhandel" gleich. Demnach werden die Toten an den militarisierten Grenzen nicht durch den Zwang zu immer lebensbedrohlicheren Fluchtwegen verantwortet, sondern den Fluchthelfern angelastet.
Zwar hatte das EU-Parlament angesichts neuer Mitbestimmungsrechte nach dem Lissabon-Vertrag heftig um einzelne Punkte im "Stockholmer Programm" gestritten und sogar wochenlang über eine gemeinsame Resolution verhandelt. Allerdings haben die kritischen Parlamentarier die Rolle von Frontex unbeanstandet gelassen, um im Gegenzug Zugeständnisse der Fraktionen bezüglich der Verabschiedung des SWIFT-Abkommens mit den USA zu erzielen (Swift, Stockholm-Programm: Kräftemessen in Brüssel). Das Parlament unterstreicht, Frontex sei ein "unerlässliches Instrument der globalen Strategie der Union im Bereich der Einwanderung" und fordert immerhin die bessere Achtung der Menschenrechte und eine stärkere parlamentarische Kontrolle. Leicht kann die Kommission also einen "starken Konsens" bezüglich der Aufgaben von Frontex behaupten.
Um die neue Stufe von Frontex mit möglichst wenig Protest zünden zu können, hatte zuletzt die französische Delegation einen Vorschlag für das EU-Innenministertreffen in Brüssel eingebracht, der zur Verabschiedung von "Schlussfolgerungen des Rates über 29 Maßnahmen zur Stärkung des Schutzes der Außengrenzen und zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung" führte. Wieder wurden trotz sinkender Zahlen ein "fortwährendes Eintreffen illegaler Migranten an den südlichen Seegrenzen und östlichen Landgrenzen" konstatiert und sofortige "kurz- und mittelfristige Maßnahmen" gefordert.
Vorgesehen ist unter anderem die stärkere Einbindung von Satellitenaufklärung im Rahmen des EU-Programms Global Monitoring for Environment and Security (GMES).Vor Verabschiedung der "29 Maßnahmen" hatte Frontex-Generaldirektor Laitinen das Arbeitsprogramm für 2010 vorgestellt.
Laut einem "Nachbericht" der deutschen Delegation beim Innenministerteffen sollen 30 % des Budgets für Einsätze im Bereich Seegrenzen, 11 % für den Bereich Rückführungen, 5 % für Einsätze im Bereich Luftgrenzen und 3 % für sonstige Einsätze ausgegeben werden. Zur Ermittlung der Staatsangehörigkeit von Flüchtlingen strebt Frontex eine bessere Zusammenarbeit mit Europol an. Der konservative parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder hatte in Brüssel erneut vorgetragen, Frontex "langfristig zu einem Hauptakteur für die Koordination und das Management der EU-Außengrenzen auszubauen".
Gegenwind kommt indes von Bürgerrechtsorganisationen und Solidaritätsgruppen zur Unterstützung von Flüchtlingen. Die seit Jahren stattfindenden "No Border Camps" hatten zuletzt in Lesbos/Griechenland und Calais/Frankreich für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Bilder einer Kamera, die von Aktivisten in das Abschiebegefängnis Pagani auf Lesbos gebracht werden konnte, hatten weltweite Empörung hervorgerufen und zur vorläufigen Schließung des Gefängnisses geführt. Die von den Insassen aufgenommenen Bilder stießen zudem eine erneute Debatte an, "Rückführungen" gemäß dem Dublin II-Abkommen nach Griechenland auszusetzen.
Vermutlich wird es dieses Jahr angesichts der Eröffnung des Frontex-Regionalbüros in Piräus ein erneutes Camp in Griechenland geben, zudem soll auf Lesbos ein permanenter Anlaufpunkt für Flüchtlinge eröffnen. Nach Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Belgien will ein Bündnis aus mehreren Gruppen im September ein ähnliches Camp in Brüssel organisieren, um die Rolle der EU in der Flüchtlingsbekämpfung zu thematisieren.