Exakte Zahlen wird man nie erfahren
Interview mit Jamie Shea, der als NATO-Sprecher den Kosovo-Krieg verkaufte
Tote Zivilisten wurden zu Kollateralschäden, ethnische Konflikte zum Völkermord und 14 zerstörte Panzer zum Sieg. Niemand ist perfekt, sagt er heute.
Für das 78tägige Bombardement Jugoslawiens haben Sie als Nato-Sprecher den Begriff "air campaign" etabliert. Setzt aber eine Luftschlacht nicht feindliche Flugzeuge voraus, die man bekämpft?
Jamie Shea: Wir haben nicht bloß bombardiert. Es gab Aufklärungsflüge, wir haben unsere Piloten aus feindlichem Territorium gerettet und wir haben sogar 15 serbische MIGs abgeschossen. Deshalb ist der Begriff korrekt.
Aber er lenkt von den Bombardierungen ab.
Jamie Shea: Natürlich war er auch gewählt, um zu verdeutlichen, dass wir keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führten, sondern sehr genau unsere Ziele aussuchten.
Sie haben immer die Bombardierung ziviler Ziele bestritten. Natürlich konnten Sie nicht direkt sagen, es würden nur militärische Ziele angegriffen - denn das sind das serbische Fernsehen, Autofabriken und Ölraffinerien ja nicht unbedingt.
Jamie Shea: Jedes Ziel war ein militärisches, oder stand in direkter Verbindung zur Vertreibungspolitik im Kosovo. Das serbische Fernsehen hat Angehöriger anderer ethnischer Gruppen als Untermenschen dargestellt. So hat es eine Atmosphäre des Hasses geschaffen, welche die massiven Vertreibungen im Kosovo erst ermöglichte. Öl braucht man für Panzer, da ist der Zusammenhang klar. Dass die Zerstörung der Raffinerien auch Zivilisten traf, ist sicher. Aber man muss in so einem Fall zwischen Kosten und Nutzen abwägen.
Den Menschen im Kosovo nutzte es wenig. Die Vertreibungen setzten doch erst nach Beginn des Nato-Bombardements ein.
Jamie Shea: Das ist nicht wahr. Es gab massive Menschrechtsverletzungen vor dem Einsatz. 300000 Menschen wurden zuvor im Kosovo vertrieben.
In den Medien tauchte da ständig der Begriff des serbischen Völkermords an den Kosovaren auf. Sie selbst haben die Lage im Kosovo mit den Kambodschanischen "Killing fields" verglichen.
Jamie Shea: Ich habe nie von einem Genozid gesprochen und ich habe auch nie diesen Vergleich gezogen, weil ich ihn für unzulässig und sehr gefährlich halte. Was die Medien taten, konnte ich nicht kontrollieren. Auch von "Killling fields" habe ich nicht direkt gesprochen. Ich habe nur die Evakuierung von Pec mit der Phnom Penhs verglichen, dass muss irgendein Journalist großzügig interpretiert haben.
Das Medienbild eines Völkermordes ist doch offensichtlich falsch. Die Berichte der OSZE-Beobachter im Kosovo erwähnen vom Dezember 1998 bis zum Abzug Ende März 1999 88 zivile Opfer serbischer Übergriffe und 85 von der UCK Ermordete.
Jamie Shea: Meines Wissens nach gab es mehr Opfer auf kosovarischer Seite. Aber ich will mich nicht so auf die genauen Zahlen fixieren. Die exakten Zahlen kann und wird man nie erfahren. Es ist auch gar nicht möglich, eine exakte Zahl an Toten zu definieren, ab der man erst eingreift. Fest steht, dass es im Kosovo massive Menschenrechtsverletzungen gab, dass Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert wurden. Heute ist das nicht perfekt, aber besser.
Ja, hat man aufmerksam die NATO-Pressekonferenzen verfolgt, könnte man fast glauben, sie hätten den Krieg gewonnen. Dabei hat die NATO gerade mal 14 serbische Panzer zerstört, und im Kosovo wird nun wider diskriminiert und vertrieben - diesmal die serbische Minderheit.
Jamie Shea: Niemand weiß, wie viele serbische Panzer zerstört wurden: Wir nicht und auch "Newsweek" nicht, die diese Zahl in die Welt gesetzt haben. Und bloß weil Kosovo heute nicht die Schweiz ist, war der Einsatz nicht falsch. Den Menschen geht es besser als vor einem Jahr und sie befinden sich auf dem Weg zu einem multiethischen Kosovo. Unsere Güterabwägung war richtig.
Die Kosten auf serbischer Seite, nämlich die von NATO-Bomben zerfetzten, unschuldigen Zivilisten haben Sie als Kollateralschäden bezeichnet.
Jamie Shea: Das habe ich schon mehrfach bedauert. Es war falsch.
Und Ihr Witz bei einer Pressekonferenz, Milosevic habe bestimmt noch nie eine der CNN-Übertragung aus dem NATO-Hauptquartier gesehen, da er die Botschaft offensichtlich nicht verstanden hätte?
Jamie Shea: Zu der Zeit arbeitete ich jeden Tag 16 Stunden, ständig wollten 400 Journalisten Informationen. Es war eine ungeheute Anspannung, die sich da anstaute. Ich wollte sie wohl so abbauen.. Niemand ist perfekt.