Exolunares Chaos am Rande des Sonnensystems
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Mit dem überdimensionierten Plutomond Charon haben die vier neuen Monde nur eins gemein: Allesamt verdanken sie ihre Entdeckung glücklichen Fügungen. Während sich Charon 1978 bei einer Routineuntersuchung von Astro-Fotos zu erkennen gab, stießen Astronomen mit dem Weltraumteleskop Hubble auf das exolunare Quartett im Rahmen mehrerer Suchaktionen. Auf der Suche nach potenziellen Gefahrenquellen für den Vorbeiflug der NASA-Forschungssonde New Horizons detektierten sie zuerst Kerberos (2011), dann Styx (2012) und zu guter Letzt Nix und Hydra (2005).
Dass die vier Körper erst relativ spät im Fangnetz der Planeten- und Mondjäger zappelten, hängt mit der extrem geringen Größe der Pluto-Satelliten zusammen. Versehen mit (Längs-)Durchmessern von sieben bis maximal 60 Kilometer (siehe Bild unten) wirken sie wie Spielbälle von Pluto und Charon, gefangen in deren Schwerkraftfeld.
"Vor den Beobachtungen mit Hubble hat keiner mit einer solch komplexen Dynamik im Pluto-System gerechnet", erklärt Mark Showalter vom SETI Institute in Mountain View (Kalifornien), der ein wahrer und erfahrener Spezialist für Kleinstkörper im Sonnensystem ist. Diese komplexe Dynamik erklärt sich mit der besonderen Konstellation, dass Charon als Mond im Verhältnis zu seinem Hauptkörper auffallend groß und Pluto selbst wiederum als Planet extrem massearm ist.
Aufgrund dieser Gegebenheit kreisen beide um einen gemeinsamen Schwerpunkt, der mehr als 1.000 Kilometer außerhalb des Masseschwerpunktes des Pluto liegt. Zum Vergleich: Charon hat ein Achtel der Masse von Pluto, der Erdmond hingegen rund ein Achtzigstel der Erdmasse. Deshalb befindet sich der Schwerpunkt im Erde-Mond-System noch deutlich innerhalb unseres Planeten. Die Folgen dieser engen Beziehung bekommen die kleineren Trabanten deutlich zu spüren, wie Douglas Hamilton von der University of Maryland at College Park (USA) bestätigt. "Diese beiden Körper umrunden sich mit großer Geschwindigkeit und sorgen dafür, dass die kleineren Monde in der Nähe sich ständig verändernden gravitativen Anziehungskräften ausgesetzt sind." Daher seien die Rotationen der Plutomonde unvorhersehbar, so Hamilton.
"Unser Mond und die meisten anderen kehren ihrem Planeten stets die gleiche Seite zu - wie Kinder, die brav auf ihre Eltern blicken", erklärt Hamilton. "Doch Plutos Monde gleichen eher starrsinnigen Teenagern, die diesen Regeln nicht zu folgen bereit sind." Im Fall von Nix kommt es beispielsweise zu der paradoxen Situation, dass der Kleinmond zeitweilig synchron rotiert, um dann in eine Rotation überzugehen, die unvorhersehbar ist, weil auch seine Drehachse zeitweise völlig umkippt, erklären die Astronomen.
Verwirrende Daten
Während sich nahezu alle Monde im Sonnensystem beim Umlauf um ihren Planeten einmal um die eigene Achse drehen und - wie beim Erdmond - immer nur eine Seite von sich preisgeben -, zeigen die Plutomonde Nix und Hydra als Folge von Taumelbewegungen beide Seiten mehrfach.
Ein Bewohner Plutos würde praktisch jeden Tag einen anderen Teil der jeweiligen Mondoberfläche zu Gesicht bekommen. Und ein Bewohner auf Nix und Hydra würde jeden Tag unterschiedlich lang erleben. "Würden Sie etwa auf Nix sitzen, sähen sie Styx zweimal um Pluto und Hydra sogar dreimal um Pluto kreisen", so Hamilton.
Nach Ansicht der beiden Astrononen könnten auch Kerberos und Styx ein ähnlich geartetes chaotisches Verhalten an den Tag legen. Doch die bislang gesammelten Beobachtungsdaten reichen vorerst nicht aus, um diese Vermutung zu bestätigen.
So chaotisch die Rotation der kleinen Monde auch anmutet - deren Umlaufbahnen sind hingegen geordnet und stabil. Derart stabil, dass Nix, Styx und Hydra nicht Gefahr laufen, miteinander zu kollidieren. "Ihre Bewegung steht in einer ganz ähnlichen Abhängigkeit voneinander, wie die der drei großen Monde des Jupiter", so Douglas Hamilton. "Das erklärt, warum der kleine Pluto überhaupt so viele Monde hat."
Selbst in puncto Helligkeit überraschte das Mond-Quartett die Astronomen. Showalter und Hamilton konnten aus den Daten ablesen, dass das von Nix und Hydra reflektierte Licht unberechenbare Schwankungen aufwies. Die Helligkeit der beiden Körper changierte auf unvorhersehbare Weise. "Die Daten waren verwirrend. Sie machten übermacht keinen Sinn. Wir ahnten, dass da etwas faul sein musste", so Mark Showalter.
Eigentlich wäre gemäß einer Studie zu erwarten gewesen, dass alle vier Monde zirka 40 Prozent des auf sie einfallenden Sonnenlichtes reflektieren und somit eine ähnliche Albedo wie Charon haben. Darüber hinaus hätte der durch den Aufprall von Meteoriten hochgeschleuderte Staub alle Monde Plutos auf gleiche Weise verschmutzen und überdecken müssen. Laut Theorie hätten diese schlichtweg gleich aussehen müssen.
Doch während die Oberflächen von Styx, Nix und Hydra so hell wie weißer Sand erstrahlten, präsentierte sich zur Überraschung der beiden Forscher der Mond Kerberos hingegen so schwarz wie Kohlebrikett. Von dem Licht, das auf ihn trifft, wirft er nur fünf Prozent ins All zurück. Die chemische und mineralogische Zusammensetzung der Oberfläche von Kerberos muss demnach anders beschaffen sein als bei anderen drei Mittrabanten. Die Forscher vermuten in ihr einen höheren Kohlenstoffgehalt.
Einig sind sich die beiden Astronomen darin, dass das chaotische Rotationsverhalten der Monde auf deren bizarrer Form zurückführen ist. Schließlich sind die vier Kleinmonde nicht kugelartig, sondern oval geformt. "Das ist ein sehr provozierendes Resultat", gesteht Showalter, der mit diesem Ergebnis nicht gerechnet hat.
Trotz der chaotischen Abläufe im Pluto-Charon-System glauben die Astronomen nicht, dass das System aufgrund seiner vermeintlichen Instabilität irgendwann kollabieren könnte. "Es bedeutet nicht automatisch, dass dieses System am Abgrund steht und auseinander fliegt", so Showalter. "Wir müssen noch viel über dieses System lernen, um sein späteres Schicksal zu bestimmen."
Studie wichtig für Studium zirkumbinärer Planeten
Nach Ansicht von Douglas Hamilton kann das Studium der chaotischen Abläufe im Pluto-Charon-System dabei helfen, das Verhalten von Planeten in Doppelsternsystemen besser zu verstehen.
Wir lernen gerade, dass Chaos wahrscheinlich eine allgemeine Eigenschaft von Binärsystemen ist. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Ausbildung von Leben auf solchen Planeten haben
Douglas Hamilton
Gerade weil das NASA-Weltraumobservatorium Kepler bereits mehrere Dualsternsysteme gefunden habe, die von Planeten umkreist werden (=zirkumbinäre Planeten), sei eine weitere Analyse des Pluto-Charon-Systems sinnvoll. Sein Kollege Mark Showalter sieht dies ähnlich, wie er gegenüber diesem Magazin bestätigt:
Ich stimme mit Doug überein. Die chaotische Rotation der Monde könnte darauf hindeuten, dass Planeten in einem Binärsystem auch unregelmäßig rotieren. Dies kann auf das langfristige Klima auf solchen Planeten durchaus Einfluss haben.
Eine der großen Fragen in der Astronomie sei nach wie vor, wann und wie das Pluto-System mitsamt seiner bizarren Objekte entstanden sein könnte. Für Showalter lässt sich das Geheimnis über Pluto und seine Trabanten vorerst nur sukzessive lösen.
Wir wissen nichts Genaues. Wie das Pluto-System entstanden ist, bleibt ein Rätsel. Aber jedes Messergebnis, das wir in unserer Studie vorstellen, erzählt einen Teil der Geschichte von Pluto und seinen Begleitern
Mark Showalter
Hoffnungen ruhen auf New Horizons-Mission
Den nächsten Teil der Geschichte soll sodann die NASA-Sonde Mitte Juli schreiben, wenn sie während ihres Flyby-Manövers im Pluto-Charon-System das Geschehen dort mit ihren Instrumenten aus nur 9500 Kilometer Entfernung studiert und dokumentiert. Hierbei sollen auch die Resultate der aktuellen Studie Berücksichtigung erfahren, hoffen die beiden Nature-Autoren. Insbesondere wollen die Wissenschaftler das Geheimnis der schwarzen Oberfläche von Kerberos und die seltsamen Rotationen der Monde im System näher untersuchen.
Pluto wird mit weiteren Überraschungen aufwarten, wenn New Horions im Juli an Pluto vorbei fliegt. Unsere Arbeit mit dem Hubble-Teleskop gibt nur ein Vorgeschmack von dem, was auf dem Tablett liegt
Douglas Hamilton
Der für das Wissenschaftsprogramm der NASA zuständige Manager John Grunsfeld blickt ebenfalls optimistisch nach vorn und baut auf die New-Horizons-Mission, die das Wissen über Pluto und seine Begleiter deutlich mehren wird. "Hubble hat uns neue Erkenntnisse über die geheimnisvollen Monde des Pluto und ihrem Tanz um ihn vermittelt", sagt, "Wenn New Horizons im Juli am Pluto entlang fliegt, erhalten wir die Chance, zu studieren, wie diese genau aussehen."
Derweil befindet sich die Forschungssonde New Horizons nach 3432 Tagen nur 36 Millionen Kilometer von ihrem Ziel entfernt (Stand: 14. Juni 2015). Der Countdown zum Showdown am 14. Juli läuft bereits und kann von jedem verfolgt werden.
Paper: "Resonant interactions and chaotic rotation of Pluto’s small moons" (online: doi:10.1038/nature14469)
Bild: Auf diesem auf Hubble-Daten beruhenden Bild (siehe auch Hochauflösung) ist der chaotische Spin von dem Kleinmond Nix gut zu sehen.
Animation: Der chaotische Spin des Plutomondes Nix
Youtube-Video: Launch of NASA's New Horizons Spacecraft. In Erinnerung sei nochmals gerufen, dass Pluto zu Beginn der NASA-Mission 'New Horzions' noch offiziell als Planet galt.